Berliner Hundesitter im Wald: Die Supernanny

Im Auslauf im Rudel verliert mancher Stadthund seine Zicken. Unterwegs mit einem Berliner Dogwalker.

Freiheit – und der Hund fühlt sich pudelwohl. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Die Oma läuft voraus. Ninja heißt sie, bildhübsch, aber ein wenig starrsinnig. Das Alter! Immerhin: Mit elf Jahren hüpft sie noch elegant auf jeden Baumstumpf. Dort steht die Beagle-Hündin wie auf dem Siegerpodest und lässt ihre Ausstrahlung spielen. Treuherziger kann auch kein Robbenbaby gucken als dieser Charmebolzen von einem Hund. Lars Thiemann lässt sich – zunächst – nicht beeindrucken. Der Hundekeks bleibt in der Hosentasche.

Auch Yuno, der Leithund und zwei andere aus dem Rudel springen auf hohe Stümpfe und spielen den Helden. Thiemann fährt ihnen anerkennend über die Schnauze, das muss reichen. Dafür gibt's kurz darauf Wildschwein-Alarm. Im Gebüsch raschelt es, die Gruppe wird unruhig. Yuno und der Hütehund Basti rennen los, um die Wildsau zu stellen. Thiemann bleibt cool, ruft die Hunde aber sofort zurück.

Seine Stimmlage wird einen Tick höher und entschiedener. Nach dem zweiten „raus da!“ stehen die beiden Jäger wieder auf dem Waldweg als wären sie nur mal für kleine Jungs pinkeln gewesen. „Wildschweine sind nicht ungefährlich, da muss man die Hunde stoppen“, sagt der Hundeführer, „und du darfst auf keinen Fall hinterher rennen, das interpretieren die falsch!“ Als würde ihr Chef bei der Wildschwein-Party mitmachen.

Wir befinden uns im Berliner Süden zwischen Schlachtensee und Avus im größten amtlichen Hundeauslaufgebiet Europas. Der Waldboden dampft in der Sommerhitze, die Sonne wirft glitzernde Teppichmuster auf den Weg, wo 14 Hunde und ihr bezahlter Aufpasser ihre Runde drehen. Thiemann ist täglich zwei bis drei Stunden mit seiner Gruppe unterwegs.

Spielerisch, aber gesittet

Meist sind es zehn bis 15 Hunde, die fünfmal die Woche ohne Leine durch den Wald laufen. Die Hunde toben, rangeln, flirten, aber alles eher spielerisch und ziemlich gesittet. Thiemann hat sie im Griff, scannt mit routiniertem Blick seine Bande, ruft Nachzügler und Vorauseilende ins Zentrum des Rudels zurück. Er ist nicht irgendein Dogwalker. Er ist der erfahrenste und wohl auch angesehenste Hundeausführer der Stadt: eine Art Supernanny für Max, Daisy, Timba und Co.

Thiemann ist auch Hundetrainer, Hundegutachter, Welpenerzieher und Ausbilder für angehende Dogwalker. Wenn jemand einen richtig schwer erziehbaren Hund hat, der zickig oder extrem aggressiv ist, dann geht er zu dem 45-jährigen Ex-Barkeeper. 1993 begann in seinem Kopf die damals noch verrückte Idee eines Hunde- Auslaufservice herum zu spuken. Warum immer nur mit dem eigenen Hund in den Wald? Ein Jahr später ging es los, das war die Zeit, als ihm „viele den Vogel gezeigt haben“. Nachts hat er in der Gastronomie Gläser geputzt, tagsüber die Prinzen seiner Freunde und Bekannten ausgeführt. Da kam ein Hund zum anderen.

Heute gibt es allein in Berlin 80 Dogwalker, in ganz Deutschland geschätzte 250. Tendenz: stark und schnell steigend. Nein, die Idee kommt nicht aus den USA. Die Bilder von jungen Studentinnen, die mit einem chaotischen Leinenwirrwarr und einem Dutzend munterer, aber angebundener Vierbeiner durch New Yorks Fifth Avenue marschieren, haben sich zwar eingeprägt. Doch die ersten Ausführdienste gab es in Argentinien. Die New York-Bilder haben mit den Ausführdiensten hierzulande wenig zu tun.

In Berlin und Hamburg, den Hochburgen der Dogwalker, laufen die Rudel weder über Prachtboulevards, noch an der Leine, sondern im freien Auslauf im Rudel durch den grünen Tann. Streng wissenschaftlich ist das natürlich kein Rudel. „Sonst müssten die gemeinsam auf die Jagd gehen“, sagt Thiemann. Und das tun sie nicht, auch wenn manch leckerer Jogger vor ihnen dahin trabt. Aber die Hunde kehren in ihren ursprünglichen Sozialverbund zurück. Nach einem Sprung von zigtausend Jahren in der Evolutionsgeschichte ist der Hund immer noch ein bisschen Wolf, Jäger und vor allem Rudeltier.

Kontrollettis und Relaxer

So fühlen sich die Tiere in ihrer Gruppe genetisch zuhause und, sagen wir mal, pudelwohl. Pudel und andere Mini-Hunde werden allerdings im Rudel einer Kollegin mit Kleinhunden ausgeführt – oder im Handtäschchen von grell geschminkten Damen über den Kudamm getragen.

Hier im Wald sehen wir einen Schäferhund, Retriever, Beagle, Setter-Mischling, Jagdhund, Wiclaf, eine Dobermännin und einen Wolfshund namens Yuno. Das ist Thiemanns eigener Hund, quasi der Sohn vom Chef und das Leittier der Gruppe. „Meiner ist ein echter Kontrolletti“, lästert Thiemann, „so eine Art Hausmeister: Wo bitte sind Ihre Papiere!?“ Resi, die Riesenschnauzer-Hündin und Nummer zwei der Hierarchie ist da souveräner. Ihre Botschaft: Entspannt euch, Leute! Und das tun dann auch alle. Das Rudel trabt so relaxt durch den Berliner Forst, als hätten alle zum Frühstück einen Joint geraucht.

Und noch etwas fällt auf: Während 90 Prozent aller Berliner Hunde zu fett sind, befinden sich im Rudel nur zwei Hunde mit leichten Speckröllchen. Alle anderen sind drahtig und fit. Das Hundebild hat sich in der Bevölkerung aber schon so stark verändert, dass mancher Spaziergänger die schlanken Hunde als abgemagert empfindet und nachfragt, ob die Tiere nicht genug zu fressen bekämen. Thiemann fordert die Halter immer wieder auf, die Hunde nicht zu mästen. „Ich kann mir das leisten“, sagt er selbstbewusst, „ich bin auf der Seite des Hundes“. Das Rudel hebt die Köpfe.

Nacheinander nähern sich ein Spaziergänger mit Hund, ein Jogger und später noch eine zweite Dogwalker-Gruppe. Das bringt Abwechslung. Thiemann ruft die Seinen ins Gebüsch, sie müssen an der Seite absitzen und warten, bis die Luft rein ist. Eine kleine Gehorsam-Lektion, bei der man die Dynamik des Rudels spürt. Die Hunde achten genau aufeinander. Wird ein einzelnes Tier angerufen, spitzen auch alle anderen die Ohren. Legen sich die ersten hin, tun es auch die anderen.

19 Euro pro Spaziergang

„Die Tiere werden im Rudel sozial kompetenter, viel ruhiger und entspannter, und mancher Problemhund verliert seine Neurose“, sagt Thiemann und ergänzt grinsend: „Und sie können hier auch nicht die Bürgersteige vollkacken!“ Wer sind die Klienten? Dogwalker unterscheiden drei Typen von Kunden. Da sind die beruflich Überstrapazierten, die keine Zeit haben und höchstens am Abend noch schnell mit dem Hund um den Block laufen. Da sind die älteren Hundebesitzer, denen lange Spaziergänge zunehmend schwer fallen. Da sind aber auch die aufgeklärten Hundefreunde.

Thiemann: „Manche sparen sich das wirklich vom Mund ab, damit ihr Hund zweimal die Woche sein Rudelding bekommt.“ 19 Euro kostet der tägliche Waldspaziergang bei ihm, inklusive Hol- und Bring-Service. Beim ersten und zweiten Mal muss der Besitzer mitlaufen, bis sich der Neue an das Rudel gewöhnt hat. Die meisten Hunde sind Stammkunden, man kennt sich. Teilweise haben sich feste Freundschaften gebildet. Da trippelt der eine schon mal nervös mit den Pfoten, wenn der Transporter vor dem Haus des Kumpels hält.

Hauptproblem der Dogwalker ist nicht die Wildsau, sondern die fehlende Sachkunde mancher Kollegen. Heute darf sich jeder Dogwalker nennen, der unfallfrei eine Leine tragen kann. Studenten, Arbeitslose, Hausfrauen, die sich was dazuverdienen wollen: Jeder kann eine Kleinanzeige schalten, Hunde in den Transporter stopfen und ab geht's in den Wald. Die Arbeitsämter forcieren das sogar und raten, wenn einer Hunde mag, es doch mal mit Dogwalking zu versuchen.

Wenn die Tiere dann abhauen und ein ganzes Rudel auf einen Jogger zuschießt, „dann fällt das auf uns alle zurück“, sagt Beatrice Heß, eine andere ausgebildete Dogwalkerin in Berlin. Deshalb versuchen Heß, Thiemann und ihre professionellen Mitstreiter, den Ausführdienst zum zertifizierten Beruf zu machen. „Bevor die Politik die Sache regelt, sollten wir es selber tun.“ Dazu haben sie den Berufsverband der Hundetrainer und Dogwalker (BHD) gegründet.

Seine Ziele: Klare Definition des Berufsbildes, Zertifizierung der Dogwalker, fachlicher Austausch und Weiterbildung. Im Klartext: Wer gewerblich mit Hunden unterwegs ist, soll zeigen, dass er es kann. Die Hitze hat die 14 Dauerläufer müde gemacht. Bei der Rückkehr am Parkplatz gibt's einen Schluck an der Hundebar, dann geht's ab in die Boxen des schattigen Transporters. „Die Leute vertrauen mir ihr Baby an“, sagt Thiemann zum Abschied, „sie müssen sich auf mich verlassen können.“

Manfred Kriener, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 4/2013. Den Artikel können Sie gerne auf unserer Facebook-Seite diskutieren.