Beschwerdeportal Lebensmittelklarheit.de: Lebensmittelpranger kommt gut an

Die Verbraucher beschweren sich gerne - auch im Internet. In den ersten 100 Tagen von Lebensmittelklarheit.de wurden knapp 4.000 Lebensmittel-Werbelügen gemeldet.

Sponsored by Verbraucherschutzministerin Aigner: Lebensmittelklarheit.de. Bild: dpa

BERLIN taz | Das Internetportal der Verbraucherzentralen gegen Täuschung mit mangelhaft gekennzeichneten Lebensmitteln ist bei Konsumenten auf riesiges Interesse gestoßen. Allein in den ersten 100 Tagen nach dem Start von lebensmittelklarheit.de meldeten Verbraucher mehr als 3.880 Produkte, von deren Aufmachung oder Kennzeichnung sie sich getäuscht fühlen.

Mittlerweile kommen laut Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) täglich rund 20 bis 30 hinzu. "Wir waren von dem Ansturm überrascht", sagte vzbv-Chef Gerd Billen in seiner Zwischenbilanz am Donnerstag. "Die hohe Resonanz ist ein gutes Zeichen."

Das Interesse war so groß, dass die Server in den ersten Minuten nach dem Start am 20. Juli in die Knie gingen. Bis Montag konnten die Mitarbeiter nur 362 Produktmeldungen bearbeiten. Lediglich 72 stellten sie nach Überprüfung ins Internet.

Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagte deshalb, ihr Ministerium habe nun 200.000 Euro zusätzlich für Technik und Personal zur Verfügung gestellt. Damit finanziert der Bund das zunächst bis Ende 2012 laufende Projekt mit 950.000 Euro.

Die meisten Beschwerden - fast 35 Prozent - beziehen sich laut vzbv auf Zutaten und Zusatzstoffe. "Hier ist ein großes Ärgerpotenzial", sagte Billen. Der Discounter Netto etwa steht mit seiner "Carat Klare delikate Brühe" am Pranger. Das Unternehmen bewirbt sie mit dem Hinweis "Ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe" - in Wirklichkeit enthält sie Hefeextrakt, das sehr wohl den Geschmack verstärkt.

"Lebensmittelrechtlich korrekt gekennzeichnet"

Wie bei allen Produkten auf der Seite darf sich der Anbieter auch verteidigen. Netto schrieb: "Das Produkt ist lebensmittelrechtlich korrekt gekennzeichnet." Schließlich sei Hefeextrakt rechtlich gesehen kein geschmacksverstärkender Zusatzstoff. Deswegen haben die Verbraucherschützer das Brühepulver auch in die Rubrik "Erlaubt!" sortiert, fordern Netto aber auf, die Werbung zu ändern. Bisher sind Billen zufolge die Anbieter von 27 Produkten solchen Aufforderungen gefolgt.

Ziel des Portals sind laut Aigner mehr Transparenz in der Lebensmittelkennzeichnung und mehr Information für die Bürger. "Wir wollen einen seriösen Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft", sagte die Ministerin. Sie sehe Lebensmittelklarheit.de auch "als wichtigen Sensor". Das Portal werde genaue Hinweise darauf geben, wo den Verbraucher der Schuh drückt und dann eventuell auch Regeln geändert werden müssen.

Billen nannte schon einige dieser Hinweise: Zum Beispiel sähen die Verbraucher nicht ein, weshalb Kalbswiener nur zu 15 Prozent Kalbsfleisch enthalten müssen und der Rest Schweinefleisch sein dürfe. Festgelegt hat das die von Aigners Ministerium berufene Lebensmittelbuchkommission, der zwar auch Verbraucherschützer angehören - die aber leicht von der Industrie blockiert werden kann. Auch die Käse-Verordnung will Billen ändern. So müsse verhindert werden, dass Etiketten teureren Schafskäse suggerierten, das Produkt in Wirklichkeit aber aus billigerer Kuhmilch bestehe.

Aigner spielt auf Zeit

Doch auch auf mehrmalige Nachfrage wollte Aigner sich nicht auf Änderungen von Verordnungen oder der Struktur der Lebensmittelbuchkommission festlegen. Erst einmal müsse "Verbraucherforschung" herausfinden, ob die von den Verbrauchern genannten Probleme nur Einzelfälle oder tatsächlich Massenphänomene seien, so Aigner.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kritisierte denn auch: "An die harten Themen geht Aigner nicht ran. Stattdessen macht sie mit dem Portal in Aktionismus. Weniger Show wäre sinnvoll", sagte NGG-Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg der taz.

Nötig sei zum Beispiel, dass auf einem Produkt genau stehe, wo es hergestellt wurde. Schließlich achteten immer mehr Verbraucher auf Regionalität. "Außerdem sollte Aigner unsere Forderung nach einem Informantenschutz für Mitarbeiter der Lebensmittelindustrie unterstützen, die den Behörden Missstände in ihren Unternehmen melden."

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