Berichterstattung um Lafontaine: Eine verhängnisvolle Affäre

Oskar Lafontaine hat Krebs. Damit werden Spekulationen um eine Affäre entkräftet, die der "Spiegel" veröffentlichte. Wie weit dürfen Journalisten eigentlich gehen?

Politiker stehen unter dauernder medialer Beobachtung. Bild: reuters

Hatte Angela Merkel schon mal eine Affäre? War Guido Westerwelle schon mal im Darkroom? Hat Karl Theodor zu Guttenberg nebenher was laufen? Ist Frank-Walter Steinmeier herzkrank? Hatte Oskar Lafontaine eine Affäre mit Sahra Wagenknecht?

Wer sagt, dass ihn solche Fragen kein bisschen interessieren, ist Eremit, total desinteressiert an Politik - oder ein Lügner. Leute lieben Klatsch, der ein Ableger der Neugier ist, ein manchmal hässlicher Verwandter des Drangs nach Wissen. Klatschgeschichten stutzen die Mächtigen auf ein menschliches Maß. Und sie machen uns, das Publikum, stärker, größer. Und trotzdem gibt es Grenzen, die Journalisten beachten sollen, nein müssen. Sie schützen Politiker, letztlich auch uns.

Das Gerücht, dass Oskar Lafontaine eine Affäre mit Sahra Wagenknecht haben soll, ist ziemlich alt. Es kursierte schon 2006 beim Parteitag in Halle. Journalisten bekommen solchen Klatsch mit. Man redet mit Mitarbeitern und Politikern, auch in der Kneipe. Man kennt sich, so ist das. Was eigentlich geheim bleiben soll, macht in Politkreisen genauso schnell die Runde wie in jedem Kegelclub. In Deutschland ist es allerdings, mehr als in den sittenstrengen USA, Usus, die Privatsphäre von Politiker zu respektieren. Oder sollte man sagen: Es war Usus?

Die Lafontaine/Wagenknecht-Geschichte stand schon mal in der Wochenzeitung Jungle World, versteckt in einer langwierigen Politanalyse. Sogar eine holländische Zeitung soll schon mal darüber geschrieben haben. Aber eine richtige Geschichte, die die Agenturen meldeten und die Provinzzeitungen druckten, wurde erst daraus, als sie der Spiegel am Montag groß herausbrachte.

Lafontaine hat dem Publikum ein paar Rätsel aufgegeben. Bei der Fraktionsklausur in Rheinsberg erklärte er überraschend, dass er nicht mehr Fraktionschef sein wird, dafür aber weiterhin Parteichef. Und dass er, auch ohne rot-rot-grüne Regierung dort als Fraktionschef nach Saarbrücken zurückkehren wird. Die Vorstellung, dass Lafontaine, der Weltökonom, Oppositionspolitiker in der Provinz wird, hatte etwas Seltsames. Seine Beteuerungen an der Saar, seinen Job auch wirklich zu machen, klangen ziemlich dünn und eher nach "vielleicht". Der Spiegel bot eine famose Erklärung für all das: Der Linksparteichef würde von seiner Ehefrau nach Hause an die Saar beordert, weil ihr die Liaison mit Wagenknecht in Berlin nicht passt. Lafontaine war in diesem Bild ein Getriebener, abhängig vom Druck der Frauen um ihn, politisch impotent gewissermaßen. Für den Spiegel ist Lafontaine der Mann, den man zu hassen liebt. 2005 attestierte das Blatt Lafontaine "eine Mischung aus Verfolgungswahn und Größenwahn" und beschrieb ihn als jemanden, der nicht ins Parlament, sondern in die Psychiatrie gehört. Die Veröffentlichung des Wagenknecht-Gerüchts passt in dieses Bild. Es ist unvorstellbar, dass der Spiegel so rüde die Privatsphäre eines ihm politisch genehmen Politikers ignorieren würde.

Lafontaine ist krebskrank, dies scheint der Schlüssel für seine halbe, zögerliche Rückkehr nach Saarbrücken zu sein. Für den Spiegel ist dies eine doppelte Blamage.

Und nun? Im besten Falle lernen die Medien aus diesem GAU etwas - nämlich, dass altmodische Zurückhaltung und Respekt vor dem Privaten nicht das Schlechteste sind. Es stimmt, die Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem ist auch von Politikern durchlöchert worden. Viele, die gewählt werden wollen, benutzen ihr Privatleben für politische Zwecke und präsentieren den Medien in Homestorys auch mal ein heiles, rosarotes Familienleben. Doch das ist kein Freifahrtschein, um Gerüchte zu kolportieren, weil sie politisch in den Kram passen und Aufmerksamkeitsgewinne versprechen.

Politiker stehen unter dauernder medialer Beobachtung. Sie dürfen nichts falsch machen. Sie dürfen nicht allzu eckig oder eigensinnig sein. Aber wenn sie allzu glatt, gefällig und rundgeschliffen sind, ist uns das auch nicht recht.

Wir, das Publikum, neigen dazu, Politiker zu überfordern. Lassen wir ihnen ihre Affären. Respektieren wir, dass sie ihre Schwächen verheimlichen wollen und ihre Krankheiten verschweigen. Denn auch das zeigt der Fall Lafontaine. Kaum ist bekannt, dass dem Linksparteichef eine Krebsoperation bevorsteht, beginnen die Spekulationen, wer als Nachfolger infrage kommt. Ein Sprecher der Linkspartei hat sich bemüßigt gefühlt, zu erklären, dass es "für Nachrufe auf Lafontaine zu früh" ist. Die Öffentlichkeit kann ziemlich gnadenlos sein.

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