Berlusconis Medienherrschaft: In der Don-Camillo-Peppone-Welt
In Italien stehen sich Linke und Rechte unvereinbar gegenüber – mit eigenen Wahrheiten. Deswegen kann Berlusconi auch der Mitschnitt einer Sexnacht nichts anhaben.
ROM taz | Am Montagnachmittag stellte die Wochenzeitschrift LEspresso die für Berlusconi kompromittierenden Mitschnitte ins Internet. Doch wer dann abends auf RAI1 die TV-Nachrichten einschaltete, erfuhr davon – schier gar nichts. Am Nordpol schmilzt ein Eisberg, in Mailand wird Teens unter 16 Jahren kein Alkohol mehr ausgeschenkt, in Norditalien erwürgt eine "Killer-Mama" ihren vierjährigen Sohn: Alle diese News wollte RAI den Zuschauern nicht vorenthalten, wohl aber die Peinlichkeiten rund um den Ministerpräsidenten.
Etwa 70 Prozent der Italiener informieren sich vorwiegend übers Fernsehen. Das ist schön für Berlusconi, gerade jetzt. Selbst besitzt er drei Sender, und die drei RAI-Sender kontrolliert er als Regierungschef. Schon vor einem Monat, als das Callgirl Patrizia DAddario ihre Bettgeschichte mit Berlusconi publik machte, hatte es RAI1 geschafft, vier Tage lang mit keinem Wort zu berichten.
Am fünften Tag schließlich gab es zwar erneut keinen Bericht, wohl aber einen Kommentar des – von Berlusconi ausgewählten – Chefredakteurs Augusto Minzolini, der ernst in die Kamera blickte und dabei erzählte, "unbewiesenen Klatsch" werde er nie senden.
Jetzt ist der Klatsch ziemlich handfest bewiesen, doch erneut kommt nichts über die Sender. Ein Aufschrei müsste deshalb doch durchs Land gehen, über die Nachrichtenzensur genauso wie über den Ministerpräsidenten, wundern sich Beobachter aus Frankreich, Spanien, Großbritannien oder Deutschland.
Doch Italien ist anders: Eine öffentliche Meinung, die jenseits der politischen Orientierungen gemeinsamen ethischen Standards verpflichtet wäre, kennt das Land nicht. Vor 20 Jahren fiel die Mauer – in Rom aber scheint der Kalte Krieg immer noch nicht vorbei. Seit 1945 standen sich die KPI – die größte KP im freien Westen – und die Dauerregierungspartei der Democrazia Cristiana unversöhnlich gegenüber, schufen sich und ihren Anhängern so zwei öffentliche Meinungen mit völlig unterschiedlichen "Wahrheiten".
Skandal war nach dem Don-Camillo-Peppone-Schema auch für die breite Masse der Wähler in dem tief gespaltenen Land immer bloß das, was "die anderen" anrichteten; sonst hätte sich ein Giulio Andreotti nie jahrzehntelang halten können.
Es war dann Berlusconis Geniestreich, diese Spaltung künstlich am Leben zu halten, als er 1994 in die Politik eintrat. Das Land "vor den Kommunisten retten", so beschreibt er bis heute seine Mission. Und bis heute folgen ihm Millionen Wähler in einem seit 1945 unveränderten Polarisierungs-Schema. Kommt ein Skandal auf, fragen sie nicht, was dran ist - sondern: Wem nützt er?
So berichteten das Berlusconi-Blatt Il Giornale genauso wie die Rechtsgazette Libero in den letzten Wochen unentwegt über angebliche "Drahtzieher" der Enthüllungen gegen Berlusconi, verortet vor allem in der Murdoch-Gruppe; schließlich sei Murdoch auf Italiens TV-Markt direkter Gegenspieler Berlusconis. Und auch am Dienstag, nach Bekanntwerden der Tonbänder, machen sie weiter auf dem alten Gleis: "Schlamm auf Silvio", titelt Il Giornale, "Noch mehr Müll über Silvio", hält Libero dagegen.
Nicht Berlusconis Treiben, seine dann folgenden Lügen gegenüber der Öffentlichkeit sind für diese Blätter - wie für Berlusconi-Wähler - der Stein des Anstoßes, sondern ein ganz anderer "Skandal": dass die Oppositionszeitung La Repubblica versuche, den Premier zu diskreditieren.
Leser*innenkommentare
harri
Gast
Sugar-Daddies sind nun mal beliebt, gleichermaßen wohl bei Jung und Alt. Nur, dass die Daddies - liegt in der Natur der Sache - nun eben mal die Jüngeren bevorzugen. Siehe Münte...
Ist das vielleicht nicht dasselbe? Nur eben ein kleines bisschen anders?
Sunny
Gast
Komisch, die konfliktscheuen öffentlich-rechtlichen und die parteiischen privaten Medien sieht man immer nur im Ausland. Woran das wohl liegen könnte?
Nun, jedenfalls haben wir soviel "Glück", dass unsere Mohns, Springers und Burdas es ihrem Alter entsprechend (partymäßig) etwas ruhiger angehen lassen, als der italienische Medienmogul.
Peter A. Weber
Gast
Hallo, Herr Popper,
Machos, Hirn- und Gewissenlose haben wir hier zur Genüge. Poppen Sie ruhig weiter und kriechen Sie Ihrem "besten Premier" doch gleich in den Allerwertesten! So haben wir wenigstens unseren Spass.
Roman
Gast
Waren die Damen nich schon alle über 18? Wo ist das Problem?
Ganimesh
Gast
Bezahlte Forenschreiber.
In immer mehr öffentlichen Newsforen machen sich Meinungsmacher breit, die offensichtlich für ihre Kommentare bezahlt werden. Erkennbar an einmaligen, sehr stark polarisierenden Kommentaren auf Bildzeitungsnviveau. Es wird einem suggeriert, dass dies "normale" Leser seien. Es wird versucht die "Nur"-Leser der Foren, die dabei sind sich eine Meinung zu bilden, zu beeinflussen.
"Popper" ist einer von denen.
Fritz
Gast
Es ist schon witzig. Da unterwirft ein Dempel von Unternehmer (denn das Berlusconi uneachtet seines Erfolges nicht gerade ein intellektueller Gigant ist, dürfte inzwischen bei jedem angekommen sein) mit einem Weltbild aus dem 18.Jahrhundert ein ganzes Land seinen persönlichen Bedürfnissen, ändert Gesetze um nicht im Knast zu landen, lügt mehrfach wie gedruckt - und findet daür mehrfach eine Mehrheit. Was wohl zeigt das
- das Volksempfänger-Prinzip nach wie vor funktioniert
- Der Wähler rechts der Mitte - zumindest in Italien - immer noch Duce- ... ehm Führer-Figuren toll findet.
Unzeit-gemäß
Gast
Die Überschrift trifft es nicht. Die Peppone-Welt, d. h. das rote Arbeitermilieu in den Städten Norditaliens existiert schon lange nicht mehr. Peppones Söhne und Enkel wählen dort jetzt die rechtspopulistische Lega Nord, die Erzählung vom durch römische Steuerbeamte und rumänische Zigeuner bedrängtem "padanischen" Volk hat im kollektiven Bewußtsein die ältere Erzählung der "bandiera rossa" und der antifaschistischen Resistenza verdängt. (Dieser Faktor ist viel wichtiger als Berlusconis Fernsehmacht, denn es sind gerade diese verlorenen norditalienischen Stammwähler, die dem Mitte-Links-Lager fehlen!)
Aber auch Don Camillo hätte im heutigen Italien nicht mehr viel zu melden. Die katholische Kirche hat die rassistische Politik der Regierung Berlusconi/Bossi mehrfach öffentlich kritisiert - ohne dass dies Berlusconi innerparteilich in Schwierigkeiten gebracht hätte. Das wäre bei der alten Democrazia Cristiana, in der es noch Ortsvereine und organisierte Strömungen gab, wohl noch anders gewesen; aber Silvios Popolo della Libertà, der das Vakuum gefüllt hat, ist eine reine PR-Agentur, die strickt auf Umfragewerte guckt und sich nicht von irgendwelchen Pfarrern reinreden lässt.
Die DonCamillo&Peppone-Filme spielen in einem anderen Land.
Mirko
Gast
Naja, ist ja nicht so, als ob die rechts-links-Polarisierung nur in Italien seltsame Blüten triebe...
Man muss sich nur mal die Kommentare hier und bei anderen Nachrichtenportalen ansehen - da braucht's noch nicht mal die üblichen Verdächtigen wie BILD oder indymedia. Oder die hirnverbrannten Kommentare so mancher Politiker. Was die andere Seite will ist generell Unsinn, selbst wenn man am Tag zuvor dasselbe gefordert hat.
Wo bleibt denn eigentlich die viel beschworene "neue Mitte"? Eigentlich ist man sich doch ziemlich einig, dass man weder Arbeitslose in Zwangsarbeitslager stecken kann (naja, die FDP sieht das vielleicht teilweise anders, würde es aber euphemistischer formulieren) noch die Wirtschaft derart schröpfen, dass auch der letzte Job outgesourced wird. Aber nein, da ist jede soziale Forderung sofort der Umsturzversuch der Kommunisten und jedes Unternehmen, das Gewinn macht, ein neoliberaler (=egoistischer) Parasit...
Anna Cvetkov
Gast
@Popper: Dass Berlusconi es mit allen möglichen Frauen treibt, interessiert hier vorwiegend auch niemanden. Der Punkt ist, dass er es schafft eine solche Zensur zu betreiben, dass so ein sensationeller Klatsch, der ja normalerweise für Schlagzeilen in allen Medien sorgt, die Geld machen wollen, nicht veröffentlicht wird.
Da fragt man sich doch wirklich, aus was sich in einem solchen Land die öffentliche Meinung bildet?
"Etwa 70 Prozent der Italiener informieren sich vorwiegend übers Fernsehen. Das ist schön für Berlusconi, gerade jetzt. Selbst besitzt er drei Sender, und die drei RAI-Sender kontrolliert er als Regierungschef."
Und Sie, Popper, reden von einer Volksmeinung!? Diese Volksmeinung besteht daraus, was die Regierung unter Berlusconi konstruiert!
Daher bin ich der Meinung, dass das Erscheinen dieser für die Demokratie doch ziemlich relevanter Artikel nichts mit Impotenz, oder weiblichen Kommentarschreibern zu tun hat. Es hat nur den Zweck aufzuzeigen, wie untransparent, parteilich und wenig facettenreich die Medienlandschaft in Italien ist und somit die Meinungsbildung der Bevölkerung von der Regierung bewusst eingeschränkt und gelenkt wird.
Lucia
Gast
Ja, ist unglaublich..und es gibt sogar Leute, die alt wie ich sind (20/25 Jahren)die von "Kommunisten" sprechen. Ich und viele anderen sind natürlich erschrocken, aber ist gar nicht einfach, mit ihnen zu reden. Man sagt "Kommunist" und jede andere Argumentation gilt nicht mehr. Natürlich ist diese Auffassung vor allem typisch der altere Leute, aber nicht NUR.
Ich schaue seit langem kein TV mehr, aber Freunden, Blogs oder Facebook melden und verspotten, was dort geschehet. Es gibt sicher einige, aber, die nie im Netz schauen, und sogar kein Radio oder Zeitung lesen. Ich kann nur hoffen, dass sie nur die 60+ sind... Was sie wissen, oder denken zu wissen, ist entsetzlich für mich vorzustellen.
Paul
Gast
Unglaublich sachlicher und intelligenter Beitrag, Popper! Ich ziehe meinen Hut vor einem großen Politikwissenschaftler wie ihnen.
Beppe Grillo
Gast
@Popper
Ja, ja, was regen wir uns hier über den pädophilen Silvio auf? Alles ganz normal, die Kritiker reine impotente Neider, klar. Och, sie kennen Volkesmeinung? Nun, daraus lässt sich bloss schliessen in was für Kreisen sie verkehren. Und "Er ist einer der bestem Premiers, die Italien je hatte." ROTFL
Christian
Gast
Der Fall Berlusconi beweist auf anschauliche Weise wie eine (europäische) Demokratie zur Farce verkommt. Man bedenke, es gibt in Italien 60 Millionen Menschen und trotzdem ist es ausgerechnet der reichste Bürger, der zufällig noch in der Lage ist die Medienlandschaft (und somit den demokratischen Entscheidungsprozess) in Italien maßgeblich zu beeinflussen)der die beste Wahl sein soll wenn es darum geht das Land zu führen und für das Volk einzustehen?!?
Das ist absurd, die Menschen in hundert Jahren werden uns für genauso unzivilisiert, naiv und dumm halten wie manch einer es heute über die Leute im finsteren Mittelalter tut.
Um dieser Demokratie-Heuchelei entgegenzuwirken könnten wir gleich wieder die Monarchie einführen, die Oberen Zehntausend machen doch so oder so schon was sie wollen.
Popper
Gast
Wen interessiert es, mit wem Berlusconi es treibt?
Er ist einer de bestem Premiers, die Italien je hatte. Ich habe täglich mit Italien zu tun und kenne Volkesmeinung.
Alle die sich über die Sexkapaden von Berlusconi aufregen, kriegen selbst keinen mehr hoch.
Das gilt für die linken ital. Pinscher und auch
für die männlichen Kommentarschreiber und frustrierten Frauen. Taz-Redakteure/innen eingeschlossen.
Sonstwer
Gast
Es ist eigentlich unglaublich: nach unseren und sicher auch nach den italienischen Gesetzen gilt das als Kindsmissbrauch; so etwas ist Regierungschef? Naja, ist es bei uns wirklich besser ...?
Pippo del Popo
Gast
Mir ist das spontan ein Link eingefallen...
(http://www.stern.de/politik/historie/:Benito-Mussolini-Die-Rache-Partisanen/539494.html?eid=537265&s=7)