Bericht des UN-Weltklimarats: Apokalypse auf Akademisch

Rechtzeitig zur Klimakonferenz schwarz auf weiß: der Nordpol im Sommer eisfrei, der Golfstrom kälter, Monsunregen länger, dafür kaum noch Permafrostböden.

Ob Wetterphänomen oder schon Klimawandel ist für die Betroffenen unerheblich Bild: dpa

BERLIN taz | Die kalte Dusche für jede ambitionierte Klimapolitik steht auf Seite 13. In staubtrockenem technischen Englisch präsentieren die klügsten Köpfe der Klimawissenschaften dem internationalen Nichthandeln beim Klimaschutz die Rechnung: Wenn die Treibhausgasemissionen mehr oder weniger so weitergehen wie bislang, zeigen ihre Modelle, sei es „zumindest wahrscheinlich, dass bis 2100 die Erwärmung zwei Grad Celsius übersteigt“.

Und schlimmer noch: Selbst beim extrem ambitionierten und damit politisch kaum umsetzbaren Best-Case-Scenario „RCP 2.6“, das eine massive Reduktion von Klimagasen annimmt, stehe die Chance, den Klimawandel auf zwei Grad zu begrenzen, nur 50:50.

Das steht nicht irgendwo, sondern im aktuellen Berichtsentwurf des UN-Klimarats IPCC mit dem Titel „Klimawandel 2013: Die naturwissenschaftliche Basis“, der der taz vorliegt. Die 2-Grad-Grenze ist die rote Linie im Klimaschutz. Sie ist das global anerkannte Limit, bis zu dem nach wissenschaftlich anerkannter Meinung der Klimawandel gerade noch zu beherrschen ist.

Das Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimawandel) ist das oberste Gremium von Experten und Regierungsvertretern zur Begutachtung der Klimakrise.

Das Gremium wurde 1988 von den UN-Organisationen für Meteorologie und für Umwelt gegründet. Darin arbeiten Tausende von Wissenschaftlern, die sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen beschäftigen, ehrenamtlich und ohne Bezahlung an regelmäßigen Berichten.

Die Experten für Wetter, Ozeane, Wolken, Biologie oder Ökonomie stellen in einem aufwändigen Gutachterverfahren die jeweils aktuellen Forschungsergebnisse zusammen, die dann von Kollegen mehrfach gesichtet und gekürzt werden. Am Ende steht in drei Arbeitsgruppen (naturwissenschaftliche Grundlagen, Auswirkungen auf Menschen und Ökosysteme, Gegenmaßnahmen) ein umfangreicher Bericht, der den Regierungen der UN-Staaten zugeleitet und abschließend beraten wird.

Das IPCC wird kritisiert, weil es kein reines Expertengremium ist, sondern zum Schluss die Regierungen ein Wort mitzureden haben. Die Wissenschaftler bestehen allerdings darauf, dass sie keine Daten auf politischen Druck hin verändern würden.

Seit das IPCC besteht, wurde es etwa durch die Szene der US-amerikanischen „Klimaskeptiker“ massiv angefeindet, einzelne Wissenschaftler wurden belästigt und verfolgt. 2007 wurde dem IPCC unter seinem Vorsitzenden Rajendra Pachauri gemeinsam mit dem US-Politiker Al Gore der Friedensnobelpreis verliehen. Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009 tauchte der Vorwurf auf, die Wissenschaftler hätten falsche Daten in die Berichte geschrieben, ihre Untersuchungen manipuliert und Kritiker mundtot gemacht. Mehrere umfassende Studien zu diesem angeblichen „Climategate“-Skandal sprachen die Forscher aber frei: Es habe einzelne Fehler bei Datensammlungen gegeben, aber keine grundsätzliche Manipulation. (bpo)

Deshalb haben die Regierungen der UN-Staaten immer wieder erklärt: Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Und doch haben sie kaum etwas unternommen, damit die Grenze tatsächlich eingehalten wird. Daran wird sich auch nichts Grundlegendes bei der 18. UN-Klimakonferenz ändern, die nächste Woche in Doha beginnt. Die Regierungsdelegationen haben die brisante neue Studie des IPCC im Gepäck.

Der Mensch ist schuld

In dem internen Dokument („Nicht zitieren oder verteilen“) präsentieren die Autoren des IPCC die wissenschaftlichen Fakten des Klimawandels ungeschönt auf 26 Seiten als „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“.

Die Grundtendenz folgt den vier umfangreichen IPCC-Berichten, die etwa alle fünf Jahre erscheinen: Der Klimawandel ist real, er ist ein Problem, und der Mensch ist schuld. Der neueste Bericht, kurz „AR 5“ genannt, bestätigt und belegt diese Ergebnisse aus den letzten Jahrzehnten mit neuen Daten.

Allerdings gehen die Wissenschaftler nun davon aus, dass sich die mittlere Lufttemperatur der Erde seit 1901 bereits um 0,8 Grad erhöht hat (bisher: 0,7 Grad). Allein die Schmelze von Gletschern im Gebirge, in Grönland und der Antarktis führe jährlich zu einem Anstieg des Meeresspiegels von 1,8 Millimetern. „Das sind 50 Prozent mehr als im 4. Bericht von 2007 abgeschätzt“, sagt Peter Lemke, Klimawissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut und IPCC-Autor.

Dazu kommt noch die Ausdehnung des Meerwassers durch die Erwärmung. Weitere Erwärmung und Gletscherschmelzen würden voraussichtlich bis 2100 zu einem Meeresspiegel führen, der „um 50 bis 100 Zentimeter“ höher liege. Der Pegel sei „im 20. Jahrhundert etwa 10-mal so schnell gestiegen wie in den letzten paar tausend Jahren“, heißt es in dem Bericht.

Kosmische Einflüsse zu schwach

Auch auf anderen Gebieten liefern neue Studien beunruhigende Einblicke, wie der Klimawandel an Fahrt aufnimmt. So sei der Einfluss des Menschen auf die veränderte Energiebilanz der Erde „50 Prozent höher als noch im ’AR 4‘ angenommen“, heißt es.

Die Thesen, die Sonne treibe den Klimawandel hauptsächlich an, wie es etwa der RWE-Manager Fritz Vahrenholt in einem Buch behauptet, seien nach neuen Daten nicht zu halten, kosmische Einflüsse seien „zu schwach, um einen signifikanten Einfluss aufs Klima zu haben“.

Anders als vor fünf Jahren trauen sich die Forscher auch eine Aussage darüber zu, wie der Wasserdampf in der Atmosphäre durch „positive Rückkopplung“ den Klimawandel verstärke. Und bis 2100 würden die Ozeane durch die massive Aufnahme von CO2 so weit übersauert, dass das Wasser stellenweise die Kalkschalen von Korallen und Krebsen auflösen werde.

In einigen Punkten korrigieren die Wissenschaftler allerdings auch die Einschätzungen des 4. Sachstandsberichts von 2007. So seien Änderungen bei den globalen Niederschlägen nicht belegbar, und auch ein vorhergesagter Trend zu mehr Dürre in Tropenregionen müsse im Licht neuer Daten revidiert werden. Die allgemeine Warnung vor mehr Wirbelstürme sei nicht zeitgemäß – wohl aber die Prognose, dass Stürme stärker würden.

Sicherheit und Wahrscheinlichkeit

Wie auch in den anderen Berichten unterteilen die Wissenschaftler ihre Aussagen in verschiedenen Phasen von Wahrscheinlichkeit und Sicherheit, mit denen sie getroffen werden. Und sie geben zu, dass es bestimmte Themen gibt, über die sie sich keine Aussagen zutrauen. So sei es sehr schwer, exakte Voraussagen für großräumige Klimaphänomene wie die Großwetterlage „El Niño“ im Pazifik zu machen.

Vor allem die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte malen ein Schreckensszenario. Wissenschaftlich trocken zählen die Forscher auf, was einzelnen Weltregionen blüht. Häufigere und längere Hitzewellen, Starkregen und eine Verstärkung der bestehenden Trends: In nassen Gegenden wird es nasser, trockene Regionen müssen noch mehr dursten. Das System der globalen Meeresströme, unter ihnen der Golfstrom, könne sich um bis zu 30 Prozent abschwächen, werde allerdings in naher Zukunft nicht abreißen.

Der Nordpol werde bei Überschreiten des 2-Grad-Limits bis zum Ende des Jahrhunderts mit ziemlicher Sicherheit im Sommer eisfrei, die Monsunsaison werde sich verlängern, die Landfläche mit Permafrostboden könne sich um bis zu 80 Prozent reduzieren. Einige Modelle sehen gar voraus, dass Bäume und Böden, die derzeit Treibhausgase speichern, diese Funktion verlieren und im Gegenteil zu „Emissionsquellen“ werden könnten. Kommen solche Teufelskreise erst einmal in Gang, sehen die Wissenschaftler dann aus den Wäldern und Meeren für jedes Grad zusätzliche Temperatur etwa 300 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aufsteigen – etwa das Achtfache dessen, was der Mensch jeder Jahr in die Atmosphäre bläst.

Längfristig bis 2300 könnte nach den Prognosen ein ungebremster CO2-Ausstoß zu einem Temperaturanstieg bis 8,7 Grad führen und einen „substanziellen Einfluss der menschlichen Aktivität über viele Jahrhunderte“ bringen. Aber auch auf kürzere Sicht lauern laut IPCC Gefahren. Das Gremium erinnert in einer früheren Version des Berichts an das Pleistozän vor etwa drei Millionen Jahren.

Damals lag die CO2-Konzentration etwa so hoch wie heute, die globalen Temperaturen waren ein bis zwei Grad höher, also im Bereich dessen, was die Zukunft wahrscheinlich bringt. „Und der globale Meeresspiegel lag im Pleistozän 10 bis 30 Meter über dem heutigen Pegel“, schreiben die Forscher. In diesen Gegenden leben derzeit etwa eine Milliarde Menschen.

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