Berliner Flughafen-Desaster: Die Suche nach den Verantwortlichen

Am Sonntag sollte der neue Berliner Flughafen eröffnet werden. Doch statt Flugzeugen heben erst mal nur die Kosten ab. Und Klaus Wowereit droht der Absturz.

Leere statt Lärm: Rundgang durch den neuen Berliner Flughafen Bild: dpa

BERLIN taz | 5.34 Uhr. Mit wenigen Minuten Verspätung rollt der A 380, das größte Passagierflugzeug der Welt, am Sonntag zur Startbahn. Die Lufthansa hat zum Erstflug auf dem modernsten Flughafen Europas ihren größten Vogel vorbeigeschickt. Gleich danach startet ein Flieger der Gesellschaft Air Berlin, die den Willy-Brandt-Flughafen als ihre Zentrale auserkoren hat. In den Stunden zuvor sind hunderte Lkws und Flughafenmaschinen über die eigens gesperrte Stadtautobahn von Tegel nach Schönefeld gerollt. Und haben damit den Mammutumzug vollendet. Alles klappt nahezu reibungslos.

Das war der Plan. So hatten sich die Betreiber des neuen Großflughafens Berlin Brandenburg (BER) den Morgen des 3. Juni vorgestellt. Ein Megaevent. Hunderte Journalisten aus aller Welt hätten sich zu der Eröffnung angemeldet, jubelte die Flughafengesellschaft bereits im März. Stattdessen dominiert jetzt dicke Luft. Journalisten, die sich die Baustelle vor Ort anschauen wollen, werden ausgeladen.

Seit dem 8. Mai ist „Berlin“ bundesweit nur noch ein Synonym für „peinlicher Reinfall“. An diesem Tag hatte die Flughafengesellschaft auf einer eiligst einberufenen Pressekonferenz mitgeteilt, dass der Eröffnungstermin nicht zu halten sei. Offiziell aus Gründen des Brandschutzes. Die Flughafenbetreiber und vor allem Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der Chef des Aufsichtsrats ist, müssen seitdem ordentlich einstecken. Selbst die Berliner Morgenpost kloppt drauf. „Berlin ist, wenn alles riesengroß sein muss. Sogar die Blamagen“, steht auf dem einem Plakat, mit dem sich das Springer-Blatt bewirbt. Selbst Lokalpatrioten bleibt nur noch Sarkasmus.

Als neuer Eröffnungstermin wird mittlerweile der 17. März 2013 ausgegeben. Auch das sei „eine Herausforderung“ sagte Wowereit im Verkehrsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Doch diesmal wird der Termin wohl eingehalten werden – koste es, was es wolle.

Die U-Bahn: Zeitgleich mit der Schönefeld-Pleite wird in Berlin-Mitte das nächste Großprojekt in Angriff genommen. Auf dem Boulevard Unter den Linden wird ein Riesenloch gebuddelt für die Verlängerung der U5 um 2,2 Kilometer bis zum Brandenburger Tor.

Die Kosten: Veranschlagt sind derzeit 433 Millionen Euro.

Der Zeitplan: Die Bahn soll im Sommer 2019 in Betrieb gehen.

Der Zeitverzug: Die Verlängerung der U5 ist ein Prachtbeispiel für Bauverzögerung. Der erste Tunnelabschnitt ist bereits seit 1930 fertig. Der Weiterbau scheiterte durch die Weltwirtschaftskrise. Seit den 70ern gibt es den Plan, die U5 in drei weiteren Bauabschnitten bis zum Flughafen Berlin-Tegel zu verlängern. Der soll zwar geschlossen werde, wenn der neue Airport in Schönefeld in Betrieb geht. Aber noch ist ja Zeit. (ga)

Denn statt der Flugzeuge heben jetzt die Kosten ab. Ursprünglich waren für das Megaprojekt 2,4 Milliarden Euro veranschlagt. Flughafen-Geschäftsführer Rainer Schwarz hat eingeräumt, dass selbst bei pünktlicher Eröffnung 3 Milliarden Euro fällig gewesen wären. Allein das Terminal wird mit 1,22 Milliarden Euro doppelt so teuer wie geplant.

Hinzu kommt der Preis der Verspätung. Die Berliner Grünen gehen von bis zu 1 Milliarde Euro Mehrkosten aus. Allein 250 bis 300 Millionen Euro für noch ausstehende Schallschutzmaßnahmen, dazu monatlich 15 bis 20 Millionen Euro aufgrund der Verschiebung, sagt der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Joachim Esser. Der dickste Brocken könnten mit bis zu einer halben Milliarde Euro aber die Regressforderungen der Airlines und der Baufirmen sein.

Der Steuerzahler muss geradestehen

Geradestehen müsste letztlich der Steuerzahler. Denn die Flughafengesellschaft gehört dem Bund sowie den beiden Länder Berlin und Brandenburg. Allerdings ist unklar, inwieweit die öffentliche Hand finanziell überhaupt zum Zuge kommen darf. Die EU-Kommission hat aus Gründen des Wettbewerbsrechts nur einen Zuschuss in Höhe von 27 Prozent der Baukosten genehmigt. Würde dieser Anteil nun überschritten, müssten die öffentlichen Gelder zurückgezahlt werden.

Doch am Wochenende der geplanten Flughafeneröffnung stellt sich nicht nur die Geldfrage. Diskutiert wird vor allem, wer die Verantwortung für das Desaster trägt. Und wer wann was wusste. Manfred Körtgen, Chefplaner der Flughafengesellschaft, wurde inzwischen entlassen.

Mittlerweile wird jedoch vor allem die Rolle des Aufsichtsrats hinterfragt. Dieser besteht zur großen Mehrheit aus Vertretern der Flughafeneigentümer: dem Bund sowie den Ländern Berlin und Brandenburg. Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Wowereit und sein brandenburgischer Amtskollege, Matthias Platzeck, wiederholen gebetsmühlenartig, ebenso wie die anderen 13 Gremiumsmitglieder, „nichts von gewusst“ zu haben. Die Manager hätten intern zwar technische Probleme eingeräumt, aber stets hervorgehoben, dass diese rechtzeitig zu beheben seien.

Doch offenbar war bereits seit Ende 2011 bekannt, dass die Brandschutzanlage nicht rechtzeitig fertigzustellen sein würde. Bei der Aufsichtsratssitzung am 20. April stimmte das Gremium einer „Mensch-Maschine-Lösung“ zu. 700 MitarbeiterInnen wurden eigens eingestellt, um die Türen im Notfall von Hand zu öffnen. Europas vermeintlich modernster Flughafen – ein echter Jobmotor. Die zuständige Baubehörde des Landkreises Dahme-Spreewald wollte diese Lösung nie genehmigen. Dass die kurzfristige Verschiebung aus Brandschutz- und Sicherheitsgründen erfolgte, ist also eine Mär.

Wowereit war nur bei vier Sitzungen

Der Rechtsanwalt Ralf Leinemann vertritt mehrere Baufirmen, die in Schönefeld aktiv sind. Schon lange sei der große Rückstand auf der Baustelle offensichtlich gewesen. Leinemann sieht die Verantwortung klar beim Aufsichtsrat: „Da wollte niemand etwas anderes hören.“ Es sei „völlig unglaubwürdig“, wenn die Mitglieder des Kontrollgremiums nun erklärten, dass sie nichts gewusst hätten. „Klaus Wowereit soll als Aufsichtsratschef vergangenes Jahr gerade mal an vier Sitzungen teilgenommen haben“, gibt Leinemann zu bedenken: „Die haben sich schlichtweg nicht drum gekümmert.“

Klaus Wowereit, dem stets der Drang nach Höherem nachgesagt wurde, gerät arg ins Trudeln. Lange Jahre führte er die monatlich von der Berliner Zeitung veröffentlichte Skala der beliebtesten Berliner Landespolitiker an. In der jüngsten Umfrage fiel er auf Platz 3 zurück. Schlimmer noch: Sein Sympathiewert sank innerhalb von vier Wochen von 1,4 auf 0,9 Punkte. Bei Umfragen dieser Art kommt solch eine Veränderung einem Absturz gleich.

In Schönefeld immerhin wird auch an diesem Wochenende abgehoben. Auf dem ehemaligen Zentralflughafen der DDR werden weiter Billigflieger starten und landen. Bis zu dem Jungfernstart auf dem neuen Flughafen gleich nebenan, wird es noch ein paar Monate dauern. Air Berlin hatte einen guten Riecher. Die Gesellschaft wollte das Ziel ihres Erstflugs am Sonntag zur Überraschung der Passagiere erst im letzten Moment bekannt geben. Nun wird es ein Flug nach nirgendwo.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.