Berichterstattung über die Finanzkrise: Scheiße mit der Scheiße hier

Je apokalyptischer die Medien über die Finanzkrise berichten, desto weniger sorgt sich unser Autor. Weil er sowieso nichts ändern kann.

Der Autor bewahrt die Ruhe in Zeiten medialer Hysterie. Bild: dpa

Ich sollte mir wahrscheinlich mal ernsthafte Sorgen machen. Ein bisschen nervös werden wenigstens. Aktienkurse studieren, egal welche, und dabei an den Fingernägeln kauen. Mich dafür interessieren, ob irgendeine Klitsche den Vereinigten Staaten von Amerika schlechtere Zensuren für die wirtschaftliche Potenz ausstellt als sonst.

Mich darüber wundern, dass jetzt die Chinesen den USA vorschreiben, wofür die ihr Geld ausgeben sollen. Im Fernseher besorgt Maklern dabei zusehen, wie sie besorgt auf Bildschirme sehen. Häufiger mal die Financial Times oder gleich Theoretiker wie Hayek lesen, um das alles zu verstehen. Nebenbei auch mal die anderen Börsen im Blick behalten und schauen, ob da jetzt auch die Kurse rutschen. Auf dem Smartphone in Echtzeit mein Portfolio checken. Stirnfalten ausprägen.

Ich sollte mich womöglich ganztags ans Krankenbett des Dax setzen und ihm mit bangem Blick auf die Fieberkurve das Händchen halten: "Wie gehts, alter Junge? Du wackelst ja ganz schön! Immer dieses Geklettere, ich habe dich gewarnt! Das steckst du aber doch wieder locker weg, oder? Ist ja nichts gebrochen. Was? Deinen Kumpels Nasdaq und Nikkei gehts auch nicht gut? Womit haben die sich wohl angesteckt? Und bei wem?" Nachdenklich nach Hause gehen und mir endlich mal wirklich wichtige Fragen stellen: Was ist mit Italien? Spanien! Soll ich Gold kaufen? Wovon soll ich Gold kaufen? Was ist eine Feinunze? Gibts auch eine Grobunze?

Später ruft die Schwiegermutter an: Ob wir uns nicht nochmal überlegen wollen, mit den Kindern in das riesige Haus im Wald zu ziehen? Frisches Wasser! Eigenes Gemüse! Im Keller gibt es auch noch genug Draht, um damit kleinen Tieren Fallen zu stellen! Deren Fell könnte man abziehen und auf dem Markt …

Ich gestehe: Ich sorge mich nicht.

Bullshit. Ich gestehe: Ich sorge mich nicht. Ich muss mich nicht einmal beruhigen, so wenig sorge ich mich. Das Gebrüll, nur jetzt ja nicht in Panik zu verfallen, es ist mir lästig. Die gegenwärtige Finanzkrise geht mir - wie das Platzen der New-Economy-Blase oder die Immobilienblasenschwäche von 2008 auch - schlicht meilenweit am Arsch vorbei. Ich darf das doch mal so derb sagen, oder?

Aus purer Notwehr gegen die Überschwemmung mit obszönem Vokabular wie Schuldverschreibungen, Elfmonatstief, dickes Minus, Panikverkäufe, Gewinnmitnahmen, Schwellenländer, Defizite, Herabstufung, Konjunktur, Kreditwürdigkeit, Rendite, Ratingagenturen, Weltwirtschaft, Crash, Verluste, Telefonkonferenz, Hamsterkäufe, Liquidität, Staatsverschuldung, Pump, Investoren, Rettungsschirm, Stabilitätspakt, Währung, Kapitalreserven, Schuldenobergrenze, Bonität oder Insolvenzen. So wichtig das alles sein mag, so sehr schläfert es mich ein.

Finanzkrise! Bankenkrise! Ich kanns nicht mehr hören!

Ich verspüre nicht einmal das Bedürfnis, mich für meine Sorglosigkeit zu rechtfertigen - gegenüber denjenigen, die mir glaubhaft versichern, einen Zusammenbruch der Märkte würde auch ich zu spüren bekommen. Neulich sah ich einen dieser pädagogisch gemeinten Cartoons zur Krise. Da steht ein Männchen vor einem Haus und ruft leichtfertig: "Finanzkrise! Bankenkrise! Ich kanns nicht mehr hören! Was hat das alles mit mir zu tun?", während sich oben auf dem Haus der Buchstabe "K" aus dem Schild "BANK" löst und droht, das Männlein zu erschlagen. Tja, hätte er mal rechtzeitig Gold gekauft. Oder einen Schritt zur Seite gemacht.

Je mehr ich also medial dazu motiviert werden soll, an den Aporien des Kapitalismus irgendwie Anteil zu nehmen, umso renitenter ignoriere ich seine Probleme, für die ich nicht verantwortlich bin und zu deren Lösung ich mich nicht einspannen lasse. Ich muss keine Hypothek abbezahlen, ich habe keine Ratenzahlung am Laufen. Ich halte keine Aktien, weil ich nichts von Aktien halte. Ich lebe nicht auf Pump. Wenn der Staat sich Geld leiht, "damits uns besser geht" (Trio), ist das sein Problem.

"Monopoly" hat mich schon als Kind nicht nur nicht interessiert, es hat mich angeekelt. Noch immer befremdet es mich, vor der "Tagesschau" mit der "Börse im Ersten" behelligt zu werden. Und derzeit verdrießen mich all die Belehrungen kolossal, meine Aufmerksamkeit doch bitte den Wehwehchen eines siechenden Systems zu widmen. Auch brauche ich keine wort- und kenntnisreichen Erklärungen, wie und warum ein Zusammenbruch dieses großen Systems auch meine kleine Lebenswelt beeinträchtigen würde. Das weiß ich nämlich.

Die Welt dreht sich mit altbekannter Gemächlichkeit weiter

Es ist nur so, dass ich mir dieses System nicht ausgesucht habe. Wenn dieses System so anfällig für so folgenreiche Fehler ist, dann ist es vielleicht kein besonders gutes System. Dann will ich nicht dazu angehalten werden, Däumchen zu drücken, auf dass es ihm bald wieder besser gehe. Weil ich ohnehin nichts daran ändern kann. Weil offenbar auch die Politik - gewählt, um die Dinge zu erhalten oder auch zu ändern - weitgehend hilflos zuschaut, wie sich diese abstrakten Dramen mit gewitternder Wucht entfalten.

Ja, es wird immer mal wieder Winter. Und wenn immer Winter wäre, würde es verdammt kalt werden. Na und? Seltsamerweise geht die Welt nicht unter, sondern dreht sich mit altbekannter Gemächlichkeit weiter. Mag sein, dass ich weit mehr zu verlieren habe, als ich denke. Ich denke aber eben einfach nicht daran, wenns recht ist.

Wenns recht ist, denke ich lieber an etwas anderes … Afrika? Genau, Afrika, der Gegenpol unserer armen, krisengeschüttelten Hemisphäre. Karl Marx schreibt: "Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol." Dort verhungern derzeit täglich sechs Kinder unter fünf Jahren, zwei Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Das war mal groß in den Nachrichten, gestern noch, bevor die Weltmärkte diesen lästigen Schluckauf bekamen.

Die Frage, ob die Rettung von Banken oder von Menschenleben wichtiger sei (und wie beides miteinander zusammenhängt), ist natürlich uncool, unterkomplex und zeugt von einem "geistig armen und polemischen Niveau" (Die Welt). Trotzdem kommt es mir vor, als würde das Haus nebenan gerade mitsamt seinen brüllenden Bewohnern in Flammen stehen, während ich mich betroffen über die verwelkenden Blumen in meinem Garten beuge und überlege, wie ich sie besser bewässern könnte. Wenn ich jetzt ausrutschte und im Gartenteich ersaufen würde, hätte ich das nicht verdient?

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