Berliner SPD-Spitze tritt zurück: Alle gegen alle
In Berlins SPD knallt es gewaltig. Nun kündigen die Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini überraschend ihren Rücktritt an.
Schon länger wurde in der Berliner SPD spekuliert, ob ihr Landesvorsitzender Martin Hikel bei den nächsten regulären Parteiwahlen im Frühjahr 2026 noch einmal antritt. Nun ist klar: Hikel wird nicht nur nicht antreten, er schmeißt bereits ein halbes Jahr früher hin. Und mit ihm auch gleich Co-Parteichefin Nicola Böcker-Giannini. Wie am Sonntag bekannt wurde, werden beide zum Monatsende zurücktreten. Als Nachfolger ist der frisch gekürte SPD-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl in einem Jahr im Gespräch: Steffen Krach, bislang noch Regionspräsident von Hannover.
Das Duo vom rechten Parteiflügel steht seit Mai 2024 an der Spitze der Landes-SPD. Zuvor hatten sich die beiden parteiintern bei einer Mitgliederbefragung gegen die Kandidat:innen vom linken Flügel durchgesetzt. Anders als die Basis ticken die Berliner Parteifunktionär:innen nun aber mal mehrheitlich links. Basis hin, Basis her: Auf dem Wahlparteitag vor eineinhalb Jahren stimmten dann auch ein Drittel der Delegierten gegen Hikel und Böcker-Giannini.
Der 39-jährige Lehrer und die 50-jährige Sportwissenschaftlerin gaben sich im Anschluss zwar Mühe, den tief zerstrittenen Laden irgendwie zusammenzuhalten. Richtig begeistern konnten sie indes nie. Das bisweilen ungeschickte Maßregeln der eigenen Partei tat sein Übriges. Nach der SPD-Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag mit der CDU auf Bundesebene im April dieses Jahres empfahlen sie den Gegner:innen von Schwarz-Rot etwa, „einmal einen Schritt beiseitezutreten und sich auf die SPD zuzubewegen“. Die Empörung war groß.
Reinickendorf, der Anfang vom Ende
Insbesondere Martin Hikel, seit 2018 zugleich Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, brachte die Parteilinken von Anfang auf die Palme. Immer wieder inszenierte er sich in seinem Bezirk öffentlichkeitswirksam als Kämpfer gegen die „Clan-Kriminalität“, gern auch mal in schusssicherer Weste. Den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ hält er zudem für ungeeignet. Für viele seiner Genoss:innen ein No-Go.
Vor zwei Wochen wurde Hikel bei einer Wahlversammlung der Neuköllner SPD mit lediglich 68,5 Prozent erneut für den Posten des Bezirksbürgermeisters nominiert. Der blasse Parteichef zeigte sich von seiner eingeschnappten Seite und kündigte daraufhin an, die Nominierung nicht anzunehmen. Das Ergebnis gebe ihm zu wenig Rückenwind für den Wahlgang. Die SPD müsse sich dann eben einen neuen Kandidaten für den Chefposten in Neukölln suchen.
Dass nun auch Nicola Böcker-Giannini ihren Hut nimmt, kommt trotzdem überraschend. Die ehemalige Sport-Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres stand zwar immer ein wenig im Schatten von Hikel. Im Hintergrund, heißt es, habe aber vor allem sie die eigentliche Führungsarbeit gemanagt. Und Anzeichen von Arbeitsmüdigkeit waren bislang zumindest nicht erkennbar.
Gleichwohl zieht Böcker-Giannini jetzt ebenfalls die Reißleine. Vorausgegangen war auch hier eine Wahlversammlung der SPD, in dem Fall in Böcker-Gianninis Kreisverband Berlin-Reinickendorf. Beim Kampf um einen sicheren Listenplatz für die Wahl zum Abgeordnetenhaus 2026 fiel sie mit dürftigen 25 Prozent der Stimmen glatt durch.
Das Rennen machte hier die Tochter eines mächtigen Reinickendorfer SPD-Urgesteins, der zugleich der Gatte von Berlins SPD-Innensenatorin Iris Spranger ist, die ihrerseits 2023 ihre damalige Staatssekretärin Böcker-Giannini sehr unsanft gefeuert hatte. Alle gehören dem rechten Parteiflügel an. In der Hauptstadt-SPD kämpfen eben alle gegen alle.
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