Bauhistorie: Denkmalschutz light

In Hamburg-Harburg bleibt von einem denkmalgeschützten Getreidesilo nur die Silhouette erhalten. Das Gebäude avanciert damit zum Sinnbild der Hamburger Kulturpolitik, die im Zuge der Haushaltssanierung das Denkmalschutzamt verkleinern will.

Das Augustinum gilt als Vergleichsfall für den Hansen-Speicher: Ein völlig neues Gebäude, abgesehen von der Silhouette. Bild: Hannes von der Fecht

Ach, das Alte - es hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Zwar ist es in aller Munde - in den meisten Fällen aber nur als Lippenbekenntnis. In Hamburg lässt sich dieser traurige Sachverhalt mustergültig am Beispiel des neuen Kultursenators Reinhard Stuth (CDU) erzählen. Der bezeichnete beim Amtsantritt in einem Interview mit der Welt den Denkmalschutz und dessen Bemühen um "unser kulturelles Erbe" als "Schwerpunkt" seiner Arbeit. Nun dampft er, um die Sparvorgaben des Senats in der Behörde umzusetzen, das in Hamburg ohnehin kleine Denkmalschutzamt ein: Von 26 Stellen sollen acht entfallen (taz berichtete).

Es liegt auf der Hand, was dieser Substanzverlust in Hamburg ergeben wird: einen Denkmalschutz, der alte Substanz nicht mehr gegen neue Begehrlichkeiten verteidigen kann, einen Denkmalschutz light. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Gebäude als sinnbildlich und zukunftsweisend, das bislang kaum wahrgenommen wurde.

Dieses Gebäude stand auf der Schlossinsel in Hamburg-Harburg und wird dort bald wieder stehen. Allerdings nur der Form nach. Die Kubatur, die sichtbaren Umrisslinien des Gebäudes, werden dieselben, ansonsten wird alles, aber auch alles am alten Hansen-Speicher neu und anders sein.

Gebaut wurde das markante Getreidesilo im Harburger Hafen 1920, als massiger, grauer Baukörper aus Stahlbeton, der auf einem Backsteinfundament ruhte. In diesem Sommer abgerissen, soll der Speicher am Wasser nun als achtgeschossiges Wohnhaus mit einer hellen, geschlämmten Klinkerfassade auferstehen. Das seit 1997 nicht mehr genutzte Bauwerk stand als gewichtiger Zeuge der Industriegeschichte Harburgs unter Denkmalschutz.

Dann aber kamen die Pläne zum Bau einer "Harburger Hafencity" auf den Tisch. 60 Millionen Euro will sich der Bauherr, die Provinzial Rheinland, das Viertel auf der Schlossinsel kosten lassen, Projektentwickler ist das Hamburger Unternehmen Lorenz + Partner. Der Hansen-Speicher sollte in diesem Zug fürs Wohnen umgebaut, die Substanz aber so weit wie möglich erhalten werden. Dummerweise stellten sich dann aber Schäden an der Pfahlkonstruktion des Fundaments heraus, die einen Umbau unmöglich machten. Und so gelang es den Denkmalschützern nur noch, anstelle der Substanz den Schein zu wahren: Das Amt verpasste dem neuen Bau die Silhouette des alten.

Das ist Denkmalschutz als Fingerzeig: Hier war mal was (und ist nicht mehr)! Man könnte auch von einem postmodernen Denkmalschutz sprechen. Um es spaßeshalber in der gewunden Sprache der "Dekonstruktion" zu sagen: Das Abwesende (der alte Hansen-Speicher) wird in seiner Abwesenheit markiert (durch die Kubatur) und damit bewahrt - als Spur dessen, was einmal vorüberging. Fein was?

Da ist es wohl erhellender, von einem "standortpolitischem Denkmalschutz" zu sprechen. So gibt es im Fall des Hansen-Speichers zu denken, dass der Leiter des Hamburger Denkmalschutzamtes, Frank-Pieter Hesse, dem Areal der Schlossinsel eine glänzende Zukunft attestiert: als "eine sichtbar auf ihre Geschichte gegründete, außergewöhnliche Adresse von herbem Charme". Darin steckt eine Indienstnahme der Geschichte. Denn die muss nun herhalten, um dem Neuen den Anschein von Charakter und Individualität zu verleihen - und damit dessen Vermarktbarkeit zu steigern.

Denkmalschutz light ist so gesehen nichts weiter als eine Facette in der totalen Ökonomisierung des Raums. So wundert es auch nicht, dass im bislang einzig vergleichbaren Fall zum Hansen-Speicher der Denkmalschutz gar nicht beteiligt war: 1993 errichtete das Architektenbüro gmp den Edelseniorenwohnsitz Augustinum an der Hamburger Hafeneinfahrt bei Neumühlen. In derselben Kubatur, die das zuvor abgerissene expressionistische Kühlhaus für argentinisches Trockenfleisch hatte. "Herben Charme" wissen Immobilienentwickler auch ohne Denkmalschützer zu goutieren.

Nicht, dass Denkmalschutz keinen Bezug zum ökonomischen Nutzkalkül habe dürfe. Im Gegenteil, den hat Denkmalschutz immer. Jeder Euro, den man in ihn hineinstecke, fließe um das Vierfache, manchmal um das 15-fache zurück, schreibt der Journalist und Architekturkritiker Hanno Rauterberg, der als stellvertretender Vorsitzender im unabhängigen Hamburger Denkmalrat sitzt.

Auch ist es nicht so, dass der Denkmalschutz keinen Bezug haben dürfte zur Zukunft. Auch den hat er immer. Allerdings nicht im Sinne einer Einverleibung der Geschichte für die Stadtentwicklung, sondern indem das Alte bewahrt wird als Stachel im Fleisch der schönen neuen Welt. Denkmäler (oder sollte man lieber sagen: Wundmäler?), stellten einen Bezug zum Offenen her, seien ein Korrektiv der Gegenwart, schreibt Rauterberg in dem jüngst erschienenen Pocket-Architekturführer "Hamburg: Architektur der sich wandelnden Stadt". Denkmäler schärften den Möglichkeitssinn, den Sinn für die Gebrechlichkeit des Gewordenen: Indem sie zeigten, was einmal war, führten sie vor, dass auch in Zukunft vieles, vielleicht alles anders sein könnte.

Nun müsste dafür in Hamburg erst einmal das Denkmalschutzamt sofort unter Schutz gestellt werden. Denn wird das Amt um ein Drittel seiner Belegschaft verkleinert, droht ein Ausnahmefall Alltag zu werden: Denkmalschutz ohne Denkmal.

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