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Berliner SPD-Spitze tritt zurückDie SPD setzt nun alles auf Krach

Uwe Rada

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Uwe Rada

Mit Hikel und Böcker-Giannini sind zwei Rechte in der SPD gescheitert. Nun setzt die Partei alles auf eine Karte. Das ist riskant – und alternativlos.

Alles oder nichts: Steffen Krach ist der letzte Hoffnungsträger der Berliner SPD Foto: Imago

Ü berraschend kommt in der Berliner SPD längst nichts mehr. Dass eine Neuköllner Wahlversammlung ihrem Bezirksbürgermeister Martin Hikel eins auf die Nase gibt? Ganz schön frech, aber überraschend? Dass die Reinickendorfer Genossen ihrer Landeschefin Nicola Böcker-Giannini einen sicheren Listenplatz fürs Abgeordnetenhaus verweigern? Typisch SPD, auch nicht überraschend.

Dass Hikel und Böcker-Giannini am Sonntag das Handtuch als Doppelspitze der Berliner SPD geworfen haben? Eher konsequent als überraschend. Denn die in einem Mitgliederentscheid 2024 gewählten Vertreter des rechten Parteiflügels wurden mit der eher linken Funktionärsebene nie warm. Entsprechend kalt wurden sie – jeder für sich – abserviert.

Dass der geschäftsführende Landesvorstand am Sonntag den erst beim jüngsten Landesparteitag offiziell gekürten Spitzenkandidaten Steffen Krach nun auch als Landesvorsitzenden vorschlägt, mag da fast wie ein Befreiungsschlag aussehen.

Tatsächlich scheint der aus Hannover nach Berlin zurückgeholte Krach derzeit der einzige zu sein, dem die Berliner Genossinnen und Genossen zutrauen, die notorisch gespaltene Partei hinter sich zu sammeln. Und damit auch den Selbstzerstörungsmodus zu stoppen, in dem sich die Berliner SPD zehn Monate vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus befindet.

Alles auf eine Karte setzen und das Schicksal der Partei in die Hände eines einzelnen Politikers zu legen, ist normalerweise keine gute Idee. Krach ist nun mit einer Machtfülle ausgestattet, die nicht einmal Klaus Wowereit hatte – der war nämlich nie Landeschef. Als Heilsbringer kann Krach jetzt schalten und walten, wie er will. Lediglich die Angst, dass auch der alleinige Kapitän von Bord gehen könnte, wird die Genossen disziplinieren. Nur hat die Berliner SPD eigentlich keinen Dompteur nötig, sondern einen Psychotherapeuten. Oder einen Nachlassverwalter.

Wäre Opposition nicht besser?

Tatsächlich wäre es wohl das Beste für die Partei, die in Berlin seit 1989 an allen Landesregierungen beteiligt war, sich nach der Wahl zu schütteln – und sich in der Opposition die Karten zu legen. Ohnehin scheint sie derzeit auf gutem Weg dahin zu sein. Nach der jüngsten Umfrage liegt die Partei mit 13 Prozent abgeschlagen hinter CDU, Linken, Grünen und AfD auf Platz 5.

Ob es da hilft, ordentlich Krach zu machen, wie der Wahlkampfclaim ganz ohne Selbstironie lautet? Nur 30 Prozent der Wahlberechtigten kannten zuletzt den SPD-Spitzenkandidaten, der nun auch Landeschef werden soll. Schlechter schneidet da Werner Graf von den Grünen ab. Kai Wegner dagegen kennen alle, wenn auch als etwas langweilig. Und die Linken-Kandidatin Elif Eralp hat das Zeug, von einer La-Ola-Welle direkt ins Rote Rathaus getragen zu werden.

Und dann? Was, wenn die SPD hinter Linken und Grünen als Juniörchenpartnerin in ein Senatsbündnis müsste? Spätestens dann könnte auch die steile Karriere des Steffen Krach zu Ende sein. Dann doch lieber Opposition, könnten die Mitglieder sagen, die einem Koalitionsvertrag ihren Segen geben müssten. Dieselben Mitglieder übrigens, die sich für Hikel und Böcker-Giannini ausgesprochen haben.

Eigentlich hat die Berliner SPD nur noch eine minimale Chance. Aber die muss sie nutzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Überraschend? Natürlich nicht.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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