Autorenglück in der Türkei: Der professionelle Fan
In der Türkei liest niemand Bücher, dafür interessieren sich alle für die Autoren. Wie intensiv das werden kann, erfuhr ich auf Istanbuls Buchmesse.
D ieses Jahr bin ich nicht zur Frankfurter Buchmesse gefahren, um das Stadtbild von Frankfurt nicht noch mehr zu besudeln, sondern flog in die Türkei zur Istanbuler Buchmesse, dort ist Hopfen und Malz ohnehin hoffnungslos verloren, was das Istanbuler Stadtbild angeht.
In Deutschland Schriftsteller zu sein, hat, wie soll ich sagen, nicht sooo viel Pep!
Man schreibt, und schreibt, und schreibt – und niemand nimmt Notiz davon. Von den Büchern schon, aber für die Autoren interessiert sich kein Schwein.
Nicht so in der Türkei. Da ist es genau umgekehrt:
Da werden die Bücher nicht gelesen, aber dafür bekommen die Autoren gaaanz viel Beachtung. Und weil ja kein Mensch weiß, was die so schreiben, sind die seeeehr wichtig.
Bei der Istanbuler Buchmesse treffe ich mehrere Kollegen in der Kantine der Messehalle, die es sich mit Döner und Köfte gutgehen lassen. Einen Krimiautor, einen Drehbuchautor, einen Kinderbuchautor und einen überaus Mutigen, der in der Türkei politische Kommentare schreibt.
Am Anfang unserer Unterhaltung beneiden sie mich, weil ich in Deutschland schreibe, am Ende beneide ich sie, weil sie in der Türkei schreiben, wo man als Autor richtig hochgeschätzt wird. Den letzten Döneresser am Tisch frage ich, was er denn für Bücher schreibt.
Er gibt keinen Ton von sich, macht sich aber eifrig Notizen.
„Er schreibt keine Bücher“, antwortet der Krimiautor an seiner Stelle.
„Dann habt Ihr ja doch einen Leser“, sage ich.
„Nein, das auch nicht“, lacht er.
„Was denn sonst?“, frage ich neugierig.
„Er ist eher ein Hörer“, zwinkert er grinsend.
„Auch gut. Er hört also eure Hörbücher“, sage ich.
„Nein, er hört nur unsere Telefongespräche ab“, lacht er wieder.
„Toll! Ein großer Fan also, der alles über seine Idole erfahren möchte. Einen ganz persönlichen Stalker habt Ihr.“
„Fan würde ich nicht sagen. Er wird leider vom Geheimdienst dafür bezahlt, damit er uns abhört.“
„Wirklich? Das ist ja total spannend“, staune ich.
„Keineswegs“, mischt sich der staatliche Abhörer in das Gespräch ein. „Diese Möchtegern-Autoren reden doch andauernd nur belangloses Zeug. Den ganzen Tag muss ich mir anhören, wie hoch ihr Blutdruck ist und was für Probleme der Rücken macht, und dass der Computer wieder nicht anspringt – die Ehefrau auch nicht. Aber ich will mich nicht beklagen. Wenn diese Schwätzer nicht wären, wäre ich jetzt wohl arbeitslos.“
Da ich wohl ziemlich verdutzt aus der Wäsche guckte, meint der Drehbuchautor: „Weil wir heute alle hier sind, haben wir ihn eingeladen, damit er sich nicht den ganzen Tag in seinem Kabuff langweilen soll.“
„So einen Hörer möchte ich auch, der sich wortlos meine Klagen anhört. Von meinen missratenen Kindern, meinem Rücken und meiner Ehefrau. Bitte, bitte, können Sie mich ab und zu auch ein bisschen abhören, bitte?“, sage ich dem staatlichen Abhörer.
„Bedaure, für Sie bin ich nicht zuständig“, schmatzt er. „Wenden Sie sich bitte an unsere Auslandsabteilung. Aber falls Sie irgendwas schreiben, werden Sie sicher bereits abgehört.“
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