Berlins koloniale Vergangenheit: Ein Denkmal muss her

R2G will sich der kolonialen Vergangenheit Berlins stellen. Bei der Opposition ruft das reflexhafte Abwehrkämpfe hervor.

Über Rückführung geraubter Kulturgüter aus Berlins Museen entscheidet der Senat oft nicht allein Foto: dpa

Die Art, wie eine Gesellschaft ihrer Geschichte gedenkt, sagt viel über sie aus. Zum Thema Kolonialismus gibt es in Berlin genau einen Gedenkort – auf dem Friedhof Columbiadamm. Dort steht der „Hererostein“. Er erinnert an sieben deutsche Soldaten, die „in der Zeit vom Januar 1904 bis zum März 1907 am Feldzuge in Süd-West Afrika freiwillig teilnahmen“, wie die Inschrift besagt.

Mehr als 100 Jahre blieb dieses einseitige Gedenken unwidersprochen. Bis 2009 auf Veranlassung der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln auf dem Boden davor eine Steinplatte eingelassen wurde. „Zum Gedenken an die Opfer der Kolonialherrschaft in Namibia 1884–1915 insbesondere des Kolonialkrieges 1904–1907“ heißt es dort.

Viel ist das immer noch nicht. Gleichzeitig haben Diskussionen über Straßennamen mit kolonialen Bezügen und vor allem über den Umgang mit kolonialen Raubgütern in hiesigen Museen der Forderung nach einer umfassenden kritischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte neue Nahrung gegeben.

Und so hat Rot-Rot-Grün vorige Woche einen Antrag ins ­Abgeordnetenhaus eingebracht, mit dem der Senat ­aufgefordert wird, „ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept zu entwickeln, das Berlins Rolle und historischer Verantwortung als ehemaliger Hauptstadt des Deutschen Kaiserreichs […] gerecht wird“. Ziel soll sein, die gesellschaftliche ­Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern, zur Aussöhnung mit den Nachfahren der Opfergesellschaften beizutragen und „würdige Formen des Erinnerns“ zu entwickeln. Sprich: eine zentrale Gedenkstätte als Lern- und Erinnerungsort.

„Kollektive Amnesie“

Wie nötig ein solcher Ort ist und wie groß in der Tat die „kollektive Amnesie“, die Deutschland entweder als „nicht so richtige“ oder gar als „gute“ Kolonialmacht erinnert, wie der Grünen-Abgeordnete Daniel Wesener im Abgeordnetenhaus sagte, zeigte die darauffolgende Debatte. Am harmlosesten war hier noch das Argument von CDU und AfD, Berlin sei ja gar nicht zuständig – Akteur sei damals das Kaiserreich gewesen, in dessen Rechtsnachfolge allein die Bundesregierung stehe. Der Antrag sei daher reine „Symbolpolitik“, befand Robin Juhnke (CDU) beziehungsweise „Verantwortungsanmaßung“ (Martin Trefzer, AfD).

Koloniale Raubgüter in Museen, Straßen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind: Die Forderungen nach kritischer Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit werden lauter. Aber welche Herausforderungen gibt es auf dem Weg zu einer umfassenden postkolonialen Erinnerungskultur? Wo stehen wir, wo wollen wir hin, wo kann Berlin vorangehen?

Zum Auftakt einer Veranstaltungsreihe der Grünen diskutieren am heutigen Donnerstag ab 18 Uhr in der taz-Kantine (Friedrichstr. 21): Tahir Della (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland), Wolfgang Kaleck (European Center for Constitutional and Human Rights), Peggy Piesche (Diversifying Matters), Annemie Vanackere (Hebbel am Ufer). Moderation: Daniel Wesener (Grüne). (taz)

Beide spielten sich zudem als Schutzherren der BerlinerInnen afrikanischer Herkunft auf, die R2G mit dem Antrag als allesamt „kolonial traumatisiert“ darstellen (Juhnke) beziehungsweise „viktimisieren“ (Trefzer) würde. Der AfDler beschuldigte die Koalition darüber hinaus eines „Nanny-Verhaltens gegenüber Afrikanern“: Der Kolonialismus sei nicht an allen Problemen in Afrika schuld.

Den Vogel schoss dann der FDP-Abgeordnete Stefan Förster ab, indem er infrage stellte, dass der Völkermord an den Herero und Nama juristisch überhaupt ein solcher sei. Immerhin hätten die Herero 1904 deutsche Einrichtungen angegriffen – die Deutschen sich also nur verteidigt.

Einen „Riesenskandal“ nannte Tahir Della von der Ini­tia­tive Schwarze Menschen in Deutschland ISD diese Argumentation: „Da wird den Opfern von Völkermord auch noch der Widerstand abgesprochen!“, sagte er der taz. Die Debatte im Abgeordnetenhaus zeige, wie das Thema zu einem „Kulturkampf“ stilisiert werde. Dabei sei der Antrag „überfällig“, erklärte auch Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial. In Berlin „wurden 1884/85 während der Afrika-Konferenz die Voraussetzungen für die Aneignung afrikanischer Gebiete, Kulturobjekte und sogar menschlicher Gebeine gelegt.“

Rahmenlehrpläne anpassen

Was aber kann Berlin konkret tun? Ist der Vorwurf der Symbolpolitik nicht berechtigt? Nein, sagt Wesener und verweist auf die Länderhoheit in der Kultur- und Bildungspolitik. Denkbar sei etwa, an einer hiesigen Universität einen Lehrstuhl zu dem Thema einzurichten. Vorbild ist die Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der dortigen Uni.

Regina Kittler, Bildungsexpertin der Linksfraktion, die den Antrag mit formuliert hat, will zudem den Rahmenlehrplan der Schulen anpassen. Den SchülerInnen müsse vermittelt werden, „dass es einen stringenten Weg vom Kolonialismus in den Faschismus gab, dass der Rassismus aus dem Kolonialismus kommt“, sagte sie der taz. Das bis heute vorhandene Überlegenheitsgefühl „des weißen Mannes“ habe sich auch in der Debatte des Abgeordnetenhauses manifestiert, findet sie.

Ein weiteres Feld, auf dem Berlin tätig werden kann, nannte der Abgeordnete Frank Jahnke (SPD): „im Stadtraum das koloniale Erbe sichtbar machen“. Teilweise geschehe dies in den Bezirken bereits, wie es im Antrag von R2G heißt – dies müsse jedoch stadtweit und systematisch gemacht werden. „Namen von Straßen und Plätzen, die sich auf die koloniale Vergangenheit beziehen, sollen auf Zusatzschildern kritisch kontextualisiert werden“, heißt es weiter.

Und: Der Senat solle die Bezirke „unterstützen“, besonders problematische Straßen umzubenennen. Dies bedeute allerdings nicht, schränkte Wesener ein, dass Bezirke gezwungen würden, missliebige Namen aufzugeben – etwa die „Mohrenstraße“, deren Umbenennung postkoloniale Gruppen seit Jahren fordern, was der Bezirk ebenso lange ablehnt.

Problem Restitution

Unklar bleibt, wie weit Berlins Einflussmöglichkeiten bei der Restitution von in den Kolonien „angeeigneten“ Kulturgütern sind. Denn die wichtigsten Museen mit kolonialen Bezügen – wie das künftige Humboldt-Forum – gehören der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wo Berlin nur eine Stimme neben den anderen Bundesländern und dem Bund ist. Die Dringlichkeit des Themas wird allerdings auch dort gesehen: Man wolle „die Voraussetzungen für Rückführungen […] schaffen, deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte“, erklärten kürzlich die Kultusminister der Länder und die Staatsministerin des Bundes für Kultur in einem viel beachteten Eckpunktepapier zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten.

Für die Museen in Berliner Zuständigkeit – etwa das Stadtmuseum oder das Naturkundemuseum – heißt es im Antrag von R2G, es „muss eine systematische, effektive und transparente Provenienzforschung organisiert und gefördert werden“. Zwar gibt es bislang keine Rückgabeforderungen von den Nachfolgestaaten ehemaliger Kolonien an Berliner Museen, wie Juhnke in der Debatte betonte und auch Wesener später der taz bestätigte. „Die Herkunftsländer wissen aber auch gar nicht, was hier alles lagert“, so der Grüne. Die Museen müssten daher ihre Sammlungen, „die teils unausgepackt im Keller liegen, erforschen“, ergänzte Kittler – und dann von sich aus auf die Herkunftsländer zugehen.

Was die zentrale Gedenkstätte angeht, fordert der Antrag den Senat auf, nun Gespräche mit dem Bund aufnehmen. Wo eine solche Gedenkstätte stehen könnte, weiß Wesener auch noch nicht. „Aber das wird sicher nicht klein werden.“

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