Besuch aus Südostasien: Zeitung unterm roten Banner

Dank Penisrelief und bewundernswerter Unabhängigkeit hinterließ die taz bei den BesucherInnen bleibenden Eindruck.

Besucherinnen werden seit 2008 auf die richtige Spur gebracht: Fest und Demonstration zur Einweihung der Rudi-Dutschke-Strasse. Bild: Detlev Schilke

Ein rotes Banner hängt über dem Whiteboard im Konferenzraum der taz, darauf sind die Logos verschiedener chinesischer Medien gedruckt. An diesem Montagvormittag begrüßen wir Gäste, ein Dutzend Blogger großer chinesischer Nachrichtenwebseiten.

Sie sind auf Einladung des Auswärtigen Amtes hier. Organisiert wird die Reise in Deutschland vom Besucherprogramm des Goethe-Instituts. taz-Asienredakteur Sven Hansen begrüßt die Gäste und gibt eine kurze Einführung in die Geschichte unserer Zeitung. Das Gespräch wird schnell grundsätzlich, das Prinzip einer sowohl von staatlicher Steuerung als auch kommerziellen Interessen unabhängigen Publikation ist nicht so leicht zu vermitteln.

Die KollegInnen aus China arbeiten in einer von Zensurbehörden kontrollierten Medienlandschaft, und das einzige andere ihnen bekannte Konzept ist das der großen Medienkonzerne und privaten Magnaten, wie man sie in Japan, Südkorea oder den USA beobachten kann.

Kleine Zahlen, besondere Wirkung

Unsere Zahlen müssen unwirklich klein auf die Gäste wirken. Eine verkaufte Auflage der gedruckten Zeitung im fünfstelligen Bereich und vielleicht anderthalb Millionen Besucher im Monat auf taz.de sind im Vergleich zum Medienmarkt in Ländern wie China, Japan oder Indonesien einfach nichts. Was sie aufhorchen lässt, ist die Zahl der Eigentümer, rund 14.000 GenossInnen, alle mit einer Stimme – das hilft zu verstehen, dass die taz in jedem Land etwas Besonderes wäre.

Erinnerungsfotos vom Penisrelief

Sven Hansen erklärt auf Nachfrage das Prinzip des Persönlichkeitsrechts, zumindest theoretisch der einzigen Einschränkung der Pressefreiheit in Deutschland. Als Beispiel nennt er den Penisstreit mit Kai Diekmann, das Wandrelief am taz-Haus hatten die Blogger schon gesehen und ausgiebig fotografiert. Eine Stunde ist schnell um, danach gibt es noch die obligatorische Hausführung inklusive Erinnerungsfotos auf dem Dach: „Da drüben ist der Springer Verlag, über den wir gerade sprachen.”

Unter KollegInnen

Dort auf dem Dach wurden ein paar Wochen zuvor auch die Fotos einer anderen Gruppe geschossen, unabhängige Blogger aus Südostasien: Kambodscha, Philippinen, Indonesien. Deren Interessenschwerpunkt lag auf unserer Nutzung des Webauftritts, von Facebook und Mobilgeräten. Und dann doch wieder staatliche Zensur: Sopheap Chak, die auch die Direktorin des kambodschanischen Menschenrechtsrates ist, versuchte, die taz politisch einzuordnen: „Wenn uns in Kambodscha verboten wird, über bestimmte Dinge zu berichten ... – dann wäre das eine Geschichte für die taz und ihre LeserInnen.”

Und so tauschen wir Kontaktdaten mit Menschen, die wir noch nie vorher gesehen haben und die nur eine Stunde oder 90 Minuten bei uns zu Gast sind: JournalistInnen, BloggerInnen, AktivistInnen – KollegInnen eben.

Staatsferne vermitteln

Verantwortlich für die Besuchsprogramme beim Goethe-Institut sind Simon Haag und Dorothea Klenke-Gerdes. Im vergangen Jahr hat ihre Abteilung über 1.100 Gäste auf 162 Reisen betreut, Einzelpersonen, Kleingruppen oder auch mal über 100 Menschen auf einmal.

Obwohl die Besuche auf Einladung des Auswärtigen Amtes erfolgen, ist der Auftrag für das Institut relativ frei. „Wir wollen ein realistisches Deutschlandbild vermitteln, also eines, das durchaus auch eine gewisse Staatsferne demonstrieren kann”, erklärt Haag. So gehört zum Programm sowohl der Delegation aus China als auch der aus Südostasien nicht nur der Besuch bei Ministerien und Parlamentariern, sondern auch bei zivilgesellschaftlichen Institutionen und unabhängigen Medienschaffenden wie Markus Beckedahl, dem Betreiber von netzpolitik.org, dem wichtigsten Informationsdienst deutscher Sprache zu netzpolitischen Themen.

Das rote Banner nahmen die Gäste wieder mit – und hoffentlich auch die Erinnerung an ein gutes Gespräch in einer kleinen deutschen Zeitung, die ganz anders funktioniert als alle anderen Medien, die sie woanders kennenlernen können.

Daniél Kretschmar, 38, ist Leiter des Onlineressorts der taz