Besuch im kenianischen Kinderheim "Nest": Zum Shoppen nach Afrika

Vorbild Madonna und Angelina Jolie: Viele wünschen sich ein afrikanisches Kind. Daran verdienen kriminelle Kinderhändler. Das "Nest" will die Adoption seriös gestalten

Anna Jessen aus Oldenburg mit Lea. Bild: marc engelhardt

LIMURO taz Mit beiden Ärmchen klammert sich Lea an Anna Jessen fest. Seit zwei Monaten verbringen die einjährige Kenianerin und die 21-jährige Frau aus Oldenburg fast jede Minute miteinander. Lea schläft in Annas Zimmer, Anna wickelt und füttert Lea. Sie spielt mit ihr und den anderen Kindern im "Nest", dem Kinderheim in Limuru, nahe der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

"Lea ist so fröhlich, sie babbelt die ganze Zeit. Das ist irgendwie surreal." Anna war auch dabei, als Lea operiert wurde, weil ihr Vater sie im Alter von drei Monaten vergewaltigt hat. Leas Fall stand in den Zeitungen. Schlagzeilen machte er nicht, dafür passieren solche Dinge zu oft. "Kinder, denen etwas Schlimmes passiert ist, sind meistens viel stiller als Lea - was ein Problem ist, weil du sie in der Masse leicht übersiehst", sagt Anna. Noch zwei Monate ist sie im "Nest", dann geht es zurück nach Deutschland. Sie will Kinderärztin werden.

Irene Baumgärtner und eines von 80 Kindern im Kinderheim "Nest".

Irene Baumgärtner hat auch einmal in Deutschland gelebt, in Franken, aber das ist lange her. Jetzt geht sie lachend durch den Garten des "Nest", dessen Leiterin sie ist. Viele der achtzig Kinder des Heimes spielen auf Decken. Es ist kalt hier im Hochland, wo der Tee wächst. Die Lohntüten müssen vorbereitet werden; ein Nachbar bringt ein Kalb, das bis Weihnachten gemästet werden soll. Und immer wieder klingelt das Telefon. "Viele der Anrufer sind Paare, die sich hier einmal umgucken wollen", sagt Baumgärtner. Sie meint damit: Potenzielle Adoptiveltern. Dabei sind die wenigsten Kinder im "Nest" Waisen.

Wie Lea sind die meisten deshalb im Heim untergebracht, weil ihre Mütter im Gefängnis sitzen. "Aber manchmal kann ich mich dem Kinderamt nicht widersetzen, dann bekommen wir auch Waisen zugewiesen." Gerade jetzt ist wieder Hochkonjunktur. "Um Weihnachten herum wird gefeiert, viele sind betrunken, und da werden eine Menge ungewollter Kinder gemacht, die im September und Oktober ausgesetzt werden."

Zehn Kinder hat Baumgärtner in den vergangenen Wochen aufgenommen, fünf davon wurden von den Müttern in Latrinen geworfen. Einige Neugeborene liegen unter dicken Wolldecken in einer Außenstelle, weil das Heim hoffnungslos überfüllt ist. So kommt es, dass derzeit doch 25 Adoptionen laufen im "Nest", die meisten an Ausländer, die in Kenia leben.

Karsten* ist einer von ihnen. Mit seiner Frau Petra lebt er seit drei Jahren in Nairobi, beide arbeiten für eine deutsche Firma. In zwei Jahren endet ihr Vertrag, und bis dahin soll der fünfjährige Kibaya auch offiziell ein Teil ihrer Familie sein. "Wenn alles glattgeht, können wir die nächsten Weihnachten schon zusammen bei den Großeltern feiern."

Bis dahin muss allerdings noch einiges passieren. Seit Monaten prüft die kenianische Adoptionsagentur namens Little Angels bereits, ob Karsten und Petra als Adoptiveltern infrage kommen. "Die ziehen dich wirklich aus: Vermögensverhältnisse, medizinisches Gutachten, Bescheinigungen des Arbeitgebers, Bescheinigung der Bundesanwaltschaft und so weiter." Sozialarbeiter kommen außerdem zu Überraschungsbesuchen vorbei. Zum Schluss gibt es eines von drei Gutachten, das dem zuständigen Gericht zugestellt wird. Die Einschaltung einer Adoptionsagentur ist Pflicht. Als eines von wenigen afrikanischen Ländern hat Kenia internationale Abkommen ratifiziert, die dies vorsehen. Die Kosten dafür tragen die angehenden Adoptiveltern - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. "Für Ausländer kann das mit Anwaltskosten gut 2.500 Euro kosten", weiß Irene Baumgärtner. "Aber viel schlimmer ist das für Kenianer: Die wenigen, die hier ein Kind adoptieren wollen, können es sich oft nicht leisten, weil sie auch fast 1.000 Euro auf den Tisch legen müssen."

Dabei würde Irene Baumgärtner gerne sehen, dass sich in Kenia Verhältnisse entwickeln, die es ermöglichen, dass ihre Waisen von Kenianern adoptiert werden. Dass die meisten Adoptiveltern Ausländer sind, sieht sie mit Sorge. "Seit fünf, sechs Jahren ist es im Westen schick geworden, ein afrikanisches Kind zu adoptieren", meint sie. Die Bilder von Madonna und Angelina Jolie mit ihren Adoptivkindern aus Afrika in den Illustrierten haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Motivation mancher europäischer oder amerikanischer Paare, die im "Nest" vorbeischauen, beschreibt sie so: "Der Freund hat ein schwarzes Baby, das ist süß, und außerdem steht er seitdem sozial im Mittelpunkt, weil er was Gutes tut - eine solche Adoption bringt eine Menge Sozialprestige, das wollen die dann auch."

Irene Baumgärtner, die selbst vor Jahren zwei Kinder adoptiert hat, warnt vor einer solchen Blauäugigkeit: "Es ist nicht leicht. Unsere Kinder hier haben schon eine Menge erlebt, im Mutterbauch und danach." Die Psychologen, mit denen sie bisher zu tun hatte, bescheinigen immer das Gleiche: frühkindliche Traumata. Darum legt die "Nest"-Chefin darauf Wert, dass die künftigen Adoptiveltern und -kinder sich schon länger kennen und echte emotionale Bindungen entwickeln, noch ehe die Adoption vollzogen wird.

So wie bei Petra, die einmal die Woche im "Nest" vorbeikam, um auszuhelfen. Petra und Kibaya lernten sich kennen, verbrachten ein paar Wochenenden miteinander und schließlich entschied sich das Paar vor einem Jahr, Kibaya als Pflegekind mit nach Hause zu nehmen. "Ich habe vorher nie über eine Adoption nachgedacht", sagt Karsten. Und auch nicht an all die Probleme, die ihn noch erwarten - auch jenseits des offiziellen Prozesses, der in Deutschland ähnlich langwierig ist. Er solle sich davor hüten, dass seine Adoptionsabsichten sich herumsprechen, wurde Karsten von Freunden gewarnt. Denn zu häufig sind die Fälle, in denen plötzlich echte oder vermeintliche Onkels oder Tanten auftauchen und für ihre Zustimmung zur Adoption absahnen wollen. Andernfalls, so lautet die Drohung, könnte das Gericht die Adoption ablehnen. Von solchen Fällen hört jeder, der sich auf eine Adoption in Kenia einlässt.

Am Ende des Prozesses steht eine große Anhörung vor Gericht, bei der die Eltern mehrere Stunden lang ins Kreuzverhör genommen werden. Seit ein paar Monaten finden diese Anhörungen in Nairobi allerdings kaum noch statt. Zwei der drei dafür zuständigen Richter, wurden versetzt. Ersatz gibt es noch nicht.

Trotz all dieser Schwierigkeiten boomt das Geschäft mit den Adoptionen. Anders als Irene Baumgärtner haben sich viele Heimbetreiber auf das Geschäft mit Auslandsadoptionen spezialisiert. Bei einem von Briten geführten Heimbetrieb, gibt es für alle Kinder nur ein Ziel: von einer - möglichst westlichen - Familie adoptiert zu werden. Viele private kenianische Kinderheime machen es genauso. Die drei Adoptionsagenturen, die es im Land gibt, sind mit jeweils einem Kinderheim fest verbandelt.

Auch der illegale Kinderhandel blüht. Wem die Verfahren zu langwierig sind, wer als Adoptivpaar abgelehnt wird oder wer halb gutgläubig, halb Augen verschließend Angebote von kriminellen "Agenturen" akzeptiert, die das Wunschkind in kurzer Zeit ohne viel Papierkram liefern können, befördert das schmutzige Geschäft. Nur mit Drogen- und Waffenschmuggel, so warnt das Kinderhilfswerk Unicef, ist so viel Geld zu machen wie mit Menschenhandel. Und in einem Land wie Kenia ist es nicht schwer, gefälschte Papiere für Kinder zu bekommen. Computer gibt es bei den Meldebehörden nicht, in der Zentrale in Nairobi stapeln sich die handgeschriebenen gelben Zettel aus Krankenhäusern, die als Geburtsnachweis genügen.

So erklären sich so bizarre Fälle wie die des kriminellen Gilbert Deya, der sich selbst zum Bischof seiner eigenen Kirche ernannte und damit prahlte, seine Gebete würden Frauen jenseits der Menopause zu ihren Wunschkindern verhelfen. Als der Fall 2004 bekannt wurde, behauptete alleine Deyas Frau, binnen fünf Jahren 13 Kinder zur Welt gebracht zu haben. "Wunderkinder", denn sie habe niemals Sex gehabt.

Die Kliniken in den unzugänglichen Slums von Nairobi, die alle paar Monate eine neue Geburtsurkunde für die gestohlenen oder verkauften Kinder ausstellten, wurden zwar geschlossen. Doch da waren schon Jahre vergangen und viele, vermutlich hunderte Kinder, mit ihren angeblichen Müttern nach Großbritannien geflogen. Nur bei wenigen der aufgegriffenen Kinder ließen sich die Eltern ausfindig machen. 13 "Wunderkinder" leben bis heute im "Nest".

"Ich habe die Kinder zufällig gesehen, als ich wegen eines anderen Falls vor Gericht war", empört sich Irene Baumgärtner. Ein Mädchen, dass sie einem Polizisten entriss, konnte nur in letzter Minute vor dem Tod gerettet werden. Auch die anderen Kinder, die im staatlichen Waisenhaus Nairobis untergebracht waren, waren unterernährt und krank. Damals ging Baumgärtner zum Kinderamt und drohte dem Leiter: "Entweder kommen all diese Kinder zu mir oder ich schalte die internationale Presse ein." Einen Tag später waren die Kinder im "Nest". Dort müssen sie vorerst bleiben. "Wir hatten schon Anfragen, aber wir dürfen die Kinder nicht zu Pflegeeltern geben, solange das Verfahren läuft. Und das kann noch Jahre dauern."

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