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Bayerischer Satiriker Polt über Trachten„Das ist nicht konservativ für mich“

Das Tragen von Tracht soll man ernst nehmen, sagt der Autor, Kabarettist und Bayern-Erklärer Gerhard Polt. Aber nicht zu ernst. So wie alles andere.

Stefan Hunglinger
Interview von Stefan Hunglinger

taz: Herr Polt, nehmen wir die Tracht zu wenig ernst? Oder zu ernst?

Gerhard Polt: Wer ist wir?

taz: Die Gesellschaft.

Polt: Ich kann für die Gesellschaft nicht reden. Ich kann nur sagen, dass ich Leute kenne, die die Tracht mögen, und eigentlich keine Leute kenne, die sie nicht mögen. Wenn Leute die Tracht nicht tragen, heißt das ja nicht, dass sie die Tracht nicht mögen. Ich wohne im Oberland, am Schliersee, und hier ist natürlich die Tracht der Ausdruck einer gewissen Zusammengehörigkeit. Jedes Jahr im November, am Leonhardstag, gibt es bei uns einen Pferdeumzug mit Reitern und Wagen und da hocken dann die Frauen drin im Schalk, der Festtagstracht. Und wenn man so einen Schalk einmal gesehen hat von den Frauen, dann muss ich sagen: Das ist eine tolle Sache. Also mit Sicherheit für jemand, der schneidert oder so, ist der Schalk eine Herausforderung. Und soweit ich weiß, ist so etwas nicht billig. Das hat eine gewisse Qualität. Und die Männer haben natürlich die berühmte kurze Hose bei uns oder die lange Bundhose.

taz: Wir haben Sie schon oft im Trachtenjanker gesehen, aber noch nie in einer Lederhose. Haben Sie überhaupt eine?

Polt: Eine Lederhose hab ich nur als kleiner Bub gehabt, danach nicht mehr. Aber ich trag’ die Joppe (Trachtenjacke – Anm. d. Red.) und ich hab eine Joppe, die hab ich gekriegt von einem, der ist gestorben. Er hat sie mir kurz vorher gegeben, weil er sie auch schon gehabt hat von einem, der gestorben ist. Ich habe jetzt also eine Miesbacher Joppe, wo zwei Leute sozusagen rausgestorben sind.

Gerhard Polt

Der Mensch

Gerhard Polt, 83 Jahre alt, ist Kabarettist, Autor, Schauspieler und philosophischer Deuter alles Bayerischen. Geboren wurde er 1942 in München. Wenige Monate später zog seine Mutter aus Furcht vor Bombenangriffen mit dem Kind in einen katholischen Wallfahrtsort. „Ich bin eine Zeit lang in Altötting aufgewachsen“, sagte Polt einmal, „was sehr günstig ist, wenn man Komiker werden will.“ Auf das Abitur folgte ein Studium der Politikwissenschaft an der Hochschule für Politik München sowie der Geschichte an der Universität München, anschließend eines der Skandinavistik und des Altgermanischen von 1962 bis 1968 in Göteborg. Polt spricht fließend Schwedisch und trat mit einem schwedischsprachigen Bühnenprogramm vor König Carl XVI. Gustaf auf. Polt ist seit 1971 verheiratet und hat einen Sohn. Er lebt in Neuhaus am Schliersee, in München und im italienischen Küstenort Terracina.

Die Bühne

1976 sendet der Hessische Rundfunk Polts erstes Hörspiel: „Als wenn man ein Dachs wär in seinem Bau“ handelt von Menschen, die durch die Stadtsanierung aus der Münchner Amalienstraße vertrieben werden. Polt übernahm darin selbst mehr als 30 verschiedene Sprechrollen. Es folgten Stücke an den Münchner Kammerspielen, unter anderem „Diridari“ und „Tschurangrati“, gemeinsam mit dem Regisseur Hanns Christian Müller und Schau­spie­le­r:in­nen Dieter Hildebrandt, Otto Grünmandl und Gisela Schneeberger. Einem noch größeren Publikum wurde Polt durch seine Sketchreihe „Fast wia im richtigen Leben“ im Bayerischen Rundfunk bekannt.

Die Filme & Bücher

Es folgten Kinofilme wie „Kehraus“, „Man spricht deutsh“ und „Germanikus“. Seit 1980 wird Polt von der Musik- und Kabarettgruppe Biermösl Blosn begleitet, 1990 wirkte er zusammen mit der Gruppe an dem Toten-Hosen-Album „Auf dem Kreuzzug ins Glück“ mit. 2005 tourte er mit Toten Hosen und Biermösl Blosn durch Theater und Opernhäuser. Seine Bücher „Dr. Arnulf Schmitz-Zceisczyk“, „Hundskrüppel“, „Braucht's des?“, „Nikolausi“, „Mit Respekt“ und Ich muss nicht wohin, ich bin schon da sind im Verlag Kein & Aber erschienen.

Das Kontroverse

In seinen Rollen spielt Polt oft den engstirnigen deutschen Bürger mit Hang zur Intoleranz („Toleranz ist kein deutscher Begriff“) und zum Rassismus („der Asiate schmutzt nicht“). Aber auch Neureiche, Beamte, den Papst („Ventilatione!“) sowie bayerische Politiker und Politikwissenschaftler: „The idea of Freibier in Bavaria is deeply religious. The more you drink the earlier the ghost of democracy is visible.“ An anderer Stelle sagte Polt einmal: „Der Freistaat Bayern – das ist eine Demokratie. Kein Mensch hier bei uns wird gezwungen, eine Minderheit zu sein. Ein jedweder hat das Recht, sich zur Mehrheit zu bekennen.“ 1983 reiste Polt im Kalten Krieg per Zug nach Moskau und schenkte auf dem Roten Platz Freibier aus. Im April 2022 war er einer von 28 Erst­un­ter­zeich­ne­r:in­nen eines Offenen Briefs an Bundeskanzler Scholz, der sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aussprach und in der Emma erschien.

taz: Das gehört auch zur Tracht, oder? Dass man die teuren, guten Stücke weitervererbt?

Polt: Ja, eine gewisse Kleidung, eine Joppe, eine Lederhose, kann man weitervererben, das kann man machen.

taz: Macht das einen Unterschied für Sie auf der Bühne, ob das Publikum in Tracht vor Ihnen sitzt oder im Jogginganzug?

Polt: Nein, eigentlich nicht. Wobei ich sagen muss, wir haben gerade eine Vorstellung in Neufahrn bei Wolfratshausen gehabt, im Bierzelt. Da waren viele im Publikum direkt aus der Umgebung und kannten sich, zum Beispiel von der Freiwilligen Feuerwehr, die waren sich ziemlich nah. Das macht dann einen Unterschied. Wenn man jetzt in einer Großstadt auftritt, kommen die Leute oft von überall her und kennen sich nicht.

taz: Die Tracht ist ja vor allem sichtbar bei Umzügen wie dem Leonhardiritt, bei Heimatabenden und Festen. Gäbe es ohne den Touristen überhaupt einen Trachtler? Wird der Trachtler erst Trachtler im Auge des Touristen?

Polt: Ich glaube, dass es Touristen gibt, die die Tracht sehen wollen als etwas Farbiges und sich drüber freuen. Die schauen sich Festzüge an, aber die Einheimischen genauso. Es ist einfach ein Spektakel, weil die Trachten zum Teil einfach sehr schön und augenfällig sind. Manche Leute, die das nicht so kennen, sind erstaunt, was es da alles gibt. Manchen ist wurscht, warum es die Tracht gibt, die vertiefen nicht, woher sie kommt. Aber es gibt auch Leute, die können genau an den verschiedenen Knöpfen oder Stoffen erkennen, woher die Tracht kommt. Das sind Nuancen in der Tracht, genau wie im Sprachlichen. Wir wissen ja: In verschiedenen Tälern und verschiedenen Gegenden haben die Leute einen ähnlichen Dialekt, aber doch unterscheiden sie sich zum Teil immer noch in bestimmten Ausdrücken oder mit bestimmten Formulierungen.

Die Rechtsradikalen laufen nicht unbedingt in einer Trachtenjoppe rum. Dass man denkt, die wären an der Kleidung erkennbar, finde ich merkwürdig

taz: Womit wir wieder bei der Zugehörigkeit wären.

Polt: Ja, freilich. Für Leute, die das wissen und sich dafür interessieren. Der größte Trachtenzug, glaube ich, ist ja der Oktoberfestzug, wo die Trachtler aufmarschieren am Anfang. Und das ist wirklich malerisch, das hat ja etwas, wenn die Leute von Weiß-der-Teufel-woher nach München kommen und ihre Trachten zeigen. Man ist immer wieder erstaunt, welche verschiedenen Formen es da gibt.

taz: Bis in die Neunzigerjahre hat außer auf dem Festzug niemand auf dem Oktoberfest Lederhosen oder Dirndl getragen. Warum gibt es dort jetzt diesen Trachtenhype?

Polt: Ich weiß es selber nicht genau. Es ist halt ein Modesache, dass die Menschen vielleicht glauben, dass es gut wäre, sich so zu verkleiden, wenn sie da hingehen. Ein Muss ist es nicht, niemand wird gezwungen. Es gibt aber jetzt sogar einen Kostümverleih, hab ich gehört. Du kannst dir ein Dirndl oder so was leihen und dann da auftreten im Bierzelt. Es ist eine Sache, wo ich mich wundere, warum das so ist. Es ist schwierig: Warum ist eine Mode eine Mode?

taz: Das Oktoberfest ist ein Exportschlager. In Brasilien gibt es eins, in New York, Hongkong und sogar in Ramallah gab es jahrelang ein bayerisches Bierfest. Woher kommt diese Faszination?

Polt: Ich war einmal in Carrara, in Italien, wo der Marmor herkommt. Da haben die ein Oktoberfest gehabt, das war verrückt! Ich schätze, diese Feste haben etwas Kommunikatives. Man geht davon aus, dass bei diesen Festen Leute schnell miteinander in Kontakt kommen. Ohne Förmlichkeiten, ohne irgendwelche sozialen Hürden. Das stimmt und stimmt gleichzeitig nicht. Weil wir wissen ja, dass es am Oktoberfest zum Beispiel durchaus Zelte für die Großkopferten gibt oder auch innerhalb eines Zeltes Plätze für die Großkopferten. Im Freien ist da aber immer noch die Möglichkeit, dass sich der Professor und der Taxifahrer gegenübersitzen und es ist wurscht, was einer ist.

taz: Auch die Sor­b:in­nen in der Lausitz haben eine Tracht, es gibt die Schaumburger Tracht in Niedersachsen und in Dortmund und Hannover sieht man zuweilen die kurdische Tracht. Im Ausland aber steht die bayerische Tracht oft für Deutschland als Ganzes. Warum?

Polt: Ich glaube, da vermischen sich Sachen. In Amerika zum Beispiel wissen die Leute nicht den Unterschied zwischen Bayern und Tirol, für die ist das eins. Richtig ist, dass der sogenannte deutsche Michel nicht mehr mit dieser Zipfelmütze in Erscheinung tritt, sondern in bayerischer Tracht. Weil einfach diese Tracht offensichtlich noch markanter ist als viele andere Trachten. Dieses Markante bleibt optisch mehr haften. Und da nehme ich an, dass man das gerne verwendet. Zack: Das ist der Deutsche, der Knödel frisst und Bier sauft. Der Italiener sitzt vorm Teller Spaghetti, die Franzosen fressen die Austern. Diese Versuche, Kulturen in den Griff zu bekommen, sind meistens eher unglücklich.

taz: Wird der Mensch eigentlich konservativ, wenn er die Tracht anzieht? Oder zieht er die Tracht an, weil er konservativ ist?

Polt: Es kommt darauf an, was man mit konservativ meint. Wenn man sagt, jemand beharrt auf etwas, was er immer schon gemacht hat, und will, dass die eigenen Kinder das vielleicht auch machen. Dann kann man das „konservieren“ nennen. Konservieren heißt ja: etwas erhalten, von dem man glaubt, dass es erhaltenswert ist. Im Gegensatz zur Mode. Die Leihkostüme am Oktoberfest können ja auch wieder verfliegen. Aber Menschen in einem überschaubaren Ort, die schon immer die Tracht tragen, also locker 150 Jahre, das ist keine Mode in dem Sinn. Sondern es ist ein Sich-Wiedererkennen-Wollen. Eine Sprache ist auch keine Mode, ein Dialekt ist auch keine Mode. Man hat ihn und gibt ihn weiter. Das ist nicht konservativ für mich, da finde ich das Wort etwas fehl am Platz. Etwas erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht. Es kommt darauf an, warum. Wenn man etwas prüft und feststellt, es ist nicht erhaltenswert, werden die Leute es ja vielleicht ablegen. Aber ich zum Beispiel finde das ganz toll, dass die Leute in meinem Ort das nach wie vor haben, weil sie sich wohl damit fühlen. Ich selbst trage die Joppe auch nicht bloß um zu zeigen, dass ich dazugehöre, sondern die Joppe ist gefällig und angenehm.

taz: Wenn ein Mensch evangelisch ist und aus Franken, wie der bayerische Ministerpräsident, kann die Tracht da auch bei der Integration helfen?

Polt: Ich kenne einen, das ist ein Musiker, der ist ein Perser. Der läuft in der kurzen Hosen rum und spielt bayerische Volksmusik und spielt internationale Musik auf der Ziach (Steirische Harmonika – Anm. d. Red.). Und es ist nicht zu unterscheiden, dass der eigentlich aus Persien ist.

„Etwas erhalten zu wollen, ist ja per se nicht schlecht“: Gerhard Polt 2023 Foto: Dirk Bruniecki/laif

taz: Im Landkreis Traunstein gibt es die „A-f-D“, die Antifaschistischen Dirndl, die in der Tracht bayerische Musik machen gegen rechts und für die Rechte von Frauen und queeren Menschen. Braucht’ s des?

Polt: Für mich nicht. Wenn einer sich politisch äußert, dann soll er das machen. Aber wenn er glaubt, dass er das über ein Dirndl oder über die Tracht macht, weiß ich nicht, ob das der richtige Weg ist. Also ich ziehe meine Joppe nicht an, weil ich gegen Nazis bin, das hat damit nichts zu tun.

taz: Die Antifaschistischen Dirndl sagen, dass sie die Tracht und die Traditionen nicht den Rechten überlassen wollen.

Polt: Die Rechtsradikalen laufen nicht unbedingt in einer Trachtenjoppe rum. Dass man denkt, die wären an der Kleidung erkennbar, das finde ich eine merkwürdige Einstellung.

taz: Wie steht’s denn um die democracy? In Bavaria, in Germany?

Polt: Demokratie braucht Humor. Ohne Humor ist Demokratie schwierig. Und wenn den Leuten der Humor wegfällt, weil sie nur noch ernst tun, dann gibt es immer mehr Grabenkämpfe. Wenn keiner mehr über sich selbst und den anderen lachen kann, dann wird’s ernst. Und das kann der Demokratie nicht gut tun. Ernsthaftigkeit mag ihren Platz haben, aber grundsätzlich müssen die Leute auch eine Gaudi haben und zu sich selbst und zum anderen ein gewisses lockeres Verhältnis haben. Und da wären wir wieder beim Biertisch und beim Volksfest, wo Leute nicht unbedingt politisch diskutieren müssen, aber sich unterhalten und sich auslassen mit ihren Sorgen. So werden sie vielleicht wieder lockerer.

taz: Antrinken hilft gegen die Polarisierung, meinen Sie?

Polt: Einer meiner Lieblingsschriftsteller war immer der Oskar Maria Graf. Der hat einfach wunderbar gezeigt, dass auch in den schwierigen Zeiten der Weimarer Republik und des Hungers, ein bestimmtes Zusammensein sozusagen einen Trost gab. Inseln, wo Menschen hingehören und abschalten können, wären auch heute wichtig. Ob die Menschen das dann wirklich machen, ist wieder eine andere Sache.

taz: Sie haben früher schon einmal gesagt: „Gemütlichkeit, das ist die Relation aus Zeit, Geld und Bier.“

Polt: Die radikalen Leute, religiös radikal oder politisch radikal, die haben keine Freude. Du siehst es in ihren Gesichtern irgendwie, sie sind unzufrieden. Ich kann mich gut an die Aufnahmen von den Pegida-Aufmärschen erinnern. Diese starren, bösen Gesichter. Ich hab nur gedacht: Mensch, lach doch einmal, du Arschloch. Nach dem Aufmarsch trinkt er wieder ein Bier und isst einen Schweinsbraten, was will er mehr. Es gibt so viele Leute, denen es so viel schlechter geht als dir und du schaust streng und unerbittlich und hast keine Gaudi. Wenn ein Mensch eine Gaudi hat, dann bedeutet das für mich, dass er nachsichtig ist mit den Fehlern anderer und mit den eigenen vielleicht auch einmal.

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