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Besuch im FitnessstudioIn der Tretmühle der Selbstoptimierung

Für mich ist das Fitnessstudio kein Ort der Entspannung, sondern der verlängerte Arm der Arbeit. Aber ich gebe dem Studio noch mal eine Chance.

Arm-Day für einen größeren Bizeps: Sind Fitnessstudios Himmel oder Hölle? Foto: imago

E igentlich wollte ich für diese Kolumne angeln gehen. So richtig mit Gummistiefeln, Ruhe und diesen kleinen Dosenwürmern. Aber ich habe keinen Zugang zu Berliner Angelvereinen gefunden, und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich einen Fisch töten könnte. Außerdem war diese Woche so stressig, dass ich mich selbst wie eine halbtote Flunder fühle. Und angesichts dieses Gefühls sollte man vielleicht nicht mit einem Haken spielen.

Also Planänderung: Statt angeln gehe ich pumpen. Meine Freundin hält mir einen zweiunddreißig Zentimeter langen Papierstreifen hin: „Guck mal, so groß ist mein Bizeps schon!“ – „Wow, du Tier!“, sage ich, und fühle mich wie einer dieser Proteinshake-Typen, ihr wisst schon, welche ich meine. Meine Freundin ist Fitnessultra, sie geht mehrmals pro Woche ins Studio, um den Bürostress auszuschwitzen. Ich dagegen frage mich, warum ich jetzt neben ihr stehe. Für mich ist das Fitnessstudio kein Ort der Entspannung, sondern der verlängerte Arm der Arbeit: erst ackern am Computer, dann ackern am eigenen Körper. Effizienter Fortschritt an der Hantelbank – der Kapitalismus als Muskelprogramm.

Es gibt viele Gründe, nicht ins Fitti zu gehen. Das grelle Licht, die klebrigen Geräte, die Typen, die breitbeinig mit verschränkten Armen vor den Spiegeln stehen und Tipps geben, die niemand verlangt hat. Und dieses Prinzip der Wiederholung. Wiederholung! Als wäre man in einer Tretmühle der Selbstoptimierung. Es ist aber so: Ich will manchmal gar nicht besser werden, nicht stärker oder definierter sein. Und wenn ich mich schon bewege, dann will ich mich wenigstens nicht dabei langweilen. Aber offenbar funktioniert das Ganze ja für viele. Fitness ist längst mehr als Sport, es ist ein Lifestyle.

Volk der Schwit­ze­r:in­nen

In den sozialen Medien wird geübt, gemessen und sich ausgetauscht. In den USA sind fast 24 Prozent der Bevölkerung Mitglied in einem Studio, in Deutschland immerhin 13. Wir sind ein Volk der Schwit­ze­r:in­nen geworden – vermutlich weil wir so viel sitzen, denken und funktionieren. Dank Fitnessstudio schafft man das dann wenigstens mit einem starken Rückgrat.

Also gebe ich dem Studio noch mal eine Chance. Zum Glück ist es fast leer, meine Freundin zeigt mir alles geduldig. Heute ist Arm-Day – der Tag, an dem meine Arme angeblich stärker werden, aber bei den ganzen Übungen nur zittern. Wir laufen uns auf dem Stepper warm und tauschen dabei die tägliche Dosis Gossip aus. So gefällt mir das: Kardio & Klatsch. Ich frage sie, woher man weiß, dass sie eine Übung richtig macht. „Hab es in irgendeinem Tiktok gesehen“, sagt sie. Sie scheint es mühelos zu machen. Ich dagegen schlackere meine Minihanteln unkoordiniert in die Höhe und hinter meinen Kopf.

Ich gebe zu, das Studio ist nicht der Untergang. Es stresst aber trotzdem, dass die pumpenden schweißnassen Muskelberge DIE GERÄTE NIE SAUBER MACHEN, WENN SIE SIE BENUTZT HABEN.

Als wir rausgehen, sind zwei Stunden vergangen, der Stress war für ein paar Stunden weg. Vielleicht ist das die geheime Formel des Fitnessstudios: nicht Selbstoptimierung, sondern Alltagsvergessenheit. Und wer weiß – vielleicht ist mein Bizeps ja wirklich einen halben Zentimeter gewachsen.

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Ann-Kathrin Leclere
Aus Kassel, lange Zeit in Erfurt gelebt und Kommunikationswissenschaft studiert. Dort hat sie ein Lokalmagazin gegründet. Danach Masterstudium Journalismus in Leipzig. Bis Oktober 2023 Volontärin bei der taz. Jetzt Redakteurin für Medien (& manchmal Witziges).
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