Behandlung im Teddybärenkrankenhaus: Auf Herz, Nieren und Plüsch

In Kiel behandeln Medizinstudierende Kuscheltiere. Kinder sind hier nicht Patienten, sondern Beobachter. So können sie ihre Angst vor der Klinik verlieren.

Schlimmer Befund? Zwei Kinder lassen sich vor einem Röntgengerät beraten Foto: Esther Geisslinger

KIEL taz | Der Bär, heißt es, hat den Durchblick und gibt Interviews. Allerdings ist er grade noch im Fototermin: Eine ganze Gruppe von Kindern drängt sich um die braune Gestalt, am liebsten würden sie ihn gar nicht mehr loslassen. Und während der Bär noch in die Kameras winkt, strömt auf der anderen Seite schon die nächste Kindergruppe auf den Asmus-Bremer-Platz in der Kieler Fußgängerzone. Die Mädchen und Jungen stehen im Pulk, alle halten Plüschtiere in den Händen und gucken aus großen Augen auf die Zelte mit dem roten Kreuz, die hier aus dem Boden gewachsen sind. Und auf die jungen Frauen und Männer in weißen Kitteln, die jetzt näher kommen.

Kurz darauf tappt Lukas an der Seite von Jessie Roos in das erste Zelt. Roos ist „Dr. ted“, das verrät ihr Namensschild – Teddyärztin. Wie gut also, dass Lukas einen Bären dabei hat. Dieser trägt eine grüne Mütze mit weißen Schirm und eine Uniformjacke, ein Polizist alter Schule. Und „Polizist“ heiße er auch, sagt Lukas. Der Vierjährige, der eine Kita im Kieler Stadtteil Gaarden besucht, schaut sich aufmerksam im Zelt um.

Auf den Bankreihen sitzen Kinder neben ihren „Dr. teds“ und sprechen über die Krankheiten ihrer Kuscheltiere, die auf den Tischen liegen und das Procedere stumm über sich ergehen lassen. Affe Joko hat einen Beinbruch, Tiger Tigi ein Loch im Bauch. Und Polizist? Die erste Untersuchung ergibt keinen ganz klaren Befund: Heuschnupfen, Bauchweh und Allergien sind im Rennen. Jessie Roos runzelt die Stirn: „Da müssen wir noch weiter schauen.“

„Teddybärkrankenhaus“ heißt das Projekt, das es heute in zahlreichen Städten mit medizinischen Fakultäten gibt. Die Idee stammt ursprünglich aus Skandinavien, so verrät es die Homepage der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland – denn die Teddyklinik ist ein Studierenden-Projekt. Um Kindern im Vorschulalter die Angst vor dem Arztbesuch zu nehmen, sind hier nicht sie selbst, sondern ihre Kuscheltiere die Patienten.

Die Kinder treten als ihre Eltern oder Begleiter auf, die mit den Ärztinnen und Ärzten gemeinsam die Krankheit feststellen und über eine Behandlung beraten dürfen. Das Ziel ist, Kinder mit den Abläufen in einer Praxis oder im Krankenhaus vertraut zu machen. Auch in Kiel organisieren alle Jahre wieder Freiwillige aus der Medizin-Fachschaft das Krankenhaus auf Zeit.

„Das bedeutet für uns schon eine ziemliche Extra-Belastung“, sagt Lisa Janitschke, die im studentischen Organisationsteam für die Pressearbeit im Vorfeld zuständig ist. Aber das Projekt sei es wert, findet sie. Genug Mitstreiter zu finden, sei eigentlich kein Problem: „Wir gehen in die Vorlesungen und fragen, wer wann mitmachen will. Die Professoren unterstützen das, und wir finden eigentlich immer schnell genug Leute.“

In diesem Jahr beteiligen sich in Kiel rund 100 Studierende der Medizin und Zahnmedizin. Davon sind rund 80 direkt in die Behandlungen eingebunden und weitere 20 helfen im Hintergrund bei der Organisation. Einige der erfahrenen Plüsch-Mediziner, die sich im Teddy-Klinik-Jargon „O-Bär-Arzt“ nennen dürfen, schaffen beides.

Auf den Bankreihen sitzen die Kinder neben ihren „Tr. teds“ und sprechen über die Krankheiten ihrer Kuscheltiere

Jessie Roos ist zum ersten Mal dabei und begeistert: „Es macht einfach Spaß“, sagt die 21-Jährige, die im sechsten Semester studiert. „Die Kinder sind super. Die spielen richtig gut mit und beschreiben genau, was ihre Tiere haben.“ Da Ross vielleicht später Kinderärztin werden möchte, sieht sie die Tage in der Bärenklinik durchaus als Fortbildung an: „Man kriegt schnell ein Gefühl dafür, wie man am besten mit den Kindern redet.“

Das bedeutet vor allem: ernsthaft. Nicht lachen, wenn Affe Joko, der mit einem gebrochenen Bein kam, nun auf einmal Ohrensausen und Wackelzähne hat. Zur Ruhe mahnen, damit Polizist, der Bär, im MRT-Gerät auch brav still liegt – was ihm übrigens mühelos gelingt. Überhaupt sind die Plüschtiere alle sehr brav und lassen die Untersuchungen ohne Klagen über sich ergehen, zur Freude der „Dr. teds“ und der Kinder.

„Für die Kinder ist das im Vorfeld sehr abstrakt, was hier passiert“, berichtet Uta Wieziolkowski. Die Erzieherin, die an der evangelischen Kita in Kiel-Gaarden arbeitet, kommt jedes Jahr mit Vier- und Fünfjährigen zur Behandlung auf den Asmus-Bremer-Platz.

Am Tag zuvor werde der Besuch in der Klinik gut vorbereitet: „Wir machen einen Stuhlkreis, besprechen, was passieren wird. Als es dann heute morgen losging, waren die Kinder alle ganz aufgeregt.“ Ihr Kollege lässt die Blicke über die Kinderschar schweifen und verrät: „Ausgerechnet diejenigen, die sonst immer vorne weg sind, bleiben hier doch auffallend ruhig.“ „Ich glaube, das Unheimliche am Krankenhaus ist für Kinder vor allem, dass alles neu ist“, sagt Jessie Roos. „Wenn sie es hier schon einmal mitgemacht haben und die Stationen kennen, hilft das sehr, wenn sie selbst mal in die Situation kommen.“

Das betrifft vor allem die Geräte, Röntgen und eben das MRT, beides Kästen, die mit bunten Lampen und Geräuschen ausgestattet sind, fast wie im echten Krankenhaus. Und echt sind auch die Röntgenbilder, die am Ende herauskommen: Die Studierenden suchen aus einer Mappe jeweils das Bild aus, das zum Krankheitsbild passt. So bekommt Bernd, der mit seinem Affen Joko da ist, eine Aufnahme zu sehen, auf der ein Beinknochen schräg zur Seite ragt – schon zum Erschrecken. Nebenan macht das MRT-Gerät brummende Geräusche und leuchtet in allen Regenbogenfarben.

Hauptattraktion im Untersuchungszelt ist allerdings der OP-Bereich, wo an diesem Vormittag Viktoria Kirchhofer das Skalpell schwingt. Vor ihr auf der Bank liegt ein Bär, der den härtesten Job in der ganzen Teddyklinik hat: Schon sieben Mal musste er sich den Bauch aufschneiden lassen – zum Glück ist dort ein Reißverschluss eingelassen, um die Sache zu erleichtern.

„Schon mal eine Leber gesehen?“, fragt die 19-Jährige und zupft mit spitzer Zange ein dunkles Objekt aus der Bauchhöhle des Bären. Die Operation verläuft unblutig, die Organe sind nur mit Klett statt mit Adern und Sehnen mit dem Körper verbunden. Die Kinder drängen sich nahe heran und schauen mit wohligem Schauder auf Herz und Nieren.

Kirchhofer – die später am liebsten in die Chirurgie gehen will – genießt den Trubel. Auch in ihrem Berufsfeld sei es immer wichtiger, Kommunikation mit Patienten zu üben, meint sie. Ein wenig hat sie ein schlechtes Gewissen, dass sie in der Zelt-Klinik statt zu Hause am Schreibtisch sitzt: „In zwei Tagen schreibe ich die nächste Klausur, im August steht das Physikum an.“ Aber einmal geht noch: „Also, wisst ihr, was so alles im Bauchraum liegt?“

Jessie Roos begleitet Lukas und Polizist ins Apothekenzelt: Noch schnell ein paar Medikamente – Brausetabletten, Obst – und ein Pflaster, dann ist der Bär wieder fit. Lukas rennt mit seinen Kita-Freunden zum Krankenwagen, wo ein Hippo auf einer Trage liegt. Und Jessie Roos zieht den weißen Kittel zurecht und geht der nächsten Kita-Gruppe entgegen. Ein Kuscheltier in der ersten Reihe sieht ziemlich krank aus.

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