Bedürftige unterversorgt: Eine Erzieherin für 20 Kinder

In einer Bremer Kita fehlt eine langzeitkranke Erzieherin ohne Vertretung. Das ist kein Einzelfall und trifft vor allem Bedürftige

Zwanzig Kinder gleichzeitig zu trösten, ist gar nicht so leicht Foto: dpa/Sebastian Kahnert

„Wir befürchten, dass die Entwicklung und Förderung unserer Kinder akut gefährdet ist.“ Mit dieser Sorge wandten sich Eltern von Kindergartenkindern Ende September an den Geschäftsführer von Kita Bremen, einem Eigenbetrieb der Stadtgemeinde Bremen. Der Grund für ihr Schreiben: Im Kindergarten ihrer Kinder im Viertel ist eine Erzieherin langzeiterkrankt, ihre Kollegin ist daher an manchen Tagen alleine mit 20 Kindern. An anderen wird sie von PraktikantInnen oder anderen MitarbeiterInnen unterstützt, die wiederum in ihren Gruppen fehlen. Eine dauerhafte Vertretung gibt es bisher nicht.

„Ich wundere mich immer darüber, wie viel den Erzieherinnen trotzdem gelingt, dass die Eingewöhnung der neuen Kinder geklappt hat, dass das Laternenfest stattfindet“, sagt Sabine Manfredini, eine Mutter und Initiatorin des Briefs. „Aber dafür sind auch alle am Anschlag.“ Und: Elterngespräche könnten kaum noch stattfinden. Es fehle die Zeit, etwas für den Kindergartenalltag vorzubereiten. „Mein Sohn kommt häufig heim und erzählt, heute war wieder jemand Neues da“, sagt Aurélie Le Fort-Beunink, eine andere Mutter. Auf die Frage, was die Kinder am Tag gemacht hätten, antworte ihr sechsjähriger Sohn mit „Wir haben nur gespielt“. Problematisch finden die beiden das auch, weil die Kinder aus sehr unterschiedlichen Familien kommen. „Manche brauchen eine intensivere Betreuung“, sagt Le Fort-Beunink. Die aus Syrien geflüchteten Eltern eines Jungen werden an den Tagen, an denen nur eine Erwachsene in der Gruppe ist, gebeten, ihr Kind zu Hause zu lassen. Der Junge neige unter anderem dazu wegzurennen, erzählt sie.

Dabei ist das, was die Kinder der grünen Gruppe im Kindergarten in der Gleimstraße erleben, Alltag in Bremens Kindertagesstätten. „Eine Springkraft aus unserem Vertretungspool bekommen die Einrichtungen immer erst, wenn über zehn Prozent Personal ausgefallen ist“, sagt Petra Zschüntsch, stellvertretende Leiterin bei Kita Bremen. „Der Personalschlüssel ist immer so bemessen, dass die Kindergärten einen Ausfall aus eigener Kraft kompensieren können.“

Dabei genügt laut Gesetz in Bremen sogar eine Erzieherin für 20 Kinder über drei Jahre. Da pädagogisches Arbeiten so gar nicht mehr möglich wäre, gibt es zu den Kernzeiten allerdings in allen Einrichtungen in der Regel mindestens eine weitere Kraft – und sei es eine Berufsanfängerin im Anerkennungsjahr.

Doch wegen des Fachkräftemangels wird es immer schwerer, selbst diesen Standard aufrechtzuerhalten. Das sagt auch Zschüntsch: „Wir haben versucht, eine Vertretung für die Gleimstraße zu finden, aber bisher niemanden gefunden.“ Dafür seien zu viele unbefristete Stellen frei. ErzieherInnen sind angesichts des Ausbaus der Kindertagesbetreuung heiß begehrt – „wenn wir früher ausgeschrieben haben, dann bekamen wir um die 150 Bewerbungen, jetzt sind es 20 bis 40“.

Von zunehmenden Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen, berichten auch andere Träger. Allerdings macht es sich Kita Bremen auch besonders schwer, als attraktiver Arbeitgeber zu erscheinen. Anders als beispielsweise bei der evangelischen Kirche werden Stellen nicht gezielt ausgeschrieben. Zwei Mal im Jahr schaltet Kita Bremen eine Anzeige in der Lokalzeitung. Und auf der Homepage heißt es: „Wir suchen ständig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Einsatz an unseren Standorten in ganz Bremen.“ Keine Informationen über Lage, Stellenumfang, Profil der Einrichtung und darüber, ob es sich um eine Kleinkind-Gruppe handelt oder um größere Kinder.

Zschüntsch sagt, dass es Überlegungen gebe, das Verfahren zu ändern – aber das habe bereits vor zwei Jahren der damals gerade angetretene Vorgänger des jetzigen Geschäftsführers Wolfgang Bahlmann gesagt. ErzieherInnen, die sich auf Stellen beworben haben, berichten, dass sie verspätet oder gar keine Antwort bekommen haben – oder Angebote für ein Stellenprofil, das sie ausdrücklich ausgeschlossen hatten.

Dazu passt, dass auch die Eltern aus der Gleimstraße bis heute keine Antwort auf ihren Brief bekommen haben.

Unterdessen arbeitet die Bildungsbehörde an einem Konzept, wie Fachkräfte gewonnen werden können. „Uns brennt das Thema unter den Nägeln“, sagt Annette Kemp, Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogedan. Sie würden derzeit eruieren, wie groß der Bedarf sei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.