Bärbel Höhn über deutsche Risiko-Akws: "Eine reale Gefahr für die Bevölkerung"

Die grüne Umweltexpertin Bärbel Höhn spricht mit der taz über die alten Atomkraftwerke, die Schwarz-Gelb länger laufen lässt. Und die Aussichten der deutschen AKW-Gegner.

"Neckarwestheim wäre nach dem rot-grünen Atomausstieg nicht mehr am Netz", sagt Bärbel Höhn. Bild: reuters

taz: Frau Höhn, kann Fukushima auch in Deutschland passieren?

Bärbel Höhn: In dieser Form nicht. Japan liegt in einer extremen Erdbebenzone, hinzu kommt der Tsunami. Allerdings gibt es auch in Deutschland AKWs in Erdbebengebieten, etwa Neckarwestheim. In Japan hat man darauf geachtet, die Atommeiler erdbebensicher zu machen – viel mehr als hierzulande. Insofern gibt es auch hier eine Gefährdung durch Erdbeben.

Also Neckarwestheim dicht machen?

Ja, wie im Atomausstieg vorgesehen. Und man muss die Frage stellen: Sind alle unsere AKWs gegen Erdbeben gesichert?

Angela Merkel will die Kühlsysteme der deutschen AKWs überprüfen lassen. Reicht das?

Das ist naheliegend, aber nicht ausreichend. Es ist auffällig, dass in Japan keine Vorsorge für die Situatio getroffen wurde, dass der Strom komplett ausfällt und es keine Notstromaggregate gibt, die ausreichend lange laufen. Das muss man in Deutschland überprüfen.

Reichen technische Checks, so wie sie Merkel und Westerwelle anstreben, aus?

Nein. Es wird jetzt, wie nach Tschernobyl 1986, weltweit eine kritische Debatte über die Atomkraft geben. Gerade weil die Sicherheitsstandards in Japan sehr hoch sind.

BÄRBEL HÖHN , 58, ist stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, unter anderem mit dem Schwerpunkt Umweltpolitik, und war von 1995 bis 2005 Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen.

Worauf muss sich diese Debatte in Deutschland fokussieren?

Auf die alten AKWs, deren Laufzeit Schwarz-Gelb im letzten Herbst um acht Jahre verlängert hat. Die hätten jetzt abgeschaltet werden müssen, jetzt laufen sie weiter. Neckarwestheim wäre ja nach dem rot-grünen Atomausstieg nicht mehr am Netz.

Die Sicherheitsfrage stellt sich vor allem bei diesen alten AKWs. Bei der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung sind 500 Millionen Euro pro AKW für Investionen in Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen. Aber bis jetzt gibt es etwa bei Biblis, noch nicht einmal Pläne. Die versprochenen zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen werden nicht angegangen. Das ist eine reale Gefahr in Deutschland. Wir haben ein anderes Szenario als in Japan, aber die alten AKWs sind eine Bedrohung für die Sicherheit der Bevölkerung.

Umweltminister Röttgen redet, anders als Merkel, davon, dass der Wechsel zu Ökoenergien schneller gehen muss. Hat er damit Chancen?

Röttgen wollte ja auch im Herbst kürzere Laufzeitverlängerungen, weil er die Gefahren gerade der alten AKWs sieht. Allerdings ist er mit diesen Argumenten in der Koalition nicht durchgedrungen.

Hat Röttgen nach der Katastrophe in Japan größere Aussichten damit durchzudringen?

Da muss man skeptisch sein. Die Kräfte in Union und FDP, die für die Laufzeitverlängerung sind, werden versuchen die Debatte zu verschieben – bis die Ereignisse in Japan etwas in Vergessenheit geraten sind. Röttgen mag Aufwind bekommen, aber seine Gegner sind stark.

Und wie sind die Aussichten der AKW-Gegner, parlamentarisch und außerparlamentarisch?

Ich bin ganz optimistisch. Es gibt ja mehrere Fronten. Die Bevölkerung reagiert spontan und schnell. Das zeigen die 60.000 Demonstranten am Samstag. Außerdem wird es auch in der CDU Debatten geben. Viele Stadtwerke sind ja CDU-geführt, und die waren gegen die Laufzeitverlängerung, auch weil damit die Monopolstruktur im Energiemarkt betoniert wird. Zudem läuft unsere Klage gegen die Laufzeitverlängerung in Karlsruhe. Und bei der Bundestagswahl 2013 wird der Atomausstieg eine zentrale Rolle spielen. Viele sehen einfach, dass es ein Restrisiko gibt, das niemand ausschließen kann.

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