Besuch im Hausprojekt Rigaer 94 in Berlin: „Ein politisches Haus“

Während die Polizei „rechtsfreie Räume“ vermutet, sprechen die Linken von Repression. Die Nachbarschaft zeigt Solidarität.

Polizisten in schwarzer Montur stehen mit dem Rücken zur Kamera vor einem bunt bemalten Haus

Regelmäßiger Besuch an der Rigaer Straße: die Polizei. Foto: imago/Markus Heine

BERLIN taz | Sechs Stufen hat die Polizei übrig gelassen, die vom Erdgeschoss des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 in die erste Etage führen. Die unteren sind noch unversehrt, doch die sechs, sieben Stufen darüber fehlen, vermutlich wurden sie mit einem Rammbock zerstört. Jetzt ist nur noch ein Berg aus Schutt zu sehen. Eine Holzleiter ersetzt nun die Stufen bis zum Treppenabsatz. Die Zerstörung wird die Bewohner noch lange an die Razzia in ihrem Haus am Mittwoch vergangener Woche erinnern.

550 Polizisten, SEK-Einheiten und ein Hubschrauber waren an der Erstürmung der linksradikalen Trutzburg im Berliner Bezirk Friedrichshain beteiligt. Als Grund diente ein Angriff auf einen knöllchenschreibenden Beamten. Dieser war von Vermummten zu Boden gestoßen worden, die danach in den Hof des Hauses flüchteten. Stunden später rückte das Großaufgebot an, ohne Durchsuchungsbeschluss, dafür ausgestattet mit der Rechtskonstruktion einer Hausbegehung zur Gefahrenabwehr, die sich auf das Berliner Polizeigesetz beruft.

Während die Polizisten Stellung bezogen, versammelten sich 16 Bewohner in der Gemeinschaftsküche im dritten Stock. Auch Freddy und Hensel, die ihre richtigen Namen aus Angst vor Repressionen nicht nennen, waren dabei, als die Polizisten sich den Zugang zum verbarrikadierten Haus freimachten und dann Etage für Etage hocharbeiteten. Widerstand leisteten sie nicht, auch wenn zwei Bewohner „ordentlich kassiert“ hätten, wie Freddy es ausdrückt.

Nun sitzen die beiden Hausbewohner in der Kadterschmiede, dem kollektiven Kneipenraum, der von der Polizei unbehelligt blieb. Pressevertreter haben hier normalerweise keinen Zutritt, doch für die taz machen sie eine Ausnahme. Hinter dem Tresen prangen Bilder vermummter Pinguine, dazu der Spruch: „Niemals aufgeben. Niemals kapitulieren“. Man kann das als Motto verstehen, oder, wie Freddy es nennt: „Wir sind ein politisches, ein rebellisches Haus.“

„Bambiland“ mit viel Glas

Der Konflikt um das Haus ist alt. Es wurde im Sommer 1990 besetzt, in der anarchischen Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung. Allein an der Rigaer Straße gab es ein Dutzend Squats. Einige wurden geräumt, die meisten aber bekamen schon Anfang der 1990er Jahre Verträge, auch die Rigaer 94. Der Konflikt war bereinigt.

Doch in den 25 Jahren seither hat sich viel getan. Bewohner sind aus- und eingezogen. Die Eigentümer wechselten. Seit vergangenem Jahr gehört das Haus einem Immobilienfonds mit Sitz auf den Virgin Islands, einem Steuerparadies. Zwei Wohnungen, die Kneipe, ein Sportraum sind aber weiterhin besetzt. An Verhandlungen haben die Bewohner kein Interesse. Und im Friedrichshainer Nordkiez füllen mehr und mehr Neubauten die Lücken. Modern, viel Glas, große Balkone. „Bambiland“, nennen Freddy und Hensel diese Bauten.

Es gab Attacken auf die neuen Häuser, nicht nur Graffiti, auch eingeschlagene Fenster. Brennende Autos. Der Widerstand zeige, dass sich viele die Aufwertung nicht gefallen lassen, sagt Freddy. „Die Leute suchen sich ein Ventil.“ Dies gilt auch für die Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Razzia wirkt wie eine Vergeltung

Von rechtsfreien Räumen, die man nicht zulassen werde, sprach hingegen der Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU). Mit dem harten Vorgehen gegen die linke Szene wolle Henkel Wahlkampf betreiben, sind sich die beiden sicher. „Wir sind zu seinem Feindbild geworden“, sagt Freddy. Die B.Z. zitierte einen leitender Polizeibeamten. Erklärtes Ziel sei es, die Autonomen zu verdrängen.

Die Razzia wirkt wie eine Vergeltung. Die Polizei drang rechtswidrig in die Wohnungen vor, zerstörte fast alle Türen. Freddy beklagt seinen kaputten Plattenspieler und einen Spiegel. Ein Foto zeigt Scherben eines zerschlagenen Bildes, die unter einer Bettdecke versteckt wurden. Zu den Spuren gehören auch zwei Tags. Ein Hunderschaftsbeamter hinterließ den Spruch „31. was here“ im Treppenhaus, an andere Stelle fand sich „All Zecken are bastards“.

Am Tag darauf präsentierte die Polizei ihre Funde: Baumaterialien, Steine, Feuerlöscher, Krähenfüße, also Nägel, die Autoreifen zerstören. Eine besondere Schikane sei die Mitnahme der Holzbriketts, sagt Freddy.

„Kriminalitätsbelasteter Ort“

In den Tagen nach dem Einsatz wurde Hensel im Kiez achtmal von der Polizei kontrolliert. Das Gebiet gilt seit September als „kriminalitätsbelasteter Ort“, verdachtsunabhängige Kontrollen gehören zur Normalität. Der Verfolgungsdruck entlud sich am vergangenen Sonntag ein zweites Mal. Ein aus dem Haus geworfener Müllbeutel, der zehn Meter neben den im Hof stehenden Polizisten niederging, zog einen Durchsuchungsbefehl nach sich. Wieder rückten Polizisten in das Haus ein und durchsuchten mehrere Wohnungen.

Dennoch geben sich Freddy und Hensel betont entspannt. Noch nie hätten sie so viel Solidarität erlebt, erzählen sie. „Eigentlich können wir uns bei Henkel bedanken“, denn „der Kiez rückt jetzt richtig zusammen“, sagt Freddy. Es klingelt. Hensel geht zur Tür. „Da hat mal wieder jemand einer Kuchen gebracht. Vegan“, sagt er. Freddy stönt: „Nicht schon wieder Kuchen.“

„Die Rigaer 94 ist ein Symbol“, sagt Freddy. Darauf können sich wohl alle einigen: Bewohner, Szene, Polizei und Innenpolitiker.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.