Bertelsmannstudie zu Familienarmut: Geschönte Armut statt schön reich

Reiche Familien sind in Deutschland noch reicher und arme noch ärmer als bisher gedacht. Das enthüllt eine Studie der Bertelsmannstiftung.

Ein Frau legt einer anderen Möhren in eine Plastiktüte

Eine Helferin der Mainzer Tafel gibt Gemüse an Bedürftige aus Foto: dpa

Dass in Deutschland insbesondere Familien mit nur einem Elternteil unter finanziellem Druck stehen, ist kein neuer Befund. Wie schwierig die Situation für Familienhaushalte und wie groß das Ausmaß der sozialen Ungleichheit aber tatsächlich ist, wurde bisher systematisch unterschätzt.

Zu dieser Einsicht kommen Wissenschaftler der Universität Bochum, die im Auftrag der Bertelsmannstiftung eine Studie zur Entwicklung der Einkommenssituation von Familien durchgeführt haben. Ihre Ergebnisse stützen sich auf eine neue Berechnungsmethode, die die tatsächlichen Lebensverhältnisse besser abbilden soll.

Zum Vergleich der finanziellen Situation verschiedener Haushaltstypen nutzen Ökonomen sogenannte Äquivalenzskalen. Die Ausgaben eines Haushalts werden im Durchschnitt kleiner, je mehr Personen darin wohnen – nicht jede Person braucht einen eigenen Kühlschrank und Reis ist günstiger im 3-Kilo-Pack. Um solche Einsparungen zu berücksichtigen, wird jedes zusätzliche Haushaltsmitglied anders gewichtet.

Das Neue an der vorliegenden Bertelsmannstudie ist, dass sie zusätzlich zur Haushaltsgröße auch die Einkommen der Haushaltsmitglieder miteinberechnet. Die Forscher argumentieren, dass ein weiteres Mitglied einen finanzschwachen Haushalt tendenziell stärker belastet als einen wohlhabenden. Während beispielsweise die einen bei Kinderzuwachs in eine größere Wohnung umziehen müssen, können Bessergestellte ein bisheriges Arbeits- zum Kinderzimmer umfunktionieren.

Die Wirklichkeit ist extremer als gedacht

Entsprechend dieser neuen Berechnung der Äquivalenzskalen fallen die Gewichtungen bei niedrigen Einkommen höher und bei mittleren und höheren Einkommen niedriger aus als bisher üblich. Mit anderen Worten: Arme Haushalte wurden als reicher und reiche Haushalte als ärmer dargestellt, als es den realen Verhältnissen entspricht.

Das Resultat ist eine Vergrößerung der sozialen Ungleichheit seit 1992

Angewandt auf Daten des sozioökonomischen Panels aus dem Jahr 2015 zeigt die Studie, dass besonders Haushalte mit nur einem Elternteil finanziell unter Druck stehen: Sie verfügen über das geringste gewichtete Einkommen. Zudem bedeutet jedes Kind eine Verschlechterung der finanziellen Situation – auch wenn beide Elternteile vorhanden sind.

Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft die Entwicklung der letzten 25 Jahre: Schwächer gestellte Familien konnten ihre Situation kaum verbessern, während der Trend für alle anderen Haushaltstypen deutlich positiver verlief. Das Resultat ist eine Vergrößerung der sozialen Ungleichheit seit 1992. Besonders betroffen sind erneut Haushalte Alleinerziehender. Deren Einkommen steigen seit über zwei Jahrzehnten klar unterdurchschnittlich.

Diese Entwicklungen spiegeln sich auch im Armutsrisiko wider. Dieses wird in der Forschung als relativ zum Reichtum einer Gesellschaft verstanden. Alle Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügen, gelten als armutsgefährdet. Auch hier zeigt sich die besondere Belastung Alleinerziehender: Die Armutsrisikoquote für Haushalte Alleinerziehender liegt bei enormen 68 Prozent – und damit noch mal 22 Prozentpunkte höher als bei der bisher üblichen Berechnungsweise.

Die Bochumer Wissenschaftler fordern nun, dass sich die Politik auf die Armutsbekämpfung konzentrieren solle mit besonderem Fokus auf Familien und Kinder. Sie empfehlen, sowohl bisherige Instrumente zu überarbeiten als auch die Rahmenbedingungen zur Bewältigung von Arbeit und Familie zu verbessern.

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