Begegnen&Bewegen: Hüpfen à la Hüppe

Das Bremer Sportprojekt „Bewegungszeit“ vereint Kinder mit und ohne Behinderung. Das funktioniert sogar in Wettkampf-Situationen wie beim Fußball

Sport als inklusive Begegnungsmöglichkeit: Lisa und Emilia (rechts) in der Uni-Sporthalle Bild: neubauer

BREMEN taz | Kinder toben wild durcheinander, rennen durch die große Sporthalle, springen Trampolin, spielen Fußball oder verschnaufen für einen kurzen Moment auf einer Turnmatte. Die Schwestern Lisa und Emilia betreten Hand in Hand die Halle. Emilia läuft schon voraus. Lisa kommt langsam hinterher und tritt auf einen Hula-Hoop Reifen, der am Boden liegt. Mit ihren Händen ertastet sie den Reifen, hebt ihn schließlich auf und läuft zu den anderen Kindern, die schon auf großen Matten herumtoben.

In der „Bewegungszeit“, jeden Donnerstagnachmittag, können Kinder sich nach Lust und Laune auspowern. Was auf den ersten Blick überhaupt nicht auffällt: Kinder mit und ohne Behinderung spielen hier gemeinsam. Diesen Aspekt nennt die Bundesregierung „inklusiv“ und hat die Bremer „Bewegungszeit“ dafür ausgezeichnet. Zudem ist sie nun auf einer „Inklusionslandkarte“ verzeichnet.

„Das, was wir schon immer mit den Kindern machen, nennt man jetzt inklusiv – das ist schon witzig“, sagt Monika Fikus. „Früher hieß das mal integrativ, aber mir soll das egal sein.“ Die Professorin für Bewegungswissenschaft betreut seit sechzehn Jahren zusammen mit Franz Steinberger das Angebot. Die „Bewegungszeit“ rief er zu Beginn seiner Lehrerausbildung an der Blindenschule in der Gete ins Leben. Zusammen gründete das Gespann 1997 dann auch die Stiftung Regenbogenfisch, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Entwicklung von förderungsbedürftigen Kindern zu unterstützen und dabei besonderen Wert auf Bewegung legt.

Finanziert wird die für alle Nutzer kostenlose Bewegungszeit über die Stiftung und durch Spendengelder. Die Sporthalle an der Uni ist umsonst, da Fikus im Studiengang Sportwissenschaft unterrichtet. Die Halle wird dann in einen Abenteuerspielplatz umgebaut, „jede Woche etwas anders“, sagt Fikus.

Matten, Bälle, Seile, Trampoline und was es sonst noch alles gibt, werden bunt durcheinander gemischt. Jean-André, der mit zwei Betreuerinnen und einer Gruppe aus Friedehorst hergekommen ist, sitzt mit Katharina Grosse auf einer Wippe. Der 13-Jährige lacht, seine Wipp-Partnerin – eine studentische Hilfskraft – sitzt in der Luft fest und kommt nicht mehr herunter. Der schmale Junge hat sich sehr schwer gemacht und genießt seinen Triumph. Jedes Kind soll das machen, was es will, Fikus und Steinberger stehen nur unterstützend zur Seite.

Claudia Boneß kommt schon seit Jahren mit ihren Töchtern Lisa und Emilia zur Bewegungszeit. „Es ist gut, dass hier alles so frei ist und man sich an keinen genauen Ablaufplan halten muss“, betont sie. Die zwölfjährige Lisa und ihre jüngere Schwester Emilia stehen auf einem Trampolin und beginnen vorsichtig zu hüpfen, dann kommt Laura dazu, die sie schon lange von der Bewegungszeit her kennen. Als jemand ein Foto von den Dreien machen möchte, zeigen Emilia und Laura, in welche Richtung Lisa gucken soll. Heute ist hoher Besuch da: Hubert Hüppe, der Bundesbehindertenbeauftragte, begeleitet von seinem Kollegen auf Landesebene, Joachim Steinbrück. Doch als ein Kamera-Team die Mädchen interviewen möchte, wendet sich Lisa ab. Darauf hat sie keine Lust, sie möchte lieber weiter spielen.

Auf dem Fußballfeld spielt Hüppe derweil mit einigen älteren Jungen Fußball. Die Stimmung ist angeheizt, das Team von Hüppe im Rückstand. Als der Bundesbeauftragte vom Fernsehen um ein Interview gebeten wird, mischt sich ein dunkelhaariger Junge ein. „Sie hören doch jetzt nur auf zu spielen, weil Sie gerade verloren haben!“

Hüppe erzählt von seinem Sohn, der in einem inklusiven Fußballverein spielt und auch eine Behinderung habe. Er will mehr „wirkliche“ inklusive Einrichtungen: „So ein Projekt soll keine Therapie sein. Es ist doch schön, wenn Jungs, wie hier, richtig Bock am Fußball haben.“

„Hier fragt keiner, was ein Kind nicht kann, sondern probiert es einfach aus“, sagt Fikus. Und das klappt offenbar sogar in Wettkampf-Situationen wie einem harten Fußball-Match.

Die Richtlinien, um als inklusive Einrichtung anerkannt zu werden, sind streng: Ein Inklusionsbeirat entscheidet anhand von Zielgruppe, Innovativität, Zugang, Beschaffenheit des Ortes und einiger anderer Faktoren, ob sich das Angebot „inklusiv“ nennen darf. „Die meisten Projekte werden bei ihrer Bewerbung abgelehnt“, sagt Steinbrück, der Mann mit der dunklen Sonnenbrille. „Ein einfaches Sportfest für Menschen mit Behinderungen ist kein inklusives Projekt“, sagt er. Es gehe ja um die Verbindung mit anderen nicht behinderten Menschen.

In Bremen gibt es laut Inklusionslandkarte mittlerweile vier inklusive Einrichtungen. „Crazy Run“ beispielsweise ist ein gemeinnütziger Verein, der unter anderem Motorradrennen veranstaltet. „Ich hab dafür mal den Startschuss gegeben“, erinnert sich Steinbrück. „Natürlich würde ich selbst gern Motorradfahren, aber ich darf wohl leider nicht vorn sitzen.“

In der Bewegungszeit dürfen die Kinder fast alles. Die offizielle Anerkennung als inklusives Projekt freut auch die Kinder und ihre Eltern, aber besonders Monika Fikus. „Jetzt hat‘s einen Namen, jetzt sind wir bekannt.“ Die Arbeit, die sie und Steinberger seit Jahren in ihr Projekt stecken, geht schwungvoll weiter.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.