BSR-Chefin Gäde-Butzlaff hört auf: „Müllmänner sind Kita-Stars“

Sie war die erste Frau an der Spitze des männerdominierten Landesunternehmens. Nun gibt Vera Gäde-Butzlaff ihren Posten auf.

They "kehr for us" - always Bild: ap

taz: Frau Gäde-Butzlaff, nur noch ein paar Tage, dann ist bei Ihnen Schluss mit dem Müll. Wie fühlen Sie sich?

Vera Gäde-Butzlaff: Nach 12 Jahren in diesem Betrieb – das ist ein bisschen wie das Loslassen von Kindern. Man weiß, es ist richtig, dass die jungen Leuten gehen, aber man empfindet Wehmut.

Von der Belegschaft haben Sie sich bereits verabschiedet – es gab Standing Ovations.

Das war auf den drei großen Personalversammlungen Mitte Oktober. Da sind jeweils rund 1.500 Leute aufgestanden und haben minutenlang Beifall geklatscht. Das war Gänsehautfeeling. Es zeigt, auf was für einem guten Weg wir sind. Wie gut der Wandel, den die BSR vollzogen hat, von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen wird. Bekanntlich hat sich die BSR zu einem echten Vorzeigeunternehmen entwickelt, das sich sowohl ökologisch als auch sozial für die Stadt engagiert. Nicht zu vergessen: Die Gebühren für Abfallentsorgung und Straßenreinigung in Berlin gehören im Bundesvergleich zu den günstigsten.

Was waren die entscheidenden Weichenstellungen?

Unsere Strategie lautet: absolut wirtschaftlich und effizient arbeiten, und das bei guter Qualität und hohen ökologischen und sozialen Standards. Das war jahrelang verbunden mit erheblichem Personalabbau und Leistungsverdichtung.

Die Hauptstädter haben in einer Forsa-Umfrage die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) im Frühjahr 2014 zum beliebtesten Unternehmen Berlins gekürt.

Die BSR - Werbeslogan: "we kehr for you" - hat im Großstadtvergleich die günstigsten Müllgebühren. 5.300 Beschäftigte - Anfang der 90er Jahre waren es noch doppelt so viele. Der Personalabbau erfolgte hauptsächlich in Gäde-Butzlaffs Zeit. (plu)

Leistungsverdichtung – was bedeutet das für den Müllmann auf der Straße?

Wie das Wort schon zeigt: Jeder einzelne muss mehr arbeiten als früher.

1992 hatte die BSR noch 11.500 Beschäftigte, heute sind es 5.300. Erfolgte der Personalabbau unter Ihrer Federführung?

Ein Teil davon ist auch noch in meiner Zeit erfolgt. In unserem Unternehmensvertrag haben wir uns zur erheblichen Effizienzsteigerungen verpflichtet. Das umfasste fünf Perioden von jeweils drei Jahren. Von den insgesamt 15 Jahren war ich 12 Jahre dabei. Die letzte Periode läuft noch.

Wenn man die heutige Arbeitsbelastung der BSR-Leute mit den Bedingungen zu Westberliner Zeiten vergleicht – was ist der Unterschied?

1954 in Bad Gandersheim (Niedersachsen) geboren. Abitur in Wolfsburg. Verheiratet mit einem Lehrer, eine Tochter. Von 1973 bis 1980 Jura-Studium an der FU Berlin. Richterin in Berlin, dann Frankfurt (Oder), am dortigen Verwaltungsgericht später Vorsitzende Richterin.

In der SPD-geführten Landesregierung von Sachsen-Anhalt von 1998 bis 2001 Ministerialdirigentin, ab 2002 Staatssekretärin für Umwelt und Landwirtschaft.

Seit 2003 Vorstandsmitglied der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) mit Verantwortung für Abfalllogistik und Abfallentsorgung, seit 2004 auch Straßenreinigung. 2007 steigt Gäde-Butzlaff als Vorsitzende des Vorstandes an die Spitze des Entsorgungsunternehmens auf. Zum Ende des Jahres gibt sie ihren Posten auf - Nachfolgerin ist die 42-jährige Unternehmensberaterin Tanja Wielgoß.

Früher gab es Müllautos, die um 11 Uhr am Straßenrand standen, weil die Arbeit fertig war. So etwas wäre heute undenkbar. Auch die Aufgaben der Straßenreinigung sind viel komplexer geworden. Früher waren wochentags um 18 Uhr die Läden zu und samstags spätestens um 14 Uhr. Heute haben die Geschäfte zum Teil bis Mitternacht geöffnet. Durch all diese Veränderungen gibt es natürlich auch viel mehr Arbeit für uns als früher. Jede Minute ist ausgefüllt, sowohl in der Müllabfuhr als auch in der Straßenreinigung. Der Job ist knochenhart.

Und das ertragen die Mitarbeiter klaglos?

Vielen fällt das schwer, ich will das überhaupt nicht verniedlichen. Der Altersdurchschnitt liegt heute bei 48 Jahren. Infolge des sozialverträglichen Personalabbaus haben wir ja keine jungen Leute mehr eingestellt. Man kann nicht sagen, dass die älteren operativ arbeitenden Kollegen häufiger krank sind. Aber wenn sie krank werden, dann ziemlich lange. Dann sind es wirklich schlimme Dinge wie zum Beispiel Bandscheibenvorfälle oder Herzgeschichten. Trotzdem sind alle davon überzeugt, dass die Leistungsverdichtung wichtig für die BSR war. Zur Sicherung unseres Auftrages und auch als Rendite für Berlin und damit für unsere Eigentümer, das heißt für alle Berlinerinnen und Berliner.

Was meinen Sie mit Rendite?

Ökologisches Handeln ist für uns ganz klar die Richtschnur. Zum Beispiel haben wir die weltweit modernste Biovergärungsanlage gebaut. Das ist ein echter Leuchtturm. Wir haben viele Preise dafür bekommen. Sogar aus Asien kommen Umweltpolitiker und Fachleute, um sich das anzugucken.

Was macht die Anlage denn so besonders?

Die Hälfte unserer Müllsammelfahrzeuge fährt inzwischen mit Biogas. Sie sind leiser und produzieren weniger Feinstaub. Das ist ein echter Kreislauf. Aber es ist der teurere Weg. Die Anlage kostet mehr, als wenn wir unseren Bioabfall nur verkompostieren und unsere Fahrzeuge weiterhin mit Diesel betanken würden. Dass wir diesen Weg trotzdem wählen können, liegt daran, dass wir wirtschaftlich sind. Durch die harte Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen können wir die Gebühren trotzdem niedrig halten.

Warum gibt es auf den Müllautos eigentlich noch immer keine Frauen?

Als Fahrerin könnte man sich Frauen schon vorstellen, aber es gibt keine reinen Fahrer. Auch der Fahrer geht mit Müll holen. Jeder Müllwerker zieht und schiebt pro Schicht sechs bis sieben Gewichtstonnen Müll. Die 240-Liter-Tonnen müssen zum Teil aus den Kellern gehoben werden. In anderen Bereichen wie den Recycling- und Betriebshöfen gibt es bei der Müllabfuhr aber viele Kolleginnen.

Sie selbst wären beinahe an der Geschlechterhürde gescheitert, als Sie sich 2002 um einen freien Posten im BSR-Vorstand beworben. Was war da los?

Richtig (lacht). Nachdem ich meine Unterlagen abgeschickt hatte und so rein gar nichts hörte, habe ich bei den zuständigen Gremien mal nachgefragt, ob es fachliche Hinderungsgründe gibt. Das war nicht der Fall und so wurde ich in das Auswahlverfahren einbezogen. Andernfalls wäre ich vermutlich an dem Argument gescheitert: „Die ist ja qualifiziert, aber eine Frau für so einen Männerbetrieb – das geht nicht.“ An die Quotendiskussion war damals ja noch nicht zu denken. Später, 2007, als ich Vorsitzende des Vorstands geworden bin, kannten mich schon alle. Da war es dann kein Problem mehr.

Sie waren die erste Chefin in einem Berliner Landesunternehmen. Wie war das?

Und auch für lange Zeit die einzige. In Berlin hat sich das ja zum Glück verändert. In den öffentlichen Unternehmen sind wir bundesweit inzwischen Vorreiter. Aber es ist immer noch nicht ganz selbstverständlich. Ich sage immer: Weiter sind wir erst, wenn die Frage nicht mehr kommt, wie man sich als Frau in so einem Männerunternehmen fühlt. Ein Mann, der eine Kaufhauskette leitet, wird doch auch nicht gefragt, wie er sich mit den vielen Damen in seinem Laden fühlt.

Dann stelle ich die Frage jetzt eben nicht.

Genau (lacht). Ist ja auch schon beantwortet. Ich werde auch immer gefragt: Hatten Sie es schwerer? Ja und nein. Am Anfang wird man mehr beobachtet. Wenn man dann Mist baut oder den Eindruck macht, dass man sich nicht für die Firma einsetzt, ist man schneller wieder weg.

Ist das wirklich noch so?

Na klar. Wenn eine Managerin scheitert, dann scheitern die Frauen. Wenn ein Manager scheitert, heißt es nie, die Männer. Denken Sie an die vielen DAX-Vorstände, die ausgewechselt wurden. Da heißt es, Meier oder Müller kann es nicht. Bei den Managerinnen ist das anders.

Was ist eigentlich an den Gerüchten dran, Finanzsenator Nussbaum habe Ihnen extrem in die Geschäfte hineinregiert?

Nichts. Er hat überhaupt nicht reinregiert. Reinregiert ins operative Geschäft hat hier niemand. Als BSR haben wir den Vorteil, dass das im Betriebegesetz klar geregelt ist: Der Vorstand führt in eigener Verantwortung und haftet auch. Es gibt auch keine Weisungsbefugnis durch den Aufsichtsrat.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, kann ich ziemlich beharrlich sein. Ich höre aber durchaus zu und habe auch kein Problem damit, meine Meinung auch mal zu ändern. Ich glaube, ich bin ein sehr positiver Mensch. Bei mir ist das Glas immer halb voll, mindestens (lacht).

Sie haben sich schon mit Umwelt- und Abfallfragen befasst, als Sie Verwaltungsrichterin in Berlin und Frankfurt (Oder) waren. Auch in der Zeit als Staatssekretärin in Sachsen-Anhalt war das Ihr Themengebiet. Sind Sie eine Grüne?

Was die Ökologie betrifft, mit Sicherheit (lacht), parteipolitisch möchte ich das aber nicht einordnen. Wir hatten mal eine Kampagne: „So grün ist nur orange.“ Wenn grün so verstanden wird, ist die BSR grün. Der Schutz unserer Umwelt sollte ohnehin alle angehen.

Die Müllmänner sind für ihre Berliner Schnauze berühmt. Wie kommen Sie damit klar?

Die Art liegt mir total. Die Leute sind sehr direkt und kritisch, auch gegenüber ihrem Management. Aber wenn sie mitkriegen, dass ich an meinem Platz für das Unternehmen kämpfe, so wie sie an ihrem, ist das ein unheimlich herzliches Verhältnis. Die haben ja auch viel Charme. Das hören wir auch draußen. Die Müllmänner sind die Stars der Kindergärten und Grundschulen.

Woher wissen Sie das?

Wenn wir mal eine Tour verändern, rufen die Erzieherinnen bei uns an und sagen, wie enttäuscht die Kinder sind, dass die netten Müllmänner nicht mehr kommen. In den letzten Jahren hat sich einiges verändert, ein bisschen auch durch unsere Kampagne …

„we kehr for you“ oder „Lola trennt“.

Richtig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen so sein, wie die Leute auf den Plakaten. Bei der ersten Kampagne waren es noch Schauspieler, inzwischen handelt es sich ausschließlich um Kolleginnen und Kollegen der BSR. Auch Lola gehört dazu. Das wirkt nach innen und außen motivierend.

Die Kampagne war aber nicht Ihre Erfindung.

Das hat kurz vor meiner Zeit angefangen. Zunächst war die Öffentlichkeit total kritisch. So nach dem Motto: Warum machen die Stadtreinigungsbetriebe so aufwändig Werbung, ihr müsst den Müll doch so oder so holen. Es hat ein wenig gedauert, bis klar war, dass da eine Marke verkauft und ein wichtiges Thema platziert wird. Das Geheimnis unserer viel gelobten Werbekampagne war und ist, dass sie humorvoll und selbstironisch ist. Das ist Abfallberatung und Sauberkeitserziehung ohne erhobenen Zeigefinger.

Andere Unternehmen und Behörden könnten sich ein Bespiel nehmen, finden Sie nicht? Die Polizei klagt ja auch immer über mangelnde Akzeptanz bei der Bevölkerung.

Wir gelten inzwischen durchaus als Vorbild. Der Polizei täte eine Imagekampagne, die die öffentliche Wertschätzung für die anspruchsvolle Arbeit erhöht, sicher gut. Aber es liegt mir fern, Anderen gute Ratschläge zu geben.

Was war die schlimmste Umweltsauerei, mit der Sie jemals in Ihrem Berufsleben zu tun hatten?

Das waren schon die alten Chemiestandorte in Sachsen-Anhalt wie zum Bespiel Bitterfeld. Viele Milliarden mussten dort aufgewendet werden, um eine Verseuchung des Grundwassers zu verhindern. Aber es ist nicht nur Bitterfeld und der Osten. Abfall unbehandelt auf Deponien abzulegen, war ja auch im Westen üblich. Das belastet die Umwelt über alle Maßen. Ich habe da viel Schlimmes mitbekommen. Was mir früher auch nicht so bewusst war, sind die durch Plastiktüten hervorgerufenen Umwelt- und Tierschäden. Allein in Berlin gehen in einer Stunde 30.000 Plastiktüten über den Ladentisch.

Was bewirkt das bei Ihnen?

Ich kann nicht sagen, dass ich mir nie mehr eine Tüte geben lasse. Aber ich tue es nur noch ganz selten und mit schlechtem Gewissen. Seit ich das Thema mehr im Visier habe, stelle ich aber doch fest, dass viele Leute eigene Taschen mitbringen, wenn sie einkaufen gehen.

Viele Leute fragen sich, was Sie in Zukunft machen werden. Gibt es noch mal einen richtigen Neuanfang?

(lacht). Es wird auf jeden Fall ein Neuanfang. Ich war in dem größten kommunalen Stadtreinigungsunternehmen Europas tätig und habe in dem Thema alle Facetten kennengelernt. Dieses Gebiet wird es also nicht mehr sein. Aber die Umwelt hat ja noch mehr Aspekte, als nur die Abfallwirtschaft. Es gibt einen Strauß an Möglichkeiten und Angeboten. Ich bin selbst gespannt, wofür ich mich entscheide. Jetzt freue ich mich aber erstmal auf die Freizeit.

Apropos Freizeit: Als BSR-Chefin haben Sie zwölf Stunden am Tag gearbeitet, heißt es …

Es gab sehr viele Abendtermine. Vor 22.00 oder 23.00 Uhr war ich meist nicht zu Hause. Das wird in jeder Hinsicht eine Umstellung werden. Und auch, wenn ich unterwegs Abfall sehe, bei dem ich denke, der liegt hier nicht erst seit gestern, das sieht ja unmöglich aus, oder es ist ein Papierkorb durch Randalierer aufgebrochen worden, werde ich nicht mehr zum Telefon greifen. Da muss ich mich dann ab Januar dran gewöhnen, das wieder mit neutralen Augen zu sehen.

Sie haben schon in vielen Städten gearbeitet. Haben Sie vor, nun in Berlin zu bleiben?

Auf alle Fälle. Berlin ist grandios. Die Vielfalt. Man kann stundenlang allein durch den Wald und an Seen entlang laufen. Ich jogge ja gern. Auf der anderen Seite hat man von der Hochkultur über das Kieztheater bis zum Techno-Club alles. Im Staatsballett bin ich im Freundes- und Förderkreis engagiert. Die Genres gehen bei mir sehr weit auseinander. Auch als ich Frankfurt (Oder) und in Magdeburg gearbeitet habe, habe ich immer in Berlin gewohnt.

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