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Gaufest in Feldwies: Luan Klemmer (links) und Freund Moritz Keller, beide in Tracht Foto: Christian Mooshammer

Beim Gaufest im bayrischen FeldwiesDie Kraft der Tracht

Trachtenvereine gelten als geschlossene Gesellschaft. Doch allen, die neu in der Dorfgemeinschaft sind, kann das Mitmachen helfen, anzukommen.

Stefan Hunglinger
Von Stefan Hunglinger aus Feldwies

C laudia Klemmer sucht einen Platz. Es ist ein Sonntag Ende Juli, in Feldwies am Chiemsee feiert der Chiemgauer Trachtenverband sein Gaufest – und alle Tische im Bierzelt sind reserviert. Claudia Klemmer, 41 Jahre alt, in Polen geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen, 2019 in das oberbayerische Dorf gezogen, weiß für einen Moment nicht, wo sie und ihr Mann hier hingehören.

Die Stimmung im Zelt ist sowieso angespannt. Drei Jahre lang hat der Trachtenverein des 2.000-Seelen-Orts Feldwies das Fest vorbereitet, eine schöne Holzbar im Freien gezimmert, einen Pizzastand vor dem Zelt aufgestellt. Doch seit Tagen regnet es in Strömen. Die Chiemgauer Alpen, die ein pittoresker Hintergrund sein sollten, ragen dunkel aus den Wolken, der Pegel des nahen Sees steigt und steigt, die Parkplatzwiese ist schon überschwemmt.

„Es ist enorm, mit wie viel Einsatz und Hingabe sich die Mitglieder hier ehrenamtlich engagieren“, sagt Claudia Klemmer, noch immer auf Platzsuche. „Nur das Wetter ist enttäuschend.“ Der Festgottesdienst wurde vom Freien ins Bierzelt verlegt, hunderte Menschen drängen jetzt unter den weiß-blauen Planenhimmel. Doch die Frage bleibt: Wie soll der bunte Trachtenzug am Nachmittag durchs Dorf ziehen? Was bringt die prächtigste Tracht, wenn sie verschwindet unter Plastiküberzügen und Schirmen?

Tracht kommt von tragen. Als mit der Aufklärung ständische Kleiderordnungen fielen, durfte auch das „einfache Volk“ Farben und feinere Stoffe tragen. Tracht reimt sich auf Macht. Zur „Festigung des Nationalgefühls“ in seinem noch jungen Reich befahl der aufgeklärte bayerische König Maximilian II. Joseph Mitte des 19. Jahrhunderts, dass die „in den einzelnen Theilen des Königreiches herkömmlichen Trachten“ in Zeiten der aufkommenden Industriemode erhalten werden sollten.

Bayerische Herrscher und die Tracht

In fast jedem bayerischen Dorf stellen sich „Gebirgstrachtenerhaltungsvereine“ seitdem dieser Aufgabe, organisiert sind sie in Dachvereinigungen, den sogenannten Gauverbänden. Im Feldwieser Festzelt feiern sich heute zum 87. Mal die Vereine des „Chiemgau Alpenverbands – Für Tracht und Sitte“, am überdachten Eingang des Festzelts haben sie ihre goldbestickten, regennassen Samtfahnen aufgestellt.

Auch heute noch versprechen sich die bayerischen Herrscher etwas von der Tracht. Als Markus Söder 2022 den US-Präsidenten vom Münchner Flughafen abholte, standen Tracht­le­r:in­nen Spalier. Auch als der Ministerpräsident Mitte Juli dem Bundeskanzler die Zugspitze zeigte, tanzten Trachtenpaare im Gipfelnebel. Die Trachtenvereine im Freistaat gelten als CSU-Bastionen und als geschlossene Gesellschaft. Doch scheint es, als öffnete sich diese Gesellschaft mehr und mehr.

Gaufest in Feldwies: Kinder schauen den Ju­gend­tracht­le­r:in­nen zu Foto: Christian Mooshammer

Liv Klemmer ist 10 Jahre alt, trägt ihre blonden Haare in Zöpfen geflochten, ein schwarzes Dirndl mit hellblau-seidiger Schürze und einen Hut mit weißem Adlerflaum darauf. Ihr Bruder Luan (8) trägt zur Lederhose die hellgrünen Wadenstrümpfe des Feldwieser Vereins und einen Gamsbart auf dem Hut, ein Büschel aus den Rückenhaaren der Alpengämse.

Es waren die Kinder der Klemmers, die den Trachtenverein für sich entdeckt haben, es sind die Kinder, die jetzt im Bierzelt ihren Eltern einen Platz zuweisen. Claudia Klemmer hat ein einfaches Dirndl an, ihr Mann eine helle Lederhose. Die beiden werden hinter den Mitgliedern in „ordentlicher“ Vereinstracht platziert, aber weit vorne im Zelt.

Auch ihr Bruder Luan hat Feuer gefangen

„Liv ist ein offenes Kind“, sagt Claudia Klemmer, endlich sitzend. Als die Familie 2019 der Arbeit wegen von Witten bei Dortmund nach Bayern zog, habe die damals Vierjährige in der Kita drei Freundinnen aus Trachtenfamilien gewonnen. Als nach der Coronapandemie die wöchentlichen Tanzproben der Trachten-Kindergruppe wieder losgingen, schauten die vier Freundinnen bei den Proben zu – und blieben dem Verein seitdem treu. Auch ihr Bruder Luan hat über Kitafreunde Feuer gefangen für die „Trachtensach’“ – ihre Eltern haben die beiden mit­integriert.

Etwas fremd seien ihr die Kleidung und die Musik anfangs ja gewesen, sagt Claudia Klemmer. „Aber schon in der ersten Trachtenprobe hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, dass wir weniger dazugehören, weil wir aus NRW kommen.“

Vater Mario Klemmer ist in Thüringen geboren, seine Familie reiste 1986 aus der DDR aus in den Westen. Er brennt für die bayerische Natur, steigt oft schon vor Sonnenaufgang allein auf die Berge, doch auch mit dem Trachtenverein kann Klemmer mittlerweile etwas anfangen. „Man sieht sich beim Preisplatteln, bei den Proben, bei den Festen“, sagt er, „einsam ist keiner in so einer großen Gemeinschaft.“ Mario Klemmer wendet das Liedblatt zum Festgottesdienst vor sich auf dem Biertisch und scherzt: „Aber eigentlich bin ich evangelisch.“

Man sieht sich bei den Proben, bei den Festen, einsam ist keiner in so einer großen Gemeinschaft

Mario Klemmer

Punkt 10 Uhr, Alphörner blasen zum Beginn der katholischen Festmesse. Auf der Bühne steht ein Kreuz aus bunten Feldblumen, der örtliche Gartenbauverein hat den improvisierten Altar mit Schilf und Rohrkolben dekoriert, eine gemalte Kulisse zeigt den Chiemsee, wie er sich heute draußen partout nicht zeigen will. Schon am frühen Morgen ging in den Vereins-Whatsapp-Gruppen die Kunde, dass der Gottesdienst auf freier Wiese abgesagt ist und was zu tun sei. Flexibilität können die Trachtenvereine, anpacken auch. Viele Mitglieder verdienen als Un­ter­neh­me­r:in­nen ihr Geld oder als selbstbewusste Handwerker:innen.

Und los geht's: vorne links hat auch Liv Klemmer Aufstellung genommen Foto: Christian Mooshammer

Statt Weihrauch Bratenrauch

Statt Weihrauch weht jetzt Bratenrauch um die Nasen der Trachtengemeinde, im Küchenzelt sind sie angewiesen, den Schweinebraten leise vorzubereiten, die Vorständin des Feldwieser Trachtenvereins tritt ans Mikrofon und bittet darum, die Maßkrüge für die Dauer der Messe unter den Tisch zu stellen. Wenn die Andacht bei anderen Festen in Konkurrenz steht zum Bierzelt, kommt heute wegen des Wetters niemand davon: Kyrie, Gloria, „Großer Gott, wir loben dich“.

Vor lauter Langweile vergleichen ein paar Trachtenjungen die Blumen auf ihren abgenommenen Filzhüten. Wer hat die schönste Geranie, Rose, Nelke neben dem Gamsbart stecken? Wer die meisten Preisabzeichen? Ein gewisser Wettbewerb gehört dazu zum Trachtenverein, auf verschiedenen Ebenen tritt man an, um bester Plattler, beste Dreherin, bestes Tanzpaar zu werden.

Die Bibellesung trägt in der Messe eine Frau im schwarzen Röcki vor, dem seidigen Miederkleid der verheirateten Trachtlerinnen, auf dem Kopf trägt sie den steifen „Priener Hut“ mit Goldbesatz. Sie erzählt von Abraham, der mit Gott verhandelt, wie viele Anständige er in Sodom und Gomorrha finden müsste, damit die sündigen Städte nicht vernichtet werden. Von 50 Gerechten handelt Abraham den Allmächtigen schrittweise auf 10 herunter. Altes Testament trifft auf altbayerisches Lebensgefühl.

„Als Trachtler ist man nie allein“, hatte der Gauvorstand schon früher am Morgen auf der Bühne gesagt und den Landrat (Freie Wähler!), die Bür­ger­meis­te­r:in­nen (schwarze, ein roter, ein grüner!) und den evangelischen (!) Ortspfarrer im Publikum begrüßt. „Liebe Gott!“, steht auf dem ledernen Ranzen eines Trachtlers, gestickt in traditionellem Pfauenkiel. „Heimat, Werte, Tracht, Gemeinschaft“, beschwor der Gauvorstand in dieser „schnelllebigen Zeit“. Und natürlich auch den christlichen Glauben: „Ein Gaufest ohne Gottesdienst ist für mich nicht vorstellbar.“

„Unmoral und Sittenlosigkeit“

Dabei hatte die Kirche anfangs doch große Probleme mit der Trachtenvereinskultur. 1883 gründete der Lehrer Josef Vogel in Bayrischzell den ersten bayerischen Trachtenverein. Hauptzweck laut Satzung und ganz im Sinne des Königshauses: „Wiederauffrischung der im Verschwinden begriffenen kleidsamen Volkstracht“.

Doch die Trachtentreffen und Ausflüge von jungen Handwerkern und Dienstbotinnen gefielen den katholischen Kirchenmännern gar nicht. „Unmoral und Sittenlosigkeit“ unterstellten sie angesichts von kurzen Lederhosen und „tänzerischen Aktivitäten“ unter Biereinfluss. Bis 1920 wurde vielen Vereinen zudem eine sozialistische Gesinnung nachgesagt. „Diesem nichtbürgerlichen Kulturmilieu mit Tendenz zur Flucht aus der kirchlichen Überwachung verweigerten Kirchenvertreter die Weihe der Vereinsfahnen bis in die 1930er Jahre“, schreibt der Kulturwissenschaftler Manfred Seifert. Wie so eine Tracht eigentlich aussehen sollte, da inspirierten Land und Stadt sich gegenseitig.

Beim Gaufest haben die Kinder ihren Spaß: Luan Klemmer (rechts) mit seinem Freund Moritz Keller Foto: Christian Mooshammer

In den gehobenen Schichten Münchens waren es die Brüder Wallach, alpenbegeisterte jüdische Kaufleute aus Bielefeld, die ab 1900 die Tracht mit ihrem „Volkstrachtengeschäft“ popularisierten. Zum 100-jährigen Jubiläum des Oktoberfestes 1910 kostümierten die Wallachs unentgeltlich den historischen Landestrachtenzug. „Bis zur Entdeckung von Tracht und Dirndl als politisch programmatische wie rassistische Waffe durch die Nationalsozialisten dienten Tracht und Dirndl unter künstlerisch affinen Menschen als Spiel mit einem binnenexotischen Chic“, schreibt die Ethnologin Elsbeth Wallnöfer. Die Tracht bot Behagen im Unbehagen der Moderne.

In Münchens waren es die Brüder Wallach, jüdische Kaufleute aus Bielefeld, die ab 1900 die Tracht mit ihrem Volkstrachtengeschäft popularisierten

1930 schneiderten die Brüder Wallach die Bühnenkostüme für die Operette „Im weißen Rößl“, die ausgerechnet in Berlin zum Erfolg wurde und das Dirndl europaweit zum Renner machte. Die Wallachs orientierten sich an historischen Zeichnungen, nicht so sehr an den Modellen der Tiroler Nationalsozialistin Gertrud Pesendorfer, die während der NS-Zeit als „Reichsbeauftragte für Trachtenarbeit“ eine „erneuerte Tracht“ erfand.

Max Wallach ermordeten die Nazis in Auschwitz

Juden wie den Wallachs verboten die Nazis schließlich, die Volkskultur zu nutzen, „obwohl diese sie zum Teil besser dokumentierten als alle Volkskundler damals und nachher“, schreibt Wallnöfer. Die Trachtenvereine schalteten die Nazis gegen den Willen der Vorstände gleich, Max Wallach ermordeten sie in Auschwitz.

Im Feldwieser Bierzelt predigt der Priester jetzt darüber, dass die Tracht verschiedene Regierungsformen überlebt habe. „Geschichte darf sich nicht wiederholen in ihren dunklen Facetten“, sagt er. Gemeinschaftsbildende Traditionen hätten aber nach wie vor ihren Wert. Brauchtum schaffe Strukturen im Leben, wie auch das Gebet. Amen.

Draußen regnet es noch immer. Das ärgert viele im Zelt, besonders weil der benachbarte, viel größere Gauverband bei seinem Fest am Wochenende zuvor bei strahlendem Sonnenschein durch die Kreisstadt ziehen konnte. Trotzig holen 4.000 Lungen zum Abschluss der Messe Luft. „Gott mit dir, du Land der Bayern“, tönt es, „und erhalte dir die Farben deines Himmels weiß und blau“. Die Bayernhymne, heute ist sie ein Stoßgebet des Chiemgau Alpenverbands.

Mittagessen. Neben Schweinebraten und Hendl gibt es im Bierzelt mittlerweile auch ein vegetarisches Gericht, alkoholfreies Bier ist keine Schande mehr. Claudia Klemmer holt sich ein Stück Kuchen. Sie hat gern im urbanen Ruhrgebiet gelebt, sagt Klemmer, das Landleben verlange mehr Planung. Aber die Nachbarschaft habe es ihr leicht gemacht, in Feldwies anzukommen. „Wir wurden außergewöhnlich herzlich aufgenommen. Das Dorf ist wirklich von einem Wohnort zur Heimat geworden.“ Das berüchtigte „Mia san mia“ hätten die Klemmers nicht zu spüren bekommen.

Stärkt Körperspannung, Kondition und Koordination

Dass ihre Familie in den Trachtenverein geraten ist, bereut Claudia Klemmer überhaupt nicht. „Wo viele Kinder unter Einsamkeit vor dem Bildschirm leiden, bietet der Trachtenverein echte Nähe, Halt und Orientierung“, sagt Klemmer. „Die Kleinen blicken zu den Großen auf, die Großen übernehmen Verantwortung. Sie erfahren, wie es, ist Teil von etwas Größerem zu sein.“ An einem Tag wie heute könne man das besonders gut sehen.

Das Platteln der Jungen und das Drehen der Mädchen stärke die Körperspannung, die Kondition und Koordination, sagt Claudia Klemmer. „Sie stellen sich als 10-Jährige vor Hunderten auf die Bühne und entwickeln ein starkes Selbstbewusstsein.“ Liv und eine ihrer Freundinnen gehen aber nicht nur zur Trachtenprobe, einmal in der Woche tanzen sie auch zu HipHop.

Wer sich die teuren handgemachten Trachtensachen nicht leisten könne, dürfe sich etwas aus der Kleiderkammer des Vereins leihen, sagt Claudia Klemmer. Manchmal kommt die Tracht aber auch einfach zu einer Zugezogenen.

Mit am Tisch sitzt eine Bekannte der Klemmers, sie kommt ursprünglich aus Sachsen, wurde auch von ihren Kindern angeworben und trägt sogar das aufwendige Röcki, dazu die goldene „Kropfkette“ und im Ausschnitt rote Rosen und grünen Asparagus.

Die Sächsin nahm das Integrationsangebot an

In einer E-Mail habe der Verein sie eines Tages gefragt, ob sie das Miederkleid einer alten Trachtlerin übernehmen wolle, die Sächsin nahm das Integrationsangebot an. Claudia Klemmer ist noch nicht so weit. „Das Röcki? Das wäre too much“, sagt sie lachend. Doch wer weiß, wann ihre E-Mail kommt.

Wäre der Verein bei muslimischen Familien genauso offen? Bei einem lesbischen Paar und ihren Kindern? „Die Kinder haben ja keine Vorurteile, das wäre bei einer muslimischen Familie auch nicht anders“, sagt Claudia Klemmer. Die Frage sei eher, ob Eltern Lust hätten, sich in den Verein ziehen zu lassen.

Ein junger Mann am Tisch erzählt, dass sie in seinem Heimatverein gerade einen schwulen Vorplattler gewählt haben. Eine andere Frau weiß, dass im Chiemgau Alpenverband fast alle Vereine von Frauen geleitet werden. Vor wenigen Jahren noch sei das schwer vorstellbar gewesen.

Dem Bayerischen Trachtenverband zufolge haben die Vereine in den letzten 15 Jahren massiv an Mitgliedern verloren, vielleicht kann die neue Offenheit da helfen. In Hessen wirbt die „Vereinigung für Tanz- und Trachtenpflege“ seit Juni ganz aktiv um zugezogene und geflüchtete Neumitglieder.

Eine vielfältige Parade

In Feldwies hört es gegen 14 Uhr tatsächlich zu regnen auf, die Massen drängen vor das Zelt, formieren sich im milden Sonnenlicht hinter zwei jungen Trachtenfrauen, die hoch zu Ross den Zug anführen sollen. Es ist eine vielfältige Parade. Die Amerangerinnen mit ihren hellgrünen Schürzen finden sich als Block zusammen, ein anderer Verein mit pinken Krawatten und Schürzen, die Tiroler erkennt man an den spitzen Hüten, die Trachtenfrauen aus Reit im Winkl tragen kein schwarzes Röcki, sondern ein burgunderrotes. Eine Gruppe trägt nichts Tierisches auf dem Hut, sondern Hafer­ähren. Zwischendrin: ein Münchner Kindl in schwarzgelber Mönchskutte, das seine Leute sucht.

Auch beim Zug gibt es einen Wettbewerb: Welcher Verein läuft mit den meisten Mitgliedern, welcher hat den kreativsten Motivwagen dabei? Die Über­se­er:­in­nen mit ihrer Fischerhütte und den Netzen? Soll der Wagen mit den historischen Holzknechten die Punkte bekommen oder der mit den Hufschmieden, die tatsächlich glühendes Eisen schlagen?

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gezogen werden die Anhänger von schweren Kaltblütern, neben denen die Zwergponys noch winziger wirken, die ein Gefährt mit ganz kleinen Tracht­le­r:in­nen ziehen. Zwischendrin immer wieder Blasmusikkapellen, in wieder eigener Tracht. Und: Gäste aus der italienischen Partnergemeinde Monte San Biago sowie ein Schützenverein und ein Spielmannszug aus Greffen in Nordrhein-Westfalen, Partnervereine der Feldwieser:innen, alle Mann im blauen oder grünen Frack.

Der Zug wendet einmal, zieht als Gegenzug an den Nachkommenden vorbei, dreht schließlich noch einmal um. Auf einer Kreuzung mitten im kleinen Feldwies begegnen sich so die 4.000 bunten Tracht­le­r:in­nen dreimal, winken, grüßen, scherzen, sehen sich und werden gesehen. Mit Hals-Tattoo, mit weißen und nicht weißen Gesichtern, altbekannten und neuen, mit Augenklappe und im Rollstuhl, ein zweckfreier Zug, aber voller Sinn – und kakofonisch, wo zwei Blaskapellen aufeinandertreffen. Das kann schon an den Kölner Karneval erinnern, in seiner ernsthaften Lustigkeit, vielleicht sogar an die Pride-Paraden. Um Stolz geht es hier auf jeden Fall.

Nach zwei Stunden Umzug wartet Claudia Klemmer mit ihrem Mann vor dem Zelt. Liv und Luan sind zuvorderst mitgelaufen, begrüßen jetzt mit der Kindergruppe klatschend alle zurückkehrenden Vereine im Zelt, schließlich gehören sie zu den Gastgeber:innen. Weißbier um Weißbier, Maß um Maß – Preis: 11,20 Euro – gehen jetzt über die Theken. Später, wenn die erschöpften Kinder zu Hause sind, kehrt im Bierzelt wieder die kirchlich gefürchtete „Unmoral“ ein, treu dem guten, alten Brauch.

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