Backstageproduktion auf die Bühne: Katholizismus und Testosteron

Der türkischstämmige Bayer Adbullah Karaca kreierte den Überraschungserfolg „Arabboy“. Nun ist er beim Münchener „Radikal Jung“-Theaterfestival dabei.

Auf einer improvisierten Bühne voller Bierkisten und Kartons geht es um die Geschichte des Arabers Rashid. Bild: Andrea Huber

Abdullah Kenan Karaca ist zurzeit in einer bizarren Situation. An der Hamburger Theaterakademie, wo er im zweiten Semester Regie studiert, wurde der 24-jährige Muslim gleich „zum Katholizismus-Experten upgegradet“.

Das kam so: Karaca stammt aus Oberammergau in Bayern, wo das Gebirge mittelhoch und der Glaube tief ist und seit Jahrhunderten Wunder geschehen. Im Jahr 1633 gelobten die Dörfler, künftig alle zehn Jahre das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu aufzuführen, wenn Gott die Gemeinde von der Pest verschone.

Weil der Deal gelang, entert seitdem das halbe 5.000-Seelen-Dorf regelmäßig seine Passionstheaterbühne als größte Ansammlung von Langhaarigen weltweit. Seit 1990 dürfen verheiratete Frauen mitmachen und seit 2000 auch ortsansässige Muslime. Einer davon war der damals zehnjährige Abdullah, dessen Familie in Spuckweite des Passionstheaters wohnte.

Sie sind zwischen 25 und 36 Jahre alt, sie arbeiten an den Stadttheatern von Jena, Bielefeld, Klagenfurt, aber auch am Thalia Theater in Hamburg oder dem Schauspielhaus Zürich: acht junge Regisseure, die das Volkstheater München in seinem Nachwuchsfestival „Radikal jung“ vorstellt. Das bietet jedes Jahr kurz vor dem Theatertreffen in Berlin einen guten Ausblick in die Zukunft des Theaters. Einige der Eingeladenen haben, wie Babett Grube, Marco Storman und Milo Rau,über dessen Reinszenierungen historischer Prozesse die taz mehrfach berichtet hat, auch Theaterprojekte außerhalb der festen Häuser entwickelt.

Daher schaute der Bub gerne bei den Proben vorbei, „begeistert von den Menschenmassen und von Christian Stückls Energie“. Den Spielleiter wiederum begeisterte kurz darauf, wie der junge Türke sang. Also sprach er bei seinem Vater vor, um dessen Vorbehalte gegenüber dem katholischen Treiben zu zerstreuen.

Unverkopft menschlich

Eine sportliche Jugend, ein Abitur und ein angefangenes Semester Germanistik und Literaturwissenschaft in Ankara später, bekam Karaca das Angebot des Münchner Volkstheaters, dort Regieassistent zu werden. „Gleich von der ersten Probe an war klar: Das ist es, was ich machen will!“, sagt er heute. Schließlich probte der Chef höchstselbst gerade „Hamlet“ – und dieser Chef hieß schon wieder Christian Stückl.

Und der machte das offenbar auf diese unverkopft menschenfreundliche Art, die einen auch fasziniert, wenn man von draußen kommt und vom Theater nur weiß, dass es für manche Menschen intensiver ist als das Leben. Zweieinhalb Jahre lernte Karaca bei Stückl, der deswegen – und weil er oft nach Indien fährt – den oberbayerischen Integrationspreis bekam (sic!), und er lernte bei Bettina Bruinier, Christine Eder, Simon Solberg und Frank Abt.

Dann betreute er ein erstes Jugendclubprojekt – und schon kam „Arabboy“ nach dem Roman der Berliner Journalistin Güner Balci. Damit ist Karaca heuer als erstes Eigengewächs des Volkstheaters zu dessen „Radikal Jung“-Festival geladen. Und da ist es wieder: eines dieser kleinen Wunder, die so gerne Oberammergauer Wurzeln haben. Denn für die Backstageproduktion waren ursprünglich nur drei Aufführungen anvisiert.

Dennoch wollte der Assistent sechs Wochen am Stück proben und mixte, als er dafür keine Jugendlichen fand, Schauspielschüler mit Ensemblemitgliedern. Auf einer improvisierten Bühne voller Bierkisten und Kartons erzählen sie nun die Geschichte des Arabers Rashid, halb Palästinenser, halb Libanese, der ins Neuköllner Bordell-, Gewalt- und Drogenmilieu abstürzt, abgeschoben wird und stirbt.

Innere Prozesse

Ach, was heißt erzählen: Hier wird gelebt und geliebt und geprotzt und versagt – körperlich und direkt, witzig, charmant und ganz ohne mit dem Zeigefinger auf irgendwelche „Problemfälle“ zu deuten. Bald dampft der rasant in der Zeit vor und zurück springende Abend von Testosteron und Schweiß, dann wieder scheint er fast stillzustehen, und doch bleibt die Intensität dieselbe.

Der Abend läuft nun seit fast einem Jahr und ist „ein wahnsinnig unerwarteter Erfolg“. So sein stolzer und noch immer ein wenig staunender Urheber, der sagt, dass ihm das Thema des Stückes nahe lag, auch wenn man sich seine Jugend in Garmisch und München ungleich beschaulicher vorstellt. „Es geht aber eher um innere Prozesse, und die kann ich nachvollziehen“, sagt Karaca.

Und überhaupt: Sei nicht das, was die Menschen verbindet, sehr viel wichtiger als das, was sie trennt? „Wenn einer etwas Schlimmes durchmacht, dann interessiert es mich. Da ist es nicht wichtig, ob er Türke, Araber oder Woyzeck ist“, sagt der schlanke junge Mann mit dem Bärtchen, der im offenen Hemd entspannt auf dem Sofa sitzt und es sich aussuchen kann, ob er sich (in Hamburg) als Quotentürke oder Quotenbayer fühlen möchte oder einfach als Abdullah Karaca. Bayerisch, sagt er in astreinem Hochdeutsch, klinge für ihn nach Heimat. Aber sein Vater, der seit Jahren wieder in der Türkei lebt, der fahre erst richtig darauf ab.

Die nächsten Termine im Münchner Volkstheater: Donnerstag, 25. April, 18 Uhr und 21 Uhr (im Anschluss an die 18 Uhr-Vorstellung Publikumsgepräch) und Freitag, 26. April, 17 Uhr und 20 Uhr.
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