Befangenheitsantrag im Lübcke-Prozess: Richter unter Beschuss

Der Richter im Lübcke-Prozess appellierte an die Angeklagten, auszusagen. Dafür wird er nun von den Verteidigern attackiert.

Thomas Sagebiel, Richter im Prozess zum Mord an Walter Lübcke, im Gerichtssaal

Spricht im Lübcke-Prozess offene Worte: Richter Thomas Sagebiel Foto: Thomas Lohnes/dpa

BERLIN/FRANKFURT taz | Der Satz fiel ganz am Ende des ersten Verhandlungstags im Lübcke-Prozess. „Hören Sie nicht auf Ihre Anwälte, hören Sie auf mich“, appellierte Richter Thomas Sagebiel an die Angeklagten Stephan Ernst und Markus H. Der Richter Sagebiel wollte damit zu einem Geständnis motivieren, sofern es etwas zu gestehen gibt. Im Prozess gehe es um schwere Vorwürfe, sagte er. „Nutzen Sie Ihre beste Chance, vielleicht Ihre einzige Chance.“

Es ist ein Satz, den Sagebiel so ähnlich auch schon in anderen Prozessen sagte. Diesmal aber hat er ein Nachspiel. Denn die Verteidiger des im Prozess zum Mord an Walter Lübcke Mitangeklagten Markus H. stellten nach taz-Informationen noch am Dienstagabend einen Befangenheitsantrag gegen Sagebiel. Björn Clemens, einer der Anwälte, nannte die Aussage „ein starkes Stück“. Die Verteidiger seien „keine Geständnisbegleiter oder sonstige Staffage“. Dies werde Sagebiel „schon noch lernen“.

Eine Sprecherin der Oberlandesgerichts Frankfurt am Main bestätigte den Eingang des Befangenheitsantrags. Auswirkungen für die Prozessfortsetzung am Donnerstag sah sie vorerst nicht, da über Befangenheitsanträge nicht sofort entschieden werden müsse.

Bereits beim Prozessauftakt am Dienstag hatten die Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst einen Befangenheitsantrag gegen Richter Sagebiel gestellt. Dieser habe mit Nicole Schneiders, der zweiten Verteidigerin von Markus H., eine Anwältin im Prozess zugelassen, die sich in einem Interessenkonflikt befinde. Denn Schneiders vertrat bereits Dirk Waldschmidt, den ersten Anwalt von Stephan Ernst. Dem wirft Ernst inzwischen vor, ihn zu seinem ersten, angeblich falschen Geständnis gedrängt zu haben. Als gegen Waldschmidt damit der Verdacht der Strafvereitelung im Raum stand, nahm er sich eine Anwältin, eben Nicole Schneiders.

Das Gericht will eine Beweisaufnahme starten

Der Sachverhalt ist insoweit pikant, weil die einst befreundeten Ernst und Markus H. im Prozess zu Kontrahenten geworden sind. Ernst wirft Markus H. inzwischen vor, der eigentliche Mörder von Lübcke zu sein. Und Ernst' Verteidiger beklagen, dass Markus H. über Schneiders nun Interna über ihren Mandanten wisse.

Richter Sagebiel hatte die Entscheidung über diesen ersten Befangenheitsantrag vorerst zugestellt. Ebenso verfuhr er mit weiteren Aussetzungsanträgen der Verteidiger, andere lehnte er ab. Durch die Anträge wurde die Anklageverlesung im Prozess zunächst verzögert und konnte erst am Nachmittag erfolgen.

Am Donnerstag, dem zweiten Prozesstag, will das Gericht nun in die Beweisaufnahme eintreten. Zum Programm äußerte sich Richter Sagebiel nicht. Da beide Angeklagten aber vorerst schweigen, ist wahrscheinlich, dass das Gericht sich die Videoaufnahme von Ernst ursprünglichem vierstündigen Geständnis anschauen wird. Der 46-Jährige hatte dort den Mord an Lübcke eingeräumt, das Geständnis später aber zurückgezogen. Die Anklage hält die Einlassung dennoch bis heute für glaubhaft. Sie ist, neben einer DNA-Spur von Ernst am Tatort, das Kernstück der Anklage. Neben dem Mord wird Ernst auch eine Messerattacke auf den irakischen Geflüchteten Ahmad E. vorgeworfen.

In Frankfurt am Main hatten am Dienstagabend noch rund 150 Demonstranten anlässlich des Prozessauftakts gegen rechtsextremen Terror protestiert. „Kein Einzeltäter“ lautete ihr Slogan. Sie forderten, auch das Netzwerk um Stephan Ernst und Markus H. aufzuklären.

Mit dem Komplex wird sich in Hessen demnächst auch ein Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigen. Am Donnerstag wollen SPD, FDP und Linke über die Einsetzung informieren, die noch im Juni erfolgen soll. Im Fokus wird hier stehen, warum die Sicherheitsbehörden Stephan Ernst und Markus H. vor dem Lübcke-Mord aus dem Blick verloren, obwohl sie jahrelang in der rechtsextremen Szene aktiv waren, und wie beide an ihre Waffen kamen.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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