Belgischer Spielfilm über Trennungen: Was entzwei ist, wird nicht mehr ganz

Was der Einzelne in der Familie tut, betrifft die anderen. „Die Ökonomie der Liebe“ zeigt Hass und Abhängigkeiten einer Ehe in Trennung.

Ein Frau und ein Mann sehen in entgegengesetzte Richtungen

Kühle Blicke, verweigerte Berührungen: Bérénice Bejo und Cédric Kahn in „Die Ökonomie der Liebe“ Foto: Camino

Nach ungefähr einer Stunde gibt Joachim Lafosse der Familie das Glück noch einmal zurück: Marie, Boris, die Mädchen Jade und Margaux spielen miteinander und tanzen. Erst die Zwillinge, schön ungelenk, dann kommt der Vater dazu, dann die Mutter. Sie halten sich an den Händen, zu viert.

Was längst entzwei ist, wird hier ein letztes Mal ganz: die Familie, die Liebe, das Paar mit den Kindern. Marie (Bérénice Bejo) und Boris (Cédric Kahn) eng umschlungen, sie legt den Kopf auf seine Schulter und weint. Die beiden bringen die Kinder ins Bett. Vater, Mutter, das verheiratete Paar. Sie schlafen noch einmal miteinander. Nein: Sie haben Sex, aber sie schlafen getrennt.

Dieser Abend, diese Nacht sind in der Ökonomie der Liebe der beiden ein Nachhall, einerseits wirklich, andererseits wie geträumt. Sie lassen sich nicht verrechnen, tauchen in der Bilanz, die am Ende zu ziehen sein wird, nicht auf, sie sind nicht mehr Teil der Beziehung, nichts baut mehr auf ihnen auf, sie fassen nur noch einmal in eine Zeit außerhalb der Zeit, was für immer hätte sein sollen, was aber ganz und gar nicht mehr ist.

Miteinander tanzend trauern Marie und Boris um das Glück, das sie hatten: die Nähe, das blinde Verstehen des andern, den liebenden Blick, das Begehren, die Worte, die den anderen stärken, nicht schwächen, das Fundament eines Lebens zu viert, das Tag für Tag trägt.

Die Wahrheit jedoch ist: Nichts geht mehr. Nach fünfzehn Jahren Ehe ist es mit der Liebe vorbei. Von diesem Vorbeisein erzählt der Film des belgischen Regisseurs Joachim Lafosse, das Drehbuch ist ausgewiesen als Kollektivarbeit von zwei Frauen, zwei Männern, darunter der Regisseur.

Eine der Autorinnen, das nur am Rande, ist Mazarine Pingeot, die uneheliche Tochter von François Mitterand, einst fast ein Staatsgeheimnis, inzwischen eine respektierte Autorin von oft autobiografischen Erzählungen und Romanen.

Das Glück, das einmal war

Sehr ist das Buch darum bemüht, allen Perspektiven Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Man versteht, was Marie an der passiv-aggressiven Ruhe des Mannes aufbringt, den sie kaum noch erträgt. Man versteht, dass Boris seine Frau als eine erlebt, die ihn immer nur abweist. Und man spürt das Leid der Kinder, die zwischen Fronten geraten, deren Hintergründe und Verläufe ihnen umso mehr verborgen bleiben müssen, als auch den Eltern ihr eigenes Tun nicht immer durchsichtig ist.

„L’économie du couple“ lautet der Originaltitel, er ist um ein Entscheidendes präziser als die allgemeinere Liebesökonomie, die der deutsche Titel verspricht. Die Liebe nämlich hält das Paar schon eine ganze Weile nicht mehr zusammen, eher ist es die schiere Beharrungskraft, die sich in fünfzehn Jahren angesammelt hat, eher sind es die Kinder, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, vor allem aber ist es das Geld, das Boris nicht hat – er kann sich den Auszug aus dem gemeinsamen Heim einfach nicht leisten. Er hat Schulden und wird von seinen Schuldnern ungut bedrängt.

Was Liebe ist, versteht man erst, wenn sie vorbei ist: eine Umwertung aller Dinge am anderen, so unerklärlich, wie es die Liebe auch war

Trennung ist für die beiden zunächst kaum mehr als ein Wort. Alles Vorbeisein muss mehr als nur Spuren des Vergangenen enthalten. Erinnerungen zum einen, aber da leistet der Film Verzicht: Von dem einen Moment abgesehen, der das Glück der Vergangenheit in eine fast geträumte momentane Gegenwart fasst, kann man, was gewesen ist, bestenfalls ahnen. Rückblenden gibt es nicht.

Der Film baut ganz darauf, die Beziehungsgeschichte aus der aktuellen Situation heraus begreifbar zu machen. Einmal sind Freunde zum Essen, auch hier spürt man das Glück, das einmal war, am Unglück, das jedes Wort, jede kleine Gelegenheit für sein Zerstörungswerk nutzt: Kleinigkeiten werden sofort zum Anlass für Streit.

Was Liebe ist, versteht man erst, wenn es damit vorbei ist: eine Umwertung aller Dinge am anderen, die so unerklärlich sein muss, wie es die Liebe gerade zu den nun unerträglich gewordenen Eigenschaften auch war.

Nach außen bleibt alles gleich

Gerade die fast sture Ruhe von Boris wird für Marie zum wiederkehrenden Anlass von Hass. Und Boris beharrt versuchsweise und wider besseres Wissen darauf, dass doch eigentlich alles ist wie früher.

Dabei ist es gerade das, was „Ökonomie der Liebe“, manchmal selbst wie gebannt, vorführt: Während äußerlich alles gleich bleibt – die Familie im gemeinsamen Haus mit ihren über die Jahre etablierten Ritualen und Ticks –, ist nichts mehr dasselbe. Ablesbar wird das einstige Funktionieren als Paar nicht zuletzt an der Fassungslosigkeit, mit der Marie und Boris auf die Ruinen des gemeinsamen Lebens blicken, auf dessen Zukunft sie bauten.

Diesen brüchig gewordenen Untergrund fängt der Film in Szenen ein, die einerseits durchaus theaternah sind. Freilich hat hier keiner Angst vor Virginia Woolf: Keine sprachlich zugespitzten Redeschlachten aufs Messer vor Publikum, sondern ein Alltag, der auch in seinen an- und abschwellenden Konflikten meist wohltemperiert bleibt.

Man versteht, was Marie an der passiv-aggressiven Ruhe des Mannes aufbringt. Man versteht, dass Boris seine Frau als eine erlebt, die ihn immer nur abweist

Die Kamera ist geschmeidig, bringt, auch wenn sie sich viel zwischen den Darstellern bewegt und zwischen nahen und fernen Einstellungen variiert, keine Unruhe ins Spiel, sondern registriert recht nüchtern die Lage der Dinge.

Was in diesen Szenen einer endenden Ehe manifest wird, sind Blicke, sind gerade noch mögliche und sind verweigerte Berührungen, ist neben dem Gesagten auch das bewusst unausgesprochen Gelassene, sind die strategischen Moves der beiden, bei denen die Kinder wie die Großmütter, das Geld, die Wohnung, die geleistete Arbeit immer wieder zu bloßer Manövriermasse werden.

Getrennt leben im gemeinsamen Raum

„Die Ökonomie der Liebe“ ist dabei ein Kammerspiel in doppeltem Sinn. Ein Film, der die gemeinsame Wohnung erst ganz am Ende verlässt – für ein dramatisches Ereignis, das dann freilich fast ganz ins Off verlegt wird.

Es geht um die Vermessung eines Raums, die Konzentration aufs Detail, die Bewegung in einem Territorium, das von beiden Seiten vermint ist, wenngleich die Rücksicht auf die Kinder verlangt, dass die Eltern die Minen möglichst selten hochgehen lassen.

Im gemeinsamen Raum leben sie getrennt von Tisch und Bett, mit separierten Fächern im Kühlschrank; zugleich kommt es ständig zu Terminen und Fristen, die sich doch überschneiden. Von einem gewissen Schematismus ist das alles nicht frei. Auf Subtilitäten will der Film aber auch gar nicht hinaus. Ihm geht es um Struktur. Marie, Boris und die Kinder: ein alles andere als untypischer Fall.

Viel dreht sich um die buchstäbliche Ökonomie dieser Wohnung, die beiden streiten darum, wer beim Verkauf nach der Scheidung wie viel bekommt. Das Geld kam von ihr, er hat viel Arbeit in die Renovierung gesteckt. Sie verdient gut, er verdient unregelmäßig und schlecht.

„Die Ökonomie der Liebe“. Regie: Joachim Lafosse. Mit Bérénice Bejo, Cédric Kahn u. a. Belgien/Frankreich 2016, 101 Min.

Viel bleibt bewusst außen vor, wenngleich der Raum der Familie nie rein privat bleiben kann, eben weil ihn Ökonomien durchziehen. In der Setzung des Titels steckt die Absage an einen nur romantischen Blick: das Leben zu zweit, und erst recht das zu dritt und zu viert, ist etwas, bei dem, was immer der Einzelne tut, in Abhängigkeit von den anderen steht, weil es die anderen stets mitbetrifft. Darum Ökonomie.

„Die Ökonomie der Liebe“ erzählt davon, was es heißt, dass die Rechnungen hinten und vorne nicht mehr aufgehen. Das ist kein Spaß. Es ist auch sehr bald kein Spiel mehr. Eher ein schwelender kalter Stellungskrieg mit sich stets ähnlich wiederholenden Scharmützeln.

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