Besetzte Flüchtlingsschule: Ende eines Fluchtwegs

Am Donnerstag soll die Gerhart-Hauptmann-Schule geräumt werden. Die Zukunft der verbliebenen Bewohner ist weiterhin ungewiss.

Gitter vor dem Schuleingang

Eingang zur Gerhart-Hauptmann-Schule im Dezember 2017 Foto: Christian Jungeblodt

Warum wird jetzt geräumt?

Den konkreten Termin, Donnerstagmorgen um 8 Uhr, hat die Gerichtsvollzieherin festgesetzt. Sie kommt, weil der Bezirk mit seinen zivilrechtlichen Klagen gegen die 24 Männer, die sich im Sommer 2014 erfolgreich gegen den ersten Räumungsversuch gewehrt hatten, Erfolg hatte. Das Landgericht urteilte im vergangenen Juli, dass das auf dem Dach der Schule unterschriebene Einigungspapier zwischen den Flüchtlingen und dem Stadtrat Hans Panhoff (Grüne) nur eine vorübergehende Vereinbarung zur Deeskalation der Situation gewesen sei. Noch leben etwa zwölf der Geflüchteten in der Schule. Wenn sie nicht vorher freiwillig gehen, müssten sie wohl mithilfe der Polizei aus dem Gebäude geholt werden.

Was passiert mit den Bewohnern?

Im November wurde den Schulbewohnern in einem Brief des Bezirksamts eine vierwöchige Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft zugesichert. Danach drohte die Obdachlosigkeit. All ihre Hoffnungen auf eine Unterkunft, Bleiberecht und Arbeitserlaubnis sind bislang unerfüllt geblieben. Viele sind davon zermürbt.

Inzwischen gibt es immerhin eine Perspektive für eine längere Unterbringung, geknüpft an den Stand der Asylverfahren. Was in dieser Frage geschieht, ist weiterhin unklar. Einen gesicherten Aufenthalt hat niemand, einige haben noch nie einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Vorstellbar wäre ein kollektives Bleiberecht nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes oder individuelle Härtefallentscheidungen. Vom Innensenator bis zum Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten schweigen sich dazu alle aus.

Im Oktober 2012 erreichte der Protestmarsch der Flüchtlinge Berlin. Auf dem Oranienplatz bauten die AktivistInnen ein Camp auf, im Dezember besetzten sie außerdem das leer stehende Gebäude der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule. Zu Beginn war die Besetzung noch eng mit der Flüchtlingsbewegung verbunden, mit der Zeit wurde das Haus auch zu einem Anlaufpunkt für verschiedene obdachlose Gruppen. Es gab Konflikte und Gewalt, im April 2014 wurde ein Bewohner von einem anderen erstochen.

Im Juni 2014 versuchte der Bezirk, die Schule räumen zu lassen, dagegen gab es tagelangen Widerstand von BewohnerInnen, UnterstützerInnen und aus der Nachbarschaft. Dem verbleibenden Teil der Bewohner gelang es, mit dem Bezirk eine Vereinbarung über ihren Verbleib zu schließen. 2015 wollte der Bezirk erneut eine Räumung erwirken, scheiterte damit aber juristisch. Im August 2016 reichte der Bezirk schließlich Räumungsklage ein. (taz)

Und mit dem Gebäude?

Im Nordflügel der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule befindet sich eine Notunterkunft für Flüchtlinge, die von den Johannitern betrieben wird. Bei der Eröffnung im August 2016 wurde vonseiten des Bezirks angekündigt, diese bald in eine Gemeinschaftsunterkunft umzuwandeln, das ist noch nicht geschehen.

Im bislang besetzten Südflügel will der Bezirk ein „Beratungszentrum“ für Flüchtlinge einrichten. Auf dem Gelände will außerdem die landeseigene Howoge bauen: In einem fünf- bis siebengeschossigen Gebäudekomplex sollen 120 Mietwohnungen entstehen. Der Baubeginn ist für August dieses Jahres, die Fertigstellung für Herbst 2020 geplant. Nachbarschaftsprotest gegen die Pläne gibt es bereits.

Wird es Proteste gegen die Räumung geben?

Die große Unterstützung, die die Flüchtlinge noch vor drei Jahren hatten, als tausende Menschen dauerprotestierend Kreuzberg lahmlegten, ist lange vorbei. Die linke, antirassistische Szene hat sich überwiegend neuen Themenfeldern gewidmet. Dennoch soll am Donnerstag protestiert werden, angemeldet sind eine Kundgebung während der Räumung und eine anschließende Demonstration. Die Initiative geht von Berliner Antirassismus-Aktiven aus. Von Blockadeversuchen oder Ähnlichem ist nicht die Rede.

Mitdemonstrieren wird die Nachbarschaftsinitiative Oh­lauer Straße, die sich konstant um die Geflüchteten bemüht hat. Die Nachbarn etwa vom Theater Metropolis, der örtlichen Buchhandlung Leseglück oder dem Gesundheitsprojekt Heilehaus begleiten die Flüchtlinge seit Jahren in asylrechtlichen oder anderen persönlichen Angelegenheiten. Ihre Sprecherin Kim Archipova will die Besetzung „nicht unkommentiert zu Ende gehen lassen“, hofft aber, dass es zu keinen weiteren Zuspitzungen kommt: „Darin sehe ich keinen Sinn mehr.“

Hätte es Alternativen zur Räumung gegeben?

Nein, sagt der Bezirk. Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) hatte zuletzt immer wieder gesagt, ihr bliebe nach all den Jahren der Verhandlungen keine andere Möglichkeit mehr. Den Bewohnern seien „weitreichende Zusagen“ gemacht worden, die diese abgelehnt hätten. „Das Ende ist erreicht.“

Ja, sagt dagegen Kim Archipova von der Nachbarschaftsinitiative: „Es gab sechs Versuche, ein International Refugee Center mit den Bewohnern auf die Beine zu stellen.“ Dort, so der Plan, hätten die Besetzer wohnen bleiben und sich an der Arbeit beteiligen können. 2016 gab es vom Bezirk eine mündliche Zusage für ein solches Projekt, im Sommer 2017 kritisierten die Trägervereine, dass der Bezirk sich weigerte, dies schriftlich zu bestätigen. Seitdem ist nichts passiert. Wer das geplante Flüchtlingsberatungszentrum betreibt, steht nicht fest. Nur, dass die Flüchtlinge kein Teil davon sein werden.

Was hat die Besetzung gekostet?

Im ersten Halbjahr 2017 hat der Bezirk für die Unterhaltung, Bewirtschaftung und den Wachschutz, der die Schule seit dem Sommer 2014 rund um die Uhr präsent ist, 535.179 Euro ausgegeben. Über die fünf Jahre summieren sich die Kosten auf etwa 5 Millionen Euro. Insbesondere die im Bezirk irrelevante CDU hat diese Ausgaben immer wieder angeprangert.

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