Außerhalb der Fanmeile in Kiew: Die Euphorie ist verflogen

Außerhalb des Zentrums von Kiew könnte man meinen, die EM sei schon längst gelaufen. Die Hotels langen jedoch richtig hin und verlangen dreimal mehr als normal.

Das wichtigste Nahrungsmittel auf der Meile ist Bier. Bild: dapd

Die aufblasbare Carlsberg-Puppe in der Fanmeile auf dem Chrestschatyk hält ein aufblasbares Bierglas in der Hand und winkt die Passanten ins Carlsberg-Zelt hinein. Das Leben auf der Hauptstraße von Kiew, die während der EM für den Verkehr gesperrt ist und in eine Public-Viewing-Area verwandelt wurde, geht weiter.

Gegen Abend, wenn die schwüle Hitze etwas nachlässt, füllt sich die Fanmeile allmählich. Sie ist von Verkaufsständen auf beiden Seiten flankiert, sogar die Swedish Corners sind noch da, obwohl die Schweden aus dem Turnier geflogen sind.

Das wichtigste Nahrungsmittel auf der Meile ist Bier, das auch hier gekauft werden muss. Nicht mal eine Flasche Wasser darf man mitbringen, die Kontrolleure am Eingang sind unerbittlich. Wer hier hineinwill, wird zu einem willigen Fußballkonsumenten. Das gilt nicht nur für die Spiele, sondern auch für die ganze Maschinerie drumherum – Souvenirs, T-Shirts, Mannschaftstrikots, Snacks, Rap, Jazz, Fotos und Fähnchen.

Die Händler freuen sich über die Umsätze, ein offizieller EM-Kiosk erwirtschaftet bis zu 1.000 Euro täglich. Das ist kein Wunder bei den Preisen: ein T-Shirt aus chinesischer Produktion mit dem EM-Logo von fragwürdiger Qualität kostet rund 30 Euro. Einige hundert Meter weiter kann man es auch für sechs Euro kaufen – unter der Theke. Auch hier sind noch satte Gewinn drin bei geschätzten Herstellungskosten von unter einem Euro.

Weit entfernt vom Zentrum

Außerhalb der Fanmeile ist die Euphorie der ersten Tage verflogen. Das schwedische und das ukrainische Gelb sieht man nur noch selten. Am anderen Dnipro-Ufer, dem Reich der Plattenbauten, könnte man sogar vergessen, dass die EM immer noch läuft. Wenn nicht die Werbeplakate überall wären.

In den U-Bahn-Stationen weit entfernt vom Zentrum sind die Volunteers verschwunden, die einzelnen Stationen werden aber immer noch auf Ukrainisch und Englisch angesagt. Die krächzenden uralten Lautsprecher und der Lärm der alten Züge erfordern aber schon enorme Konzentration und Fantasie, um die Ansage zu verstehen.

Die U-Bahn-Station Darnytsia liegt irgendwo in der Mitte zwischen den schicken Hügeln des noblen Stadtviertels Petschersk mit seinen Kuppeln des Höhlenklosters mitsamt monströsem Mutter-Heimat-Denkmal und dem Ende der Geografie. Das heißt – mitten drin in einem Plattenbauviertel mit hunderttausend Einwohnern. Eine typische Station, ein McDonald’s-Restaurant am Ausgang, ein paar Verkaufsbuden drumherum. Das übliche Angebot – Wasser, Bier, Zigaretten.

Das Leben konzentriert sich vor allem in der Unterführung. Ein Obdachloser hat sich aus einem Pappkarton ein Bett gebastelt, daneben verkauft eine alte Frau Blumen. Auch Unterwäsche, Taschen, Kleidung, Zeitungen, junge Katzen, Bananen und billiges Spielzeug sind im Angebot. An die EM erinnern hier höchstens von innen beleuchtete Miniaturfußbälle. „Nein, die haben mit der EM nichts zu tun“, sagt Nina, die Verkäuferin. „Außerdem verkaufen sie sich schlecht.“

Verwirrte Schweden

Alla, die in einer Verkaufsbude gegenüber von McDonald’s sitzt, hat mehr Glück. „Wasser und Bier gehen wie heiße Semmeln über den Ladentisch. Das ist aber immer so bei der Hitze.“ In den letzten Tagen sei das Geschäft sogar noch etwas besser als sonst gelaufen, hier habe auch schon mal der eine oder andere Schwede vorbeigeschaut.

Der Grund, warum sich einige Schweden hierher verirrt haben, heißt Hotel „Bratislava“, ein rund 200 Meter von der U-Bahn-Station entfernter Betonklotz. 1980 anlässlich der Olympischen Spiele in Moskau gebaut, gehörte es in der Sowjetzeit als billige Herberge zu Intourist. Das Hotel wurde vor einigen Jahren renoviert, was man ihm von außen aber nicht ansieht.

Doch die winzigen Zimmer sind sauber. Der Eingangsbereich – in den wilden 90er Jahren eine Spielhölle mit Dutzenden Automaten – wirkt kalt und modern. Die Möbel und die Armaturen in der Dusche sind neu, die Preise hoch. Für die Gruppenspiele hat sich der Normalpreis für ein Einzelzimmer mit Frühstück knapp verdoppelt, der Spaß kostet jetzt 150 Euro. Für das Viertelfinale muss man noch etwas drauflegen. Für die Tage um das Finale herum wird das Dreifache verlangt. Dafür läuft in der Lobby auf einem Flachbildschirm rund um die Uhr Fußball.

Dieses ausgeklügelte dreistufige Geschäftsmodell scheint die Fans nicht überzeugt zu haben. Besonders gut gebucht scheint das Haus nicht zu sein. Im Frühstücksraum, einem im pseudobarocken Stil mit viel Goldimitat und echtem Regips eingerichteten Restaurant, halten sich nie mehr als zwanzig bis dreißig Personen auf. Fünf davon gehören zur Bedienung, die freundlich und unbeholfen wirkt.

Dafür wiederholten sich jeden Tag bestimmte Rituale, auf die ein Haus mit Tradition eben Wert legt. Mal gibt es keinen Kaffee, mal keine Butter und mal keine Kaffeesahne mehr. Die uniformierten Kellner warten geduldig, bis sich ein Hotelgast darüber beschwer, um dann seinen Wunsch umgehend zu erfüllen.

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