Berliner Sorgentelefon für Muslime: „Der Wohlfühlfaktor ist wichtig“

Die religiöse Ausrichtung des muslimischen Seelsorgetelefons senkt die Hemmschwelle für Anrufer, sagt Geschäftsführer Mohammad Imran Sagir.

"Inhaltlich spielt die Konfession nur in einem von vier Fällen eine Rolle": Muslim in einer Hamburger Moschee. Bild: dpa

taz: Herr Sagir, in welchen Sprachen telefonieren Sie?

Mohammad Imran Sagir: Wir bieten dienstags einen bilingualen Dienst mit deutsch-türkischen Muttersprachlern an. An anderen Tagen sind Mitarbeiter vor Ort, die Arabisch, Urdu, Englisch, Französisch oder Bosnisch sprechen. Aber die meisten Muslime, die bei uns anrufen, sprechen ohnehin Deutsch.

Ihr Seelsorgetelefon ist bundesweit das einzige muslimische. Warum ist die Konfession so wichtig?

Die Probleme der Anrufer wiegen meistens schwer genug. Da hilft es ihnen, wenn sie sich in diesem Bereich nicht auch noch erklären müssen. Der religiöse Wohlfühlfaktor ist vor allem deshalb wichtig, um die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten, bei uns anzurufen. Inhaltlich spielt die Konfession nur in einem von vier Fällen eine Rolle. Die Probleme der Anrufer können ja auch religiös bedingt sein.

Wie würden Sie ihre Arbeit beschreiben?

Wir öffnen das Gefängnis der Anrufer. Allein das Sprechen über die Situation führt zu Erleichterung. In bestimmten Fällen ermutigen wir Anrufer, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch da gibt es unter Muslimen durchaus eine Hemmschwelle.

Das muslimische Seelsorgetelefon 030-443509821 besteht seit 2009 und wurde unter anderem mit dem Sonderpreis des Berliner Präventionstags und der Berliner Tulpe für den deutsch-türkischen Gemeinsinn ausgezeichnet. Derzeit arbeiten 63 ehrenamtliche Mitarbeiter für den täglichen Dienst von 8 bis 24 Uhr. Träger ist die Humanitäre Hilfsorganisation Islamic Relief.

Warum rufen die Menschen bei Ihnen an?

Ein großes Thema ist die Einsamkeit, etwa die Hälfte aller Anrufe dreht sich um familiäre Probleme. Besonders das Verhältnis zu den Eltern spielt oft eine wichtige Rolle. Da gibt es die Mutter, die mit einem Mann verheiratet ist, der die Familie stark vernachlässigt, oder den Familienvater, der keinen Kontakt zu den eigenen Kindern hat. Wir sprechen dann mit den Anrufern über ihre Gefühle und suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, mit der Situation zurecht zu kommen.

Jahrgang 1973, ist gebürtiger Berliner und Diplombetriebswirt mit indischen Wurzeln. Er engagiert sich in der Jugendarbeit und der Verständigung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Er ist Kommunikations-, Verhaltens- und Anti-Gewalttrainer und seit 2009 Geschäftsführer des Muslimischen Seelsorgetelefons.

In der kirchlichen Seelsorge sind die Anrufer zumeist ältere Menschen. Ist das bei ihnen auch so?

Im Gegensatz zum kirchlichen Seelsorgetelefon, bei dem die meisten Anrufer zwischen 40 und 70 Jahre alt und alleinstehend sind, liegt der Altersdurchschnitt bei uns zwischen 20 und 40 Jahren.

Gibt es Schnittstellen mit der kirchlichen Seelsorge?

Wir bilden gemeinsam aus. Unsere Mitarbeiter durchlaufen acht Hospitationen, vier in der kirchlichen und vier in der muslimischen Telefonseelsorge.

Bekommen Sie auch Anrufe von Nicht-Muslimen?

Ja, aber eher wenige. Zum Beispiel, wenn jemand bei der kirchlichen Seelsorge nicht durchkommt. Oder von Leuten, die nicht selbst muslimisch sind, aber in irgendeinem Bezug zu Muslimen stehen, durch Familie oder Freundschaft.

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