Barrierefrei ins Kino: Mit den Ohren sehen

Zur Berlinale sind hunderttausende Filmfans in der Stadt. Nicht alle können am Festival teilhaben: Kaum ein Berliner Kino ist behindertengerecht ausgestattet.

Ein Film gegen Barrieren im Kopf: "Ziemlich beste Freunde". Die Barrieren im Kinosaal sind dagegen noch reichlich vorhanden. Bild: dpa

Eine ganz besondere Vorführung der Berlinale gab es diese Woche im Haus der Berliner Festspiele: Die meisten Besucher des Films "Barbara" trugen Kopfhörer - und über die konnten sie mehr als nur die üblichen Dialoge der Schauspieler hören. Denn "Barbara" wurde in dieser Vorstellung mit Audiodeskription gezeigt. Bei diesem Angebot für blinde und sehbehinderte Menschen wird in den Dialogpausen des Films erzählt, was sonst unhörbar auf der Leinwand passiert. So können sehbehinderte Besucher dem Film genauso folgen wie sehende.

Eine seltene Gelegenheit: Auf der diesjährigen Berlinale gibt es insgesamt nur vier Vorstellungen, bei denen Audiodeskription angeboten wird. Für Hörgeschädigte sieht es sogar noch schlechter aus: Menschen mit Hörgeräten haben im Kino das Problem, dass das Gerät nicht zwischen dem Ton des Films und den Nebengeräuschen im Raum unterscheiden kann - so können Hörgeschädigte kaum etwas vom Film verstehen. Dagegen helfen kann eine induktive Höranlage, mit der der Filmton durch ein Magnetfeld direkt ans Hörgerät übertragen wird. Auf der Berlinale wird das aber nur bei einer einzigen Vorstellung angeboten, kein einziges Kino in der Stadt hat eine solche Anlage fest installiert. Und sogar Untertitelungen für Gehörlose gibt es nur in Ausnahmefällen.

"In Berliner Kinos ist die Situation für Menschen mit Beeinträchtigungen sehr schlecht", sagt Susanne Hellwig vom Projekt Mobidat, das eine Datenbank barrierefreier Einrichtungen in Berlin betreibt. Auf das Problem hat Mobidat schon letztes Jahr zur Berlinale aufmerksam gemacht. Aber nichts habe sich geändert, sagt Hellwig: "Vom Gemeinschaftserlebnis Kino werden Menschen mit Behinderungen oft ausgeschlossen."

Diese Erfahrung hat auch Raul Krauthausen gemacht, Gründer des Berliner Projekts Sozialhelden. Krauthausen, der wegen der sogenannten Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt, wollte mit einer ebenfalls rollstuhlfahrenden Freundin ins Cinemaxx-Kino am Potsdamer Platz gehen. Die beiden wurden jedoch abgewiesen. Begründung: Im gewünschten Saal gebe es nur einen Rollstuhlplatz - zwei Freunde seien da zu viele. Ein häufiges Problem in Berlin, denn in den meisten Kinos gibt es nur wenige oder gar keine Plätze für Rollstuhlfahrer. Die Sicht ist zudem oft schlecht - und die meisten großen Kinoketten bieten keinen Telefonservice mehr an, so dass es keine Möglichkeit gibt, vorher zu erfahren, ob der Film für Rollstuhlfahrer zugänglich ist oder nicht. "Erst ewig anzustehen, um dann zu erfahren, dass für Rollstuhlfahrer kein Platz ist - das ist sehr frustrierend", sagt Krauthausen.

Noch bis Sonntag laufen die Filmfestspiele in Berlin. Für die verbleibenden Vorstellungen findet sich auf der Festivalseite im Netz auch eine Übersicht aller Berlinale-Kinos mit Informationen zur Zugänglichkeit der Gebäude und der Anzahl der Rollstuhlplätze: www.berlinale.de

Eine detaillierte Übersicht zu barrierefreien Kultureinrichtungen in der Stadt gibt es auf der Seite des Projekts Mobidat, das eine Datenbank barrierefreier Einrichtungen in Berlin betreibt. 49 Kinos wurden für die Datenbank geprüft. Das Cubix am Alexanderplatz trägt als einziges Kino das Signet "Berlin barrierefrei", das vom Senat seit einiger Zeit an behindertengerechte Einrichtungen vergeben wird. www.mobidat.de (mag)

Auf seine Beschwerdemail reagierte das Cinemaxx zwar schnell, allerdings ohne eine Lösung anzubieten. "Aufgrund der geltenden Sicherheitsauflagen ist es uns nicht möglich, mehr Rollstuhlplätze einzubauen", heißt es in der Antwort des Kinos. Ein Argument, das Krauthausen nicht mehr gelten lassen will: "Seit 20 Jahren höre ich ständig nur Sicherheit und Brandschutz, wenn es um Probleme von uns Rollstuhlfahrern geht." Auch Wolfgang Heiden von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) sagt: "Brandschutz ist ein Totschlagargument. Niemand will darüber reden, welche Vorschriften es im Einzelnen tatsächlich gibt und ob man nicht doch eine Lösung finden könnte." In Hotels dürften Rollstuhlfahrer ja auch nicht nur im Erdgeschoss übernachten, obwohl Fahrstühle im Brandfall nicht benutzt werden sollen. "Hier scheint der Brandschutz nicht so wichtig zu sein", sagt Heiden.

Für die ISL hat Heiden einen Leitfaden zu barrierefreier Kinogestaltung mit kreativen Vorschlägen erstellt. "In den USA gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, ganze Sitzreihen kurzfristig abzumontieren und so Platz für Rollstuhlfahrer zu schaffen. Das ist eine progressive Lösung, wie wir sie uns auch in Deutschland wünschen", sagt Heiden.

Ein weiter Weg

Bis dahin ist es offensichtlich noch ein weiter Weg. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat, schreibt zwar das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben fest - dazu zählen auch Kinobesuche. Zu entsprechenden Maßnahmen müssen sich die Kinos aber bisher selbst verpflichten, und das ist noch kaum passiert. Gespräche zwischen Kinobetreibern und Behindertenverbänden seien bis jetzt immer an der Absage der Kinos gescheitert, sagt Heiden. "Hier muss die Politik Druck auf die privaten Kinobetreiber machen", fordert er.

Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Schneider, sieht in Berlin ebenfalls großen Nachholbedarf. Zwar habe sich die Zugänglichkeit von Kinos durch die vielen behindertengerechten Neubauten insgesamt verbessert. Gerade für Hör- und Sehgeschädigte gebe es aber immer noch sehr wenig Angebote. Viele Menschen würden sich dann eben zu Hause eine DVD ansehen, statt ins Kino zu gehen. "Mit Kino als sozialem Erlebnis hat das aber nichts zu tun", sagt Schneider. Er will prüfen, ob man Kinobetreiber durch entsprechende gesetzliche Vorschriften zu mehr Barrierefreiheit zwingen könne.

Ein Interesse an behindertengerechterer Ausstattung könnten die Kinos allerdings auch selbst entwickeln: Durch den demografischen Wandel gibt es immer mehr Menschen in der Stadt, die mit altersbedingten Gehschwierigkeiten oder Sinnesbeeinträchtigungen zu kämpfen haben. Wenn die Kinos sich diese Gruppe als Kunden erhalten wollen, werden sie um mehr barrierefreie Angebote nicht herumkommen.

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