Berliner Bratwurstmeisterschaft: Ein fleischgewordener Albtraum

Wer wird Bratwurstchampion? Sonntag präsentieren WurstverbesserInnen ihre kühnsten Kreationen. Unsere Autorin ergründet, ob es wirklich nur um die Wurst geht.

Bratwürste werden auf einem Rost gegrillt

All you eat! Foto: DPA

Die Deutschen und ihre Wurst, eine einzigartige Liebesbeziehung. Nach Angaben des Deutschen Fleischerverbands verspeisten die BundesbürgerInnen 2015 pro Kopf durchschnittlich 29,4 Kilogramm Wurst- und Fleischwaren. Etwa 2,7 Kilogramm waren davon Bratwürste, teilt der Verband in seinem jährlichem Geschäftsbericht mit.

In Berlin erhält die Bratwurst jedes Jahr im April eine besondere Ehrung. Bis zu 8.000 Wurstfans finden sich in der Domäne Dahlem zu einem skurrilen Spektakel zusammen: der Berliner Bratwurstmeisterschaft. Veranstaltet wird dies von der Fleischer-Innung, der Interessenvertretung des Fleischerhandwerks in Berlin. Auf der Wurstshow präsentieren Fleischereien aus der Region ihre Wurstwerke. Ob diese geschmacklich überzeugen können, entscheiden die wurstfreudigen BesucherInnen. Am Ende des Events stehen Berlins neue Wurstchampions fest.

Nachvollziehen kann ich die Wurstliebe nicht. Im Gegenteil: Mit 9 Jahren machte ich Urlaub auf einem Bauernhof. Als ich dort gerade herzhaft in eine Bratwurst biss, wurde mir vom Bauern verkündet, dass das Fleisch von unserer zuvor verschwundenen Lieblingskuh Dame stamme. So war eine Wurst schuld, dass mir die Lust auf Fleisch gänzlich verging.

Gut zu sprechen auf Würste bin ich nach 17 Jahren immer noch nicht. Man könnte mich sogar als Wurstbanausin bezeichnen. Die Frage, ob es nichts Schöneres zu zelebrieren gibt als die Bratwurst, liegt für mich nahe.

Nicht ganz wurst

Allein optisch ist die Wurst wahrhaft keine Schönheit. Frühlingsgefühle löst sie bei mir jedenfalls nicht aus. Spätestens beim Blick auf die Zutatenliste dreht sich mir der Magen um. Ganz wurst ist mir das Battle um die Beste Bratwurst Berlins, dann aber doch nicht. Ich möchte wissen, was die Wurstwütigen antreibt.

Jacqueline Jancke von der Domäne Dahlem erklärt das so: „Das Besondere an den Innungsbetrieben ist die Verbindung von Qualitätsstandards für die Rohstoffe mit handwerklichem Können. Fleischer präsentieren mit Gesicht und Namen sowohl traditionelle Rezepturen als auch innovative, zum Teil verwegene Geschmacksrichtungen.“

Aber ist denn das nicht alles der gleiche zusammengepresste Fleisch­brei? Das vermeintlich Innovative an der Bratwurst will sich mir nicht erschließen. Geht es bei der Veranstaltung wirklich nur um die Wurst?

Bereits zum 15. Mal findet in diesem Jahr die Bratwurstmeisterschaft der Berliner Fleischer-Innung statt. Die Veranstaltung lockte in den vergangenen Jahren laut Veranstalter jeweils mehrere Tausend BesucherInnen an.

Veranstaltungsort ist die Domäne Dahlem. Von 10 bis 17 Uhr gibt es Bratwürste von unterschiedlichen Handwerksfleischern zu testen. Die BesucherInnen können ihre Stimme für die beste klassische sowie die beste kreative Bratwurst abgeben. Die Gewinner erhalten den Titel Beste Bratwurst Berlins.

Neben den Würsten gibt’s ein Rahmenprogramm mit Livemusik, Marktständen und zwei Ausstellungen. Eintritt: 3 Euro, ermäßigt: 1,50 Euro. (taz)

„Weil der Arbeitsalltag ziemlich stupide sein kann, sind solche Höhepunkte wichtig“, erzählt Harald Kutschinski, der Betriebsleiter der Fleischerei Bach­huber. „Der Wettbewerb trägt zur Kreativität bei. Bei uns musste sich jeder Mitarbeiter Gedanken machen.“ 2016 hat sich Kutschinskis Team mit einer originellen Meeresalgen-Chili-Bratwurst auf den dritten Platz gegrillt. In diesem Jahr strebt der Bratwurstexperte die Goldmedaille an. Deshalb werden in seiner Wurstwerkstatt die Ideen der MitarbeiterInnen seit Januar kreativ verwurstet.

Eine PR-Veranstaltung

Natürlich ist die Meisterschaft aber vor allem eine PR-Veranstaltung. Schließlich müssen die Traditionsfleischereien mit den günstigen Produkten aus dem Supermarkt um die Aufmerksamkeit der Kundschaft konkurrieren. Beim Wurstkauf setzen nicht alle Deutschen auf Qualität. Trotzdem versuchen die VerfechterInnen des Fleischerhandwerks mit dem Versprechen von artgerechter Tierhaltung und qualitativ hochwertigen Inhaltsstoffen zu punkten.

Ob die Veranstaltung das Konsumverhalten der WurstliebhaberInnen nachhaltig beeinflusst, bleibt offen. Vermutlich werden die Gourmetwürste zumindest mit einem besseren Gewissen serviert und verzehrt.

Insgesamt ist der Fleischkonsum hierzulande laut Deutschem Fleischerverband in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken. Gleichzeitig steigt die Zahl der VegetarierInnen und Ve­ganerInnen kontinuierlich an. Eine Extrawurst gibt es für sie bei der Meisterschaft allerdings nicht. Zwar wird ein Begleitprogramm in Form von Gewürzen, Senfspezialitäten und Wildkräuterpesto angeboten, im Kern ist die Veranstaltung jedoch eine „fleischige Angelegenheit“, sagt Jacqueline Jancke.

Berliner Grillfans feiern mit der Bratwurstmeisterschaft angeblich den inoffiziellen Start ihrer Lieblingssaison. Für alle Nicht-WurstesserInnen bedeutet dies hingegen, dass die Frischluft wieder knapp wird. Ab jetzt werden sie nicht nur in Parks oder am See eingeräuchert, auch die ungestörten Balkonstunden sind gezählt. Wenn die NachbarInnen täglich den Grill anschmeißen, sind bald Strategie und Einfallsreichtum beim Lüften gefragt. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als mich Fleischermeister Kutschinski auf eine Wurst an seinen Stand einlädt. Ich stelle mir eine von Wurstgestank eingenebelte Wiese vor und beschließe, dieses Bild für mich Albtraum sein zu lassen.

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