Berlinale-Tipps der taz-Autoren: Worauf wir uns am meisten freuen

Jedes Jahr dasselbe Chaos: Es gibt so viele Events und Vorführungen, dass man gar nicht mehr weiß wohin. Unsere Filmexperten helfen mit Empfehlungen.

Shane Carruths Trip: „Upstream Color“ Bild: Upstream Color LLC, 2013

Beherzte Aschenputteligkeit

Wenn „Girls“-Erfinderin Lena Dunham das It-Girl aller Twentysomething-Großstädterinnen zwischen Dauerpraktikum und Beziehungsstress ist, dann darf man Greta Gerwig als Klassensprecherin ihrer prekären Generation guten Gewissens eine beherzte Aschenputteligkeit attestieren. Kein weiblicher Körper im aktuellen US-amerikanischen Kino bringt awkwardness, eines dieser tollen englischen Worte, dessen suggestive Nuancen sich unmöglich in die deutsche Sprache übersetzen lassen, so geistesgegenwärtig wie Gerwig zum Ausdruck. Gerwig schafft es, ein diffuses soziales Unbehagen mit unverrückbarer Autorität zu verkörpern. Darum darf man sich dieses Jahr besonders auf ihre Tanzeinlagen in Noah Baumbachs Nouvelle-Vague-Hommage „Frances Ha“ freuen. Poetry in Motion. ANDREAS BUSCHE

Was passierte nach Sunrise und Sunset?

Mit Trilogien ist es ja so eine Sache: Der dritte Teil scheint dazu prädestiniert, zu enttäuschen. Nun lässt sich Richard Linklaters „Before“-Reihe allenfalls augenzwinkernd mit dem „Herrn der Ringe“ oder Nolans „Dark Knight“-Serie vergleichen, was die Hoffnungen für „Before Midnight“ eben um so größer werden lässt. 1995 sind sie sich in „Before Sunrise“ bzw. einem Zug nach Wien zum ersten Mal begegnet und haben die Nacht durchgequatscht: Celine (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke), erst neun Jahre später in Paris, beziehungsweise „Before Sunset“ haben sie sich wiedergesehen. Beide Male haben sie uns, den Zuschauer, anschließend mit der quälenden Frage zurückgelassen: Wie geht es weiter? Und „Before Midnight“ liefert nun endlich eine Antwort. Es ist, als würde das Leben, das man selbst nicht gelebt hat, wenigstens für neunzig Minuten auf der Leinwand erlebbar. BARBARA SCHWEIZERHOF

Alleskönner mit Soloshow

James Franco kann alles. Er ist Schauspieler, Regisseur, Autor, Musiker und vor allem auch Künstler. Das nervt zwar, ist aber zur gleichen Zeit unglaublich spannend. Zur Berlinale zeigt die Galerie Peres Projects Francos Solo-Show „Gay Town“, in welcher er mit Themen wie Pubertät, Öffentlichkeit/Privatsphäre und Stereotypen spielt. Viele seiner Arbeiten sind unterwegs entstanden, in Hotelzimmern oder anderen temporären Orten. Neben seiner Kunst ist der 34-Jährige auch mit drei Filmen im Panorama-Programm der Berlinale vertreten – „Interior. Leather Bar“, „Lovelace“ und „Maladies“. ENRICO IPPOLITO

Bewusstseinserweiterungen und Verwandlungen

Vor neuen Jahren hat Shane Carruth mit seinem Debütfilm „Primer“ manchen verwirrt und viele begeistert. Vier Tech-Nerds erfinden in ihrer Garage eher aus Versehen eine Zeitmaschine. Daraus machte Carruth eine Mikrobeobachtung zu Rissen in Raum, Zeit und Psyche. Jetzt ist im Panorama Carruths zweiter Film, „Upstream Color“, zu sehen. Hier wird die Protagonistin womöglich zur Pflanze, wirklich Eindeutiges ist selbst von den Fans des Films, der schon in Sundance lief, nicht zu erfahren. Klingt jedenfalls nach einem ziemlichen Trip, einem Werk, das eine Erfahrung ist und sich der Beschreibung entzieht. EKKEHARD KNÖRER

Clips aus 36 Meisterwerken

Ich freue mich darauf, am Sonntag, den 10. Februar – etwas abseits des Potsdamer Platzes und der Berlinale, aber dann doch nicht zu weit entfernt – in der Galerie Nolan Judin erstmals die Videoinstallation „Magnificent Obsession – The Love Affaire Between Movies and Literature“ (2011/2012) des Schweizer Cinéasten und Künstlers Matthias Brunner zu sehen. Die Einladung verspricht eine sinnreiche und sinnliche Kompilation von Clips aus 36 Meisterwerken des europäischen und amerikanischen Kinos der 50er- und 60er-Jahre in Vierfachprojektion, wobei die glorreiche Nouvelle Vague das Herz der Installation ist, die damit auch mein Herz hat. BRIGITTE WERNEBURG

Jafar Panahi dreht weiter

Der iranische Regisseur Jafar Panahi darf keine Filme drehen, es ist ihm per Gerichtsurteil untersagt. Er tut es – mit Hilfe von Ko-Regisseuren – trotzdem. 2011 lief „Dies ist kein Film“ in Cannes, eine Arbeit, in der er seine eigene Situation reflektierte, das drohende Berufsverbot, die mögliche Haftstrafe. Das war noch vor dem Berufungsverfahren, inzwischen ist das harsche Urteil gegen ihn bestätigt. Mit „Pardé“ nimmt er dennoch am Wettbewerb der Berlinale teil. Und auch diesmal wird der Film widerspiegeln, in welcher prekären Lage Panahi sich befindet: Die beiden Hauptfiguren werden gesucht und verstecken sich in einem Haus am Meer. Als dritte Figur tritt ihnen der Regisseur selbst entgegen. CRISTINA NORD

Im Hellen von den Großen lernen

Die Berlinale ist immer auch eine Prüfung. Spätestens ab Mittwoch schleppt man sich tagsüber wie ein von ew’ger Nacht umwölkter Polarkreisbewohner von Kinosaal zu Kinosaal, nur damit sich nachts die Bilder zu grotesken Genremixes vermischen können. Um dem Realitätsverlust entgegenzuwirken, ist es empfehlenswert, zwischendrin ein paar Veranstaltungen des Berlinale Talent Campus einzuschieben. Die finden (meist) im Hellen statt und sind mit echten Menschen. In diesem Jahr sprechen Hochkaräter wie Ken Loach oder Jane Campion über ihr Schaffen. Und ein Panel (HAU1, 13.2., 20 Uhr) ist dem großen, im Jahr 2012 verstorbenen Chris Marker gewidmet. Hingehen! ANDREAS RESCH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.