Benefiz-Album „Kein Mensch ist illegal“: Welche Krise soll es denn sein?

Auf „Kein Mensch ist illegal“ singen 36 Künstler gegen Rassismus und Gewalt an. Der Sampler ist ein solidarisches Zeichen der Popkultur.

Ein Rucksack mit dem Aufdruck „Kein Mensch ist illegal“.

Von der Straße auf‘s CD-Cover: „Kein Mensch ist illegal“. Foto: dpa

Das BKA ging Ende September von 26 Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime allein für 2015 aus. Bundesweit zählt die Amadeu-Antonio-Stiftung mehr als 500 Straftaten gegen Flüchtlinge. In einem Land wie Sachsen, in das innerhalb eines Monats gerade mal 6.000 Personen migrierten, registrierte man seit Jahresbeginn knapp 100 fremdenfeindliche Taten und 49 Demos. Man möchte sich nicht ausmalen, was los wäre, hätte Sachsen mehr als 70.000 Flüchtlinge aufgenommen, wie Bayern es zur gleichen Zeit tat.

„Wir stehen vor einem Problem, welches zu ekelhafter Größe herangewachsen ist. Flüchtlingsheime brennen“, schreibt Ingo Knollmann, Sänger der Punkband Donots, im Booklet des Samplers “Kein Mensch ist illegal“, der nächsten Freitag vom Indie-Label Unter Schafen veröffentlicht wird. Viele relevante Mainstream- und Indie-Künstler (leider nur wenige Künstlerinnen) sind vertreten, die Musik mit deutschen Texten machen – darunter Herbert Grönemeyer, Die Goldenen Zitronen oder das junge Kölner Trio AnnenMayKantereit.

Zweifel darüber, wie es um die Willkommenskultur in Deutschland in Zukunft tatsächlich bestellt ist, die Sorge, dass angesichts des rassistischen Mobs und des mancherorts ausbleibenden Widerstands dagegen die Gewalt anhält, hat die Musikszene zu diesem Projekt veranlasst. Alle Einnahmen fließen an Pro Asyl und die Initiative „Kein Mensch ist illegal“.

Es ist unerheblich, wie man die Qualität im Ganzen bewertet (ganz schön viele Ton-Steine-Scherbe-Erben – sie selbst sind übrigens auch dabei) – man sollte dieses Album, bei dem am Ende 36 Künstler partizipieren wollten, als bescheidenes solidarisches Zeichen des hiesigen Pop werten, das Geld einbringen soll – und schon deshalb bitte massenhaft gekauft werden möge.

Über einige zentrale Forderungen der Organisationen – legale Wege in die EU, Aufbau und Finanzierung einer Seenotrettung, – wird im Booklet informiert. Was Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow, dessen Band Pro Asyl schon länger unterstützt, zu dem politischen Gehalt seiner Songs sagt, gilt dabei für viele Beiträge des Samplers: „In unseren Texten überlagern sich viele Dinge und es entsteht oft ein politischer Subtext, der mehr auslösen kann als eine Parole, die ein ganzes Stück tragen soll“, erklärte von Lowtzow in einem Interview. „Künstlerisch fände ich das einfach auch unbefriedigend.“

Die Zeit der Parolen scheint glücklicherweise vorbei – auf dem Album überwiegen Songs, in denen die Künstler zwischen Ebenen und Perspektiven wechseln. Dies klingt witzig und pointiert – zumindest der Mainstream-Popdiskurs wird abgebildet. Farin Urlaubs Stück „Welche Krise?“ bringt die unruhige Weltlage auf den Punkt. Der Ärzte-Sänger macht einige Seitenhiebe gegen eurozentristisches Denken und ist dabei null peinlich, zynisch oder pathetisch: „Welche Krise darf’s denn sein?“

Direkt im Anschluss singen Kraftklub: „Meine Mutter sagt: Junge geh mal schlafen, fahr mal in Urlaub / aber ich soll auf die Straße/ sagt Farin Urlaub.“ Wenn man abschließend doch ein Wort zur Auswahl der Künstler verlieren will: Auch wenn es Konzept war, hier ausschließlich Deutsch singende Künstler zu versammeln, darf’s beim nächsten Mal gern etwas heterogener zugehen.

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