Bassist Hughes über das Leben als Jazzmusiker: „Das Ego ist wichtig“

Der Bassist John Hughes kam aus Baltimore nach Hamburg. Heute spielt er alle paar Tage ein Konzert. Ein Gespräch über den eigenen Klang und das Gemeinsame.

Konnte in Hamburg anfangs gar keine Energie spüren: John Hughes Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Hughes, Sie spielen alle paar Tage ein Konzert. Manchmal ist das Publikum überschaubar. Wann haben Sie das Gefühl, erfolgreich zu sein?

John Hughes: Ich bin fast nie zufrieden. Wenn ich als Bassist eine Funktion erfülle, kann ich beurteilen, an welcher Stelle ich gut war. Es ist aber sehr selten, dass alles sitzt. Das Schöne an der freien Musik ist, dass diese Maßstäbe ein bisschen wegfallen. Wenn du dann das Gefühl hast, dich mit den anderen Musikern verstanden zu haben und alle Beteiligten im Raum einbezogen waren, dann kann man vielleicht sagen, das Konzert war ein Erfolg.

Wie wichtig ist es Ihnen, dass das Publikum Sie versteht?

Ich glaube, es ist ganz falsch, als Musiker zu viel an das Publikum zu denken. In Situationen, die mir besonders am Herz liegen, ist es so, dass wir in einer Band Stücke interpretieren und ich versuche, mich wohlzufühlen. In einer Band spielen wir Stücke von Thelonious Monk, einem der ersten Jazzmusiker, der mich angesprochen hat und mit dem ich mich nun schon seit 25 Jahren beschäftige. Wenn wir spielen, muss ich das Gefühl haben, mich damit zu identifizieren. Beim Musizieren will ich nicht so viel denken, sondern ein Rezeptor sein.

Wie viel Zeit verbringen Sie am Kontrabass?

Ich versuche jeden Tag zu spielen, manchmal habe ich acht Stunden Zeit dafür und manchmal nur zwei. An manchen Tagen fange ich an, über eine längere Zeit nur einen Ton zu spielen, um zu schauen, wie der Sound des Instruments ist.

Was ist Ihr Ziel?

Ich versuche, meinen eigenen Klang und mein Gehör immer weiterzuentwickeln. Wenn du als Saxophonist modernen Jazz spielen willst, hörst du am Anfang John Coltrane rauf und runter und klingst vielleicht auch ein bisschen so. Obwohl ich Coltrane vergöttere, will ich nicht mit jemandem spielen, der so klingt wie er. Denn ihn gab es ja schon.

45, Kontrabassist aus Baltimore. Geboren in Rochester, New York, studierte Musik am Montgomery Community College im Rockville, Maryland. 1991 zog er nach Baltimore.

Seit 1998 wohnt Hughes in Hamburg. Er spielt Bass in Free-Jazz-Bands wie „Piho Hupo“, der „Monk Tribute Band“ Winntizki/Hughes/Lücker und Zead Khawams „Oriental Band“. Er komponiert für das Piano-Trio „Hosho“, das er leitet.

Hughes organisierte und kuratierte diverse Prrogramme wie Multiphonics, eine Konzertreihe für freie improvisierte Musik, Free Jazz und Performance.

Wie unterscheidet sich der Jazz in Deutschland von dem in den USA?

Als ich nach Hamburg kam, konnte ich mich nicht wirklich gut mit der Jazz-Szene identifizieren. Das, was hier im Birdland und Dennis Swing Club lief, war für mich ein bisschen zu traditionell. Es war sehr streng und akademisch. Mittlerweile glaube ich, dass ich mich früher zu wenig für manchen traditionellen Jazz interessiert habe. Früher interessierte ich mich vor allem für die Jazztradition der Fire Music und des Free Jazz der späten 50er- und 60er-Jahre und Musiker wie Dolphy, Ornette Coleman und Cecil Taylor. Doch mit der Zeit habe ich gelernt, auch andere Protagonisten zu schätzen. Musikerinnen wie Sarah Vaughan oder Anita O’Day haben auch einen unverzichtbaren Beitrag geleistet.

Was war in Baltimore anders?

Dort hatte ich mehr Freiheit, mich in der Musik zu bewegen. Vielleicht konnte ich mich dort in einer utopischen, unrealistischen Situation austoben. Seit vielleicht fünf Jahren habe ich in Hamburg viel mehr Möglichkeiten, in unterschiedlichen Besetzungen zu spielen. Ich glaube allerdings, dass heutzutage ein Großteil der Jazz-Straight-Ahead-Musik akademisch ist. Das liegt daran, dass die Hochschule der Ort ist, an dem diese Musik weiterlebt. Und um als Jazzmusiker durchzuhalten, musst du dein Leben finanzieren. Die meisten Leute müssen deshalb Unterricht geben – privat oder an der Hochschule.

Ist Baltimore wirklich so verroht, wie es in der US-amerikanischen Fernsehserie The Wire dargestellt wird?

Es ist ja schon einige Jahre her, dass ich da war. Als ich nach Baltimore zog, wohnte ich in einer WG in einem Viertel namens Pig Town. Das hieß so, weil dort früher der Schlachthof war und die Schweine durch die Straßen liefen. Die Wohnung lag an einem Gleis im armen weißen Viertel, auf der anderen Seite war das arme afroamerikanische Viertel. Die Trennung war ziemlich extrem. In Baltimore kann man gut sehen, was in den Staaten alles schiefläuft: Es gibt dort sehr viel Armut, leere Häuser, Drogen und Arbeitslosigkeit. Viele afroamerikanische Väter sitzen im Gefängnis und die Kinder verkaufen Drogen. Ich arbeitete in einem Café, das mehrfach überfallen wurde. Das ist eine Erfahrung, die einem die Augen öffnet.

Wie wirkt sich dieser Zustand auf die Musik aus?

Ich hatte damals mehr mit der subkulturellen Postpunk- und Hardcore-Szene zu tun. Ich glaube schon, das hat etwas mit der Stadt zu tun. Diese de­struktive Energie kommt aus der Stadt und landet auch in den Suburbs.

Welche Energie hat Hamburg?

Eine völlig andere als Baltimore. Ich konnte in Hamburg anfangs eigentlich gar keine Energie spüren. Die Spannung war völlig weg. Ich hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass ich zum ersten Mal frei rumlaufen konnte, ohne mich verfolgt zu fühlen.

Warum zieht ein Jazzmusiker aus Baltimore nach Hamburg?

Der Grund war nicht die Musik. Ich hatte in Baltimore jemanden kennengelernt. Sie war Deutsche und wir sind zusammen nach Hamburg gezogen. Ich wusste null über Hamburg – und auch wenig über Deutschland. Natürlich wusste ich, dass Musiker wie Eric Dolphy nach Europa gekommen sind, um hier zu leben und um mit der Musik, die ihnen am Herzen liegt, ihr Leben zu finanzieren.

Hosho: Mo, 11. 12., 20:30 Uhr, Jazzraum im Hafenbahnhof, Große Elbstrasse 276

Winnitzki/Hughes/Lücker feat. Rudi Mahall spielen Thelonious Monk: Mi, 20. 12., 19 Uhr im Kino Metropolis, Kleine Theaterstraße 10, (mit Filmvorführung „Straight No Chaser“)

Jazz in the Grete: Do, 21. 12., 20 Uhr, Margaretenstr. 33

Und wie ist es Ihnen ergangen?

Das größte Problem war für mich, dass die Möglichkeit zu spielen oft an irgendeinen Kommerz gebunden war. Wenn du spielen willst, brauchst du eine Band, die dienstleistet – im besten Fall auf einer Party. Da ist Jazz dann die Hintergrundmusik. Zum Ausgleich machen Musiker dann eine Session, bei der man mit anderen Musikern in einen Wettbewerb tritt. Auch das hat mich nicht interessiert.

Was stört Sie daran genau?

Eine Band, mit der man sich gut verkaufen kann und eine Session, auf der man sich musikalisch austoben kann, indem man die anderen runtermacht – beidem fehlt der Sinn von Gemeinschaft. Vielleicht ist es das, was bei mir vom Do-It-Yourself-Postpunk-Feeling übrig geblieben ist: Wir machen es besser, wenn wir es zusammen machen. Natürlich ist das Ergebnis deshalb nicht immer positiv. Aber es war mir immer wichtig, gemeinsam etwas Schönes zu gestalten.

Hat der Umzug Sie als Musiker zurückgeworfen?

Zunächst hatte ich nicht so viele Möglichkeiten, zu spielen. Aber dann hatte ich Glück, Musiker wie Heiner Metzger, Heinz-Erich Gödecke und Chad Popple kennenzulernen. Sie haben mich durch die kleine Welt der experimentellen Musik in Hamburg geführt.

Was ist das für eine Szene, die zu Freejazz-Konzerten geht?

Vielleicht ist Szene der falsche Begriff. Ich glaube, es gibt in Hamburg keine wirkliche Freejazz-Szene. Allerdings gibt es heute mehr Konzerte für freie Improvisation und Free Jazz. Das liegt daran, dass der Verband für aktuelle Musik, das Hamburg Jazz Büro und andere sich für Konzertreihen einsetzen.

Es heißt, dass in Deutschland nur etwa hundert Musiker von Jazzmusik leben können. Gehören Sie dazu?

Nein, ich kann nicht vom Konzertieren leben. Ich merke, dass es bei mir ein bisschen besser wird. Aber nur, weil ich mich öffne.

Das heißt, Sie machen mehr Auftragsarbeit?

Ich nehme auch Anfragen an, bei denen ich Musik mache, die ich selbst nicht auf die Beine stellen würde. Ich nehme aber nicht jeden Auftrag an. Es ist mir immer noch wichtig, dass ich dabei etwas lernen werde. Musik ist ein guter Arbeitsplatz dafür, sich weiterzuentwickeln.

Was meinen Sie damit konkret?

Ich arbeite in einem Inklusionsprojekt „Barner 16“, bei dem ich in einer Band mit Leuten mit und ohne Behinderung spiele. Da bin ich schon seit neun Jahren, immer zu festen Arbeitszeiten.

Davon leben Sie?

Ja, zu einem Teil. Ich gebe auch Musikunterricht. Aber ich hoffe, dass ich niemals zu dem Punkt komme, dass ich das zu viel machen muss. Die Indus­trie hat sich durch das Medium, das die Musik präsentiert, in den letzten Jahren gewaltig verändert. Die meisten Musiker verdienen heutzutage nur noch Geld durch das Konzertieren. Ein präsentierbares Produkt deiner Arbeit, das, was früher eine Platte war, das gibt es nur noch sehr selten. Allerdings wollte ich es früher unbedingt vermeiden, mit Musik Geld zu verdienen. Da wollte ich nur das machen, was mir am Herzen liegt.

Nicht das, was dem Massengeschmack entspricht …

Ich hatte in jeder Wohnung Probleme mit den Nachbarn. Das extremste war, als ich frisch hierhergezogen bin. Da hat eine Nachbarin auf die Tür gehämmert und mich angeschrien – ich habe kein Wort verstanden.

Wie sehr verfolgen Sie, was andere Musiker aktuell so machen?

Eine Aufgabe für mich als Musiker ist es zu wissen, was es für Musik gibt. Die Jazzmusiker, die mich am meisten interessieren, haben gewusst, was es in deren Zeit gab. So wie Charles Mingus, der sich mit der Zwölftonmusik von Arnold Schönberg auseinandergesetzt hat.

Ist der Bassist der heimliche Star einer Band?

Du hast als Bassist unglaublich viel Macht und Verantwortung. Man darf diese Macht nicht missbrauchen. Beim Bass spürt man, was passiert.

Was ist das für eine Macht?

Oft hat man eine Rolle zu erfüllen, aber wenn du genug Freiheit hast, kannst du alles beeinflussen. Du kannst über den Rhythmus und die Harmonie die Musik in eine andere Richtung führen.

Das heißt, Egozentriker sollten lieber nicht zum Bass greifen?

Du verbringst so viel Zeit allein mit dem Instrument. Es ist leider ein Nebenprodukt des Musizierens, egozentrisch zu sein. Das Ego ist wichtig, um seine Identität zu finden und sich zwischen so vielen Meinungen über die Musiktradition zu positionieren. Manchmal muss man sich auch vor anderen schützen, weil deren Meinung für dich giftig ist. Das Ego darf aber nicht die Musik übertönen.

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