Bauern gegen Verbot von Ferkelkastration: Hoden ab – ohne Betäubung

Der Bauernverband will verhindern, dass ab Januar Ferkel nur noch unter Betäubung kastriert werden dürfen. Er könnte das schaffen.

Ein kleines Ferkel wird von Händen mit blauen Handschuhen getragen

Wird dieses Ferkel mit oder ohne Betäubung kastriert? Foto: dpa

BERLIN taz | Ein Landwirt hebt ein Ferkel hoch, klemmt es zwischen seine Oberschenkel. Dann greift er zu einem Skalpell. Er setzt es an einem Hoden des Tieres an – und schneidet eine etwa ein Zentimeter große Öffnung in die Haut. Das Ferkel schreit.

Nun der zweite Hoden. Ein weiterer Schnitt. Jetzt drückt der Mann die Hoden einzeln aus dem Hodensack heraus und schneidet den Samenstrang durch. Das Tier ist kastriert. Es schreit immer noch vor Schmerz ob der klaffenden Wunde.

An solchen Szenen lassen Landwirte Journalisten nur noch selten teilhaben: zu grausam, zu schlecht fürs Image. Aber diverse Videos im Internet zeigen, wie Ferkeln ohne Betäubung die Hoden herausgeschnitten werden.

Jedes Jahr werden so in Deutschland rund 20 Millionen männliche Ferkel kastriert. Der Grund: Wegen der Sexualhormone würde andernfalls das Fleisch von 2 bis 10 Prozent der Eber stinken, wenn es in der Pfanne landet.

Ab dem 1. Januar 2019 verlangt das Tierschutzgesetz, dass die Ferkel für den Eingriff betäubt werden müssen. Doch die Agrarlobby tut alles, um das zu verhindern. Auf ihr Bitten hin hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, um das Verbot der Kastration ohne Betäubung um 5 Jahre zu verschieben. Am Montag will der Agrarausschuss der Kammer darüber entscheiden.

Bauern wollen sich den Tierarzt sparen

„Wir brauchen eine Fristverlängerung“, sagt Johannes Röring, der den Fachausschuss „Schweinefleisch“ des Deutschen Bauernverbands leitet. Denn die bisher erlaubten Alternativen zur betäubungslosen Kastration von Ferkeln reichen der Organisation nicht. Röring will, dass die Bauern die Schweine auch selbst betäuben dürfen – nur lokal und ohne Tierarzt. So lange die Bundesregierung diese Möglichkeit nicht zulässt, soll nach Meinung des Bauernverbands erst einmal weiter ohne Betäubung kastriert werden.

Doch Tierschützer lehnen die örtliche Betäubung durch die Bauern ab. Denn das Betäubungsmittel muss durch mehrere Stiche in Samenstrang und Hoden gespritzt werden. Das sei so schmerzhaft wie die Kastration ohne Betäubung, kritisiert Angela Dinter, Fachreferentin der Organisation Provieh. Nichtmediziner träfen auch sicherlich nicht immer die richtige Stelle. Laut Tierschutzbund betäuben die jetzt zugelassenen Mittel ungenügend.

Die Tierrechtsorganisation Peta argumentiert ähnlich wie die Bundestierärztekammer, dass Laien nicht mit Narkosemitteln potenziell lebensgefährliche Injektionen vornehmen dürften.

Warnung vor Betrug

Eine weitere Sorge ist: Manche Landwirte könnten behaupten, mit örtlicher Betäubung zu kastrieren, sich die Anästhesie aber in Wirklichkeit sparen. Wenn kein externer Zeuge – etwa ein Tierarzt – dabei ist, lassen sich solche Verstöße kaum beweisen.

Die Vollnarkose mit dem Gas Isofluran hingegen muss ein Tierarzt durchführen. Auch deshalb ist dieses Verfahren mit ungefähr 4,40 bis 5 Euro pro Ferkel allerdings auch teuer; die lokale Betäubung durch den Landwirt selbst kostet wohl nur 50 Cent. Der Bauernverband behauptet zudem, dass die Vollnarkose „nicht immer“ effektiv sei und befürchtet „absehbare Verluste“ von Ferkeln.

Landwirte mit dem Neuland-Siegel für tiergerechtere Haltung betäuben ihre Tiere allerdings schon seit rund 10 Jahren mit Isofluran – erfolgreich, wie die Organisation sagt. Umgerechnet auf 100 Gramm Wurst oder Fleisch betrage der Preisaufschlag für den Verbraucher maximal 7 Cent. Auch in der Schweiz und bei vielen Biobetrieben ist die Narkose mit Isofluran die gängige Methode.

Impfen gegen Sexualhormone

Eine andere Lösung ist, ganz auf die Kastration zu verzichten und die wenigen „Stinker“ nicht für sensible Lebensmittel zu verwenden. Bereits 10 bis 15 Prozent der Eber in Deutschland werden nicht kastriert. „Danach ist aber der Markt gesättigt, und mehr geht eben nicht“, sagt ein Sprecher des Schlachtunternehmens Westfleisch der taz. Viele Fleischfirmen wollten einfach nicht mehr Eberfleisch, das teilweise schwieriger zu verarbeiten ist.

Angela Dinter von Provieh widerspricht dem. „In Großbritannien zum Beispiel gibt es fast nur Ebermast“, sagt die Tierschützerin. Sie weist auch das Argument zurück, nicht kastrierte Eber seien aggressiver, weshalb sie sich häufig gegenseitig verletzten. Die Tiere bräuchten einfach mehr Platz und mehr Beschäftigungsmaterial. Aber auch das verursacht zusätzliche Kosten für die Landwirte.

Provieh empfiehlt unter anderem, Eber mit dem Medikament Improvac zu behandeln, damit sie keine Geschlechtshormone und damit auch nicht den unerwünschten Geruch entwickeln.

Aber der Westfleisch-Sprecher sagt: „Dieses Fleisch ist aus psychologischen Gründen nicht vermarktbar.“ Vor dem Hintergrund der Kritik an „Hormonfleisch“ sei es zu schwierig, die Konsumenten über diese Methode aufzuklären.

„Der Verbraucher interessiert sich dafür null“, entgegnet Tierschützerin Dinter. Ihm sei es ja auch egal, dass Sauen regelmäßig mit Hormonpräparaten behandelt werden, damit sie alle am gleichen Tag ihre Ferkel gebären. Der Bioverband Naturland setzt Improvac bereits ein. Protest von Konsumenten gebe es nicht, sagt Dinter.

Schweine vor dem Brandenburger Tor

Vor allem aber argumentiert der Bauernverband, die deutschen Sauenhalter würden gegenüber ihren Konkurrenten in Dänemark und den Niederlanden schlechtergestellt. Denn dort dürfen die Bauern die Ferkel selbst betäuben und so Geld sparen. Schon jetzt importiert Deutschland rund ein Fünftel der Ferkel aus diesen Ländern. Diese Zahlen könnten noch steigen und „ein großer Teil der insbesondere kleinen und mittleren Ferkelerzeugerbetriebe wegbrechen“, so der Bauernverband. Die Tierschützer haben dafür wenig Verständnis. Schließlich habe die politisch sehr gut vernetzte Branche seit fünf Jahren von dem Ausstiegstermin im Januar gewusst.

Ulrich Jasper, Geschäftsführer der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, umreißt dagegen einen möglichen Kompromiss: „Wir könnten uns eine Fristverlängerung um ein halbes, maximal ein Jahr vorstellen, aber nur dann, wenn den Betrieben von Bund und Ländern klare Handreichungen gegeben werden, wie sie es denn machen sollen.“ Der Staat könnte zum Beispiel die Narkosegeräte bezuschussen.

Gut möglich, dass der Bauernverband eine Fristverlängerung bekommt, wenn auch kürzer als gefordert. Er ist eng mit den Regierungsparteien CDU und CSU verbunden. Johannes Röring vom Deutschen Bauernverband sitzt sogar für die CDU im Bundestag. Eigentlich muss er nur noch den Koalitionspartner SPD ins Boot holen. Dafür droht Röring offen mit medienwirksamem Druck.

Auf die Frage, was passieren werde, wenn die Beschlusslage unverändert bleibt, antwortete der Funktionär kürzlich Journalisten in Berlin: „Dann werden wir Schweine unter dem Brandenburger Tor sehen.“

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