Berliner Wochenrückblick I: Mehr Besetzen wagen

Es wird wieder besetzt – und das ist gut so. Noch besser: In Berlin finden Besetzungen immer breitere Unterstützung in der Bevölkerung.

"Wohnraum statt Profite" steht auf einem Schild vor einem besetzten Haus

Hausbesetzerparole Foto: dpa

Fast wähnt man sich wieder in den 1980er oder ganz frühen 1990er Jahren – in Berlin wird besetzt. Nach dem Auftakt der offensiv geführten #besetzen-Kampagne zu Pfingsten folgten vor Wochenfrist erst die vorübergehende Besetzung des geplanten Google Campus in Kreuzberg und dann am Samstag die Aneignung mehrerer Wohnungen in einem Kreuzberger Wohnhaus.

Die Besetzung in dem überwiegend leerstehenden Haus an der Großbeerenstraße Ecke Obentrautstraße ist die erste seit längere Zeit, die nicht noch am selben Tag durch einen Polizeieinsatz beendet wurde. Nach Intervention beim Eigentümer erhielten die Aktivisten ein Zwischennutzungsrecht. In einer Wohnung dürfen sie nun bis zum 14. Oktober bleiben; Anfang nächsten Monats soll verhandelt werden.

Ein von Linken und Grünen angestrebtes Aufweichen der Berliner Linie, also der Maßgabe, jede Besetzung innerhalb von 24 Stunden zu räumen, ist das nicht. Die Polizei stand schon bereit, hätte der Eigentümer anders entscheiden.

Dennoch ist es ein positives Signal, denn es zeigt: Der Rechtsstaat gerät nicht ins Schwimmen, wenn eine Besetzung erfolgreich bestehen bleibt. Die Überarbeitung der Berliner Linie dahin, nur noch dann zu räumen, wenn ein Eigentümer eine baldige Vermietung nachweisen kann, bleibt auf der Tagesordnung.

Nachbarn spenden Geld und Kuchen

Was der aktuelle Fall zudem zeigt: Die Anfang Juni abgefragte positive Haltung der Mehrheit der BerlinerInnen zu Besetzungen hält auch in der Praxis an. Das Café gegenüber spendiert Kuchen und öffnet seine Toilette, die Eckkneipe gibt Geschirr und Toilettenpapier, alte Frauen bringen säckeweise Putzmittel, andere stecken 20- oder 50-Euro-Scheine zu. Die Solidarität der Nachbarn im Kiez ist deutlich sichtbar, besonders unter den Alteingesessenen.

Was sich dahinter verbirgt, ist nicht selten die Angst, selbst bald verdrängt zu werden, während gleichzeitig Wohnraum leersteht. Abstiegsängste, auch Wut auf die Politik kamen auf der Kiezversammlung vor dem Haus am Dienstag zum Ausdruck. Ähnliche Ängste versucht sich auch die AfD zunutze zu machen. Linke, die wieder vermehrt ganz praktisch die soziale Frage besetzen, auch mit radikalen Alternativen, sind daher notwendiger denn je.

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