Berlinale „Born in Evin“: Die Rettung des iranischen Films

Maryam Zarees Werk berichtet von den Nachwirkungen der Iranischen Revolution im Exil und ist ein Highlight aus der Perspektive Deutsches Kino.

Eine Frau mit Helm schaut von oben in die Kamera

Nein, wir haben nichts verdreht: Maryam Zaree fällt zu Beginn ihres Films behelmt aus heiterem Himmel auf sandiges Terrain Foto: Ton­dowski Films/Berlinale 2019

Maryam Zaree ist tatsächlich eine Außerirdische. In der Eingangssequenz ihres Dokumentarfilms „Born In Evin“ landet sie mit Fallschirm in der (wahrscheinlich kalifornischen) Wüste. 35 Jahre zuvor wurde Maryam Zaree im Teheraner Evin-Gefängnis geboren, bildlich gesprochen mit Fall- oder Schutzschirm, der Mutter und Tochter überleben ließ. Denn die 1980er Jahre waren die brutalste Phase in der Geschichte der Machtergreifung der Islamisten im Iran.

Die Mullahs ließen Zehntausende vermutete oder wirkliche Regimegegner einsperren, foltern und hinrichten. Auch Maryams Eltern fanden sich unter jenen wieder, die in die Gefängnisse verschleppt wurden. Was die heute in Berlin lebende erfolgreiche deutschiranische Schauspielerin immer wusste. Nicht aber, dass sie selbst im Evin-Gefängnis zur Welt kam. Dies erfuhr sie erst viel später als Erwachsene und per Zufall im Gespräch mit einer Tante. Und es ließ sie seither nicht mehr los.

Die ersten Einstellungen ihres Dokumentarfilms „Born in Evin“ eröffnen nun gleich allegorisch diesen ganzen Kosmos: eine Kinderzeichnung von einer auf dem Kopf stehenden Figur; aus heiterem Himmel die Ankunft einer trotzig und surreal wirkenden jungen und behelmten Frau mit Fallschirm auf sandigen Terrain – atmosphärisch unterlegt mit dem Sound eines melancholischen Singer-Songwriter-Stücks aus der popkulturellen Gegenwart.

Zaree vereint die Perspektive ihrer Eltern mit der ihren aus der Jetztzeit. Mit der Montage historischer Aufnahmen aus der Revolutionsphase von 1978/79 aus dem Iran illustriert sie den damaligen Aufbruch und spricht dazu quasi als Intro ein, was ihr ihre Eltern und andere laizistische Iraner*innen berichteten: Die Triebkräfte der Revolte resultierten in den 1970er Jahren aus einer Mischung von Marx und Beatles. Die sich ab 1979 ausbreitende Herrschaft der Islamisten hatten die städtischen Intellektuellen hingegen zumeist nicht für möglich gehalten.

Die Mutter floh ins Exil, der Vater blieb in Haft

Maryam Zaree hat sich erst im Laufe der Recherchen zu ihrem Film entschlossen, in der Geschichte selbst vor die Kamera zu treten. Als öffentliche Figur symbolisch die Deckung zu verlassen, um „Dinge zu verstehen und zu erfahren, über der wir in der Familie nicht reden“. Ihre Mutter konnte 1985 mit ihr als Zweijähriger aus dem Iran in die Bundesrepublik fliehen. Maryams Vater blieb über die 1980er Jahre weiter inhaftiert. In Frankfurt am Main fingen Mutter und Tochter ohne ihn neu an. Ihre Mutter Nargess ist eine Persönlichkeit mit großer Ausstrahlung, wurde in Frankfurt zu einer prominenten Psychotherapeutin und Kommunalpolitikerin. Doch das ist nicht Thema des Films.

Immer wieder versucht Maryam, vor der Kamera ihrer Mutter Nargess unmittelbare Äußerungen über die Umstände der Geburt und die Zeit im Evin-Gefängnis zu entlocken. Ihre ansonsten so souveräne Mutter kann nicht antworten. Man braucht kein Trauma- und Gewaltforscher zu sein, um sie zu verstehen. Es ist allerdings eine beachtliche Leistung, wie Maryam Zaree dies in „Born in Evin“ dokumentiert, um sich an die schmerzlichen Wahrheiten filmisch und so offen heranzutasten.

Ausgebildet wurde Zaree an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. 2010 hat sie bereits in einem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag reüssiert. Sie ist Grimme-Preisträgerin, bekannt aus dem Berliner „Tatort“ oder der Serie „4 Blocks“. In der spielt sie als arabisch vorgestellte Khalila die weibliche Hauptrolle an der Seite von Gangsterboss Toni Hamady in einem etwas arg exotischen und gefährlichen Berlin-Neukölln.

Einen kleinen Kommentar, warum sie – ein Kind der internationalen Linken und Gegnerin des Islamismus – immer wieder ins weite Genre rückständig vorgestellter Islam-Migrationen gerät, kann sie sich auch in „Born in Evin“ nicht verkneifen. Ihre Renitenz sowie ihr offenkundiges Gespür für eine angemessene Ästhetik verleihen ihrem Film über die bloße Thematik hinaus einen starken leidenschaftlichen Charakter.

Für „Born in Evin“ begab sich Maryam Zaree auf eine Reise um die halbe Welt. Die Zuschauer*innen begleiten sie bei den Versuchen, andere Exiliraner*innen zum Sprechen zu bringen, die und deren Kinder ein ähnliches Schicksal haben. Im Hintergrund iranische psychedelische Popmusik von Kourosh Yaghmaei aus den 1970er Jahren. Kaum vorstellbar heute, wo die Entwicklung damals stand, die die Mullahs so brutal kappten.

Zaree begibt sich zu Treffen der iranischen Exilorganisationen in Italien, Frankreich oder der Bundesrepublik. Sie trifft dabei auf lebenslustige, sich farbenfroh kleidende iranische Feministinnen, die sich wie ihre Mutter trotz der traumatischen Erfahrungen eine große Herzlichkeit und Wärme bewahrt haben. Sie begegnen Maryams Interesse voller Solidarität, doch wie ihre Mutter wollen nur die wenigsten retrospektiv (und höchst ungern vor laufender Kamera) über die Dinge sprechen, die sie im Gefängnis erlebt haben.

Manchmal ist sie nahe daran, Kinder, die wie sie in Haft geboren wurden, in Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder den USA aufzustöbern. Doch bis auf eine Ausnahme machen diese meistens im letzten Moment einen Rückzieher.

10.2., 12.00Uhr, Colosseum 1; 10.2., 20.00, CinemaxX1

Aus ähnlichen Gründen wie wahrscheinlich auch ihre Mutter. Es geht individuell um Schutz und Selbstschutz vor vielleicht allzu schlechten Erinnerungen. Die emotionale Intensität dieser Recherche wird von der exzellenten Kamera Siri Klugs mit dem richtigen Maß an Nähe und Distanz fest gehalten. Und Zaree ­gelingt es als Regisseurin wie Darstellerin ihrer selbst, an die Grenze dessen zu gehen, was sich filmisch ausloten und abbilden lässt. Es scheint keineswegs zu intim, sich und die ­Öffentlichkeit 2019 mit den Schicksalen anderer Biografien zu konfrontieren, die sich von der westeuropäischen Nach-1945er-Norm doch stark unterscheiden und die doch unter uns anwesend sind.

Alte Erinnerungsstücke

Maryam befragt für den Film auch ihren Vater Kasra, von dem sie gewaltsam getrennt wurde und der erst viel später seinen Weg ins Exil fand. Gemeinsam sichten die beiden alte Erinnerungsstücke, etwa Filmbotschaften, die sie aufnahmen und sich zwischen Europa und dem Mittleren Osten zusandten. In solchen Begegnungen kommt die Außerirdische zu sich selbst und wird wieder zu dem Kind, das sie einst war und niemals mehr sein kann.

In den letzten Jahren war das iranische Kino regelmäßiger Gast auf den Berliner Filmfestspielen und viel geehrt im Wettbewerb vertreten. Die 69. Berlinale muss dieses Mal ohne die ganz großen iranischen Namen auskommen. Die Zensur der Mullahs lässt kaum mehr etwas zu. Nur wenige Filmkünstler wie Jafar Panahi spielen dem Regime trotz Berufsverbot weiterhin Streich um Streich. Sein zuletzt heimlich gedrehter und außer Landes geschaffter Film „Drei Gesichter“ lief zum Jahreswechsel in den internationalen Kinos. Maryam Zarees „Born in Evin“ ist nun mehr als ein Platzhalter: Es ist der wichtigste Beitrag über den Iran auf der diesjährigen Berlinale. Und er stammt von einer Deutschen aus Berlin.

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