Beratungsstelle für Berufskrankheiten: Wenn die Arbeit krank macht

Die Beratungsstelle für Berufskrankheiten in Bremen bleibt erhalten. Ging es zunächst vor allem um Asbest, rücken nun andere Belastungen in den Vordergrund.

Die Bremer Vulkan-Werft ist lange Geschichte. Ihre Folgeschäden sind es noch nicht. Bild: dpa

BREMEN taz | Die Bremer Beratungsstelle für Berufskrankheiten soll dauerhaft etabliert werden. Das soll die Gesundheitsdeputation heute beschließen.

Aufgrund der „regen Nachfrage“, ihrer „erfolgreichen Arbeit“ und der „großen und positiven“ Resonanz aus der Fachöffentlichkeit solle der entsprechende Vertrag mit der Arbeitnehmerkammer „auf unbestimmte Zeit“ verlängert werden, heißt es in der Beschlussvorlage.

Die Beratungsstelle, die zum 1. Juli vergangenen Jahres ihre Arbeit aufgenommen hat, ist aus einem jahrelang ehrenamtlich betriebenen Büro des ehemaligen Vulkan-Betriebsrates Rolf Spalek hervorgegangen. Der ist durch seine Arbeit auf der Werft selbst an Asbestose erkrankt, einer oft tödlichen Staublungenerkrankung – und wollte andere Betroffene in ihrem oft jahrelangen Kampf gegen die Berufsgenossenschaften unterstützen.

Fast 200 Beratungen zählte der Gesundheitswissenschaftler Niklas Wellmann allein bis Anfang März dieses Jahres, dabei hat er als einziger Berater nur eine Teilzeitstelle. In der Mehrzahl der Fälle geht es dabei um asbestbedingte Erkrankungen.

Die Bremer Beratungsstelle für Berufskrankheiten sitzt in der Lindenstraße 8 in Bremen-Nord, nahe des früheren Geländes der Vulkan-Werft.

Sie ist unter 0421/669 50-36 oder auch per Mail zu erreichen: bk-beratung@arbeitnehmerkammer.de.

Die regulären Sprechzeiten sind montags von 13 bis 17 Uhr sowie mittwochs und donnerstags von 9 bis 13 Uhr. Weitere Termine gibt es nach Vereinbarung.

Die Beratung ist kostenlos, die Geschäftsstelle ist barrierefrei zu erreichen.

Kein Wunder: Das einst als „Wunderfaser“ gefeierte Asbest, das krebserregend, aber auch sehr feuerfest, hitze- und säurebeständig ist und außerdem gut wärmedämmend ist, wurde nicht nur in Häusern und auf Dächern, sondern auch auf Schiffen gerne verbaut. Bremen hat deshalb im Bundesvergleich besonders viele Asbest-Geschädigte – schließlich beschäftigte allein die Vulkan-Werft bis zu 10.000 Menschen. Schon 2011 zählte man in Bremen etwa 5.000 einschlägig Erkrankte. Und die Tendenz ist bis 2017 weiter steigend, sagen Experten – weil es oft Jahrzehnte dauert, bis jene, die einst dem Asbest ausgesetzt waren, daran erkranken.

Herstellung und Verwendung von Asbest sind erst seit 1993 verboten – obwohl es beim Gewerbeaufsichtsamt schon 1968 Hinweise über die Gefahr gab, die von Asbest ausgeht. Zehn Jahre später, als die Vulkanesen die „Kungsholm“ umbauten, konnten die Grenzwerte dennoch um das 40-fache überschritten werden.

Doch für Betroffene ist der Nachweis, dass Asbest am Arbeitsplatz letztendlich schuld am Lungenkrebs ist, oft schwer zu führen. Weil es früher eben auch im eigenen Kleingarten oder auf Dächern verbaut wurde. Weil viele Belastungen am Arbeitsplatz früher einfach gar nicht dokumentiert wurden. Oder weil Unterlagen darüber, etwa im Zuge von Konkursen, verloren gingen. Und selbst wenn einer dann als berufskrank anerkannt ist, heißt das noch nicht, dass er auch eine Entschädigung oder Rente bekommt. Das Interesse der Berufsgenossenschaft ist es, nicht zahlen zu müssen.

Die Grünen fordern deshalb seit Längerem eine Umkehr der Beweislast. Dann wäre es an der Berufsgenossenschaft, nachzuweisen, dass es nicht der Job war, der schuld an der Asbestose oder am Krebs war. Er selbst habe sich zu dieser Frage aber „noch kein umfassendes Bild“ machen können, so Wellmann.

Doch nicht immer geht es in seiner Beratungsstelle nur um Asbest. Ganz im Gegenteil: „Immer häufiger“, so Wellmann, kämen Menschen wegen Hautkrankheiten, Rückenbeschwerden oder Lärmschwerhörigkeit zu ihm. 45 Beratungen von Asbestopfern in etwa acht Monaten stehen dabei je zehn Fällen von Haut- beziehungsweise Muskel- und Skeletterkrankungen gegenüber.

Belastungen im Job seien dabei oft nur schwer von jenen im Privatleben abzugrenzen, sagt Wellmann, die formellen Hürden für die Anerkennung einer Berufskrankheit entsprechend hoch und kompliziert. Lärm sei dabei auf dem Bau oder in metallverarbeitenden Berufen ebenso ein Problem wie bei ErzieherInnen, Rückenprobleme treten bei Handwerkern genauso auf wie bei Pflegekräften.

Oder bei Lageristen: In seinem Bericht für die Deputation schildert Wellmann den Fall eines Mannes, der fast 20 Jahre lang Fliesen kommissionierte, verpackte und lagerte, mit dem Gabelstapler oder mit der Hand. Diesen Job musste er aufgeben – zu groß waren seine Nacken-und Rückenschmerzen. Die Pakete, die er zu schleppen hatte, mussten „in Zwangshaltung“ in die Regale sortiert werden und wogen bis zu 40 Kilo. Sie waren also zu leicht, sagt die Berufsgenossenschaft. Eine Berufskrankheit, so beschied sie ihm, bekomme nur anerkannt, wer über 50 Kilogramm auf der Schulter zu schleppen habe – also etwa Schweinehälften.

Sechs Monate dauert es, mindestens, ehe so ein Fall entschieden ist, sagt Wellmann. Es können aber auch Jahre vergehen. „In dieser Zeit fühlen sich viele Betroffene meist hilflos“, sagt Wellmann. Erschwerend kommt hinzu, dass allerlei Institutionen am Verfahren beteiligt sind – Versicherungen, die Arbeitsagentur, das Integrations- oder das Versorgungsamt. Schon die jeweiligen Zuständigkeiten, so Wellmann, seien da „nicht immer eindeutig zuzuweisen“.

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