Betroffenensprecher über Missbrauch: „Woelki ist Teil eines Systems“

Der katholischen Kirche und Kölns Erzbischof mangelt es im Missbrauchsskandal an Aufklärungswillen, sagt Betroffenensprecher Matthias Katsch.

Die Plastik ·Der Eichelbischof· des Künstlers Jacques Tilly steht vor dem Dom in Köln

Protest vor dem Kölner Dom gegen die Bischofskonferenz und deren Umgang mit sexuellem Missbrauch Foto: Oliver Berg/dpa

taz am wochenende: Herr Katsch, Sie kämpfen seit elf Jahren für die Opfer sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche – seit dem Beginn des Skandals in Deutschland 2010 mit den Enthüllungen am Berliner Canisius-Kolleg. Erleben wir derzeit so etwas wie ein Endspiel?

Matthias Katsch: Nein, das ist ein Langstreckenlauf. Wir erleben aber gerade eine neue Phase. Allmählich verlieren die Öffentlichkeit und auch Menschen in der Politik die Geduld mit der katholischen Kirche.

Es wird immer deutlicher, dass die meisten Bischöfe in Deutschland über Jahre eine Aufklärung nur simuliert oder verschleppt haben. Was hat Ihnen Kraft gegeben, trotzdem immer weiterzumachen, immer wieder in all diesen Jahren Gerechtigkeit für die Betroffenen einzufordern?

Es ist eine Gemengelage. Ich habe viele Menschen in der Kirche kennengelernt, die tatsächlich versuchen, Aufklärung und Aufarbeitung auf den Weg zu bringen. Aber letztlich geht es hier um Machtmissbrauch in einer Institution, die problematische Machtverhältnisse hat, die Missbrauch begünstigt haben. Deshalb kann Aufarbeitung nur gelingen, wenn wir die Institution nicht selber machen lassen, sondern immer wieder Rechenschaft einfordern. Mir hat geholfen, dass ich auf dem Weg einfach viele Verbündete gefunden habe. In Deutschland, aber auch international. Die Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt ist ja ein Phänomen, das inzwischen global diskutiert wird, die Betroffenengruppen haben angefangen, sich zu formieren. Und dann sieht man, unsere Lage hier in Deutschland ist gesellschaftlich betrachtet hervorragend, was die Bereitschaft zum Hinhören und Hinsehen angeht – wenn ich das mit europäischen Nachbarländern, Lateinamerika, Afrika oder Asien vergleiche.

Matthias Katsch, geboren 1963 in Berlin, ist einer der führenden Aktivisten zur Aufarbeitung des Skandals um sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche in Deutschland. Als Schüler des Berliner Canisius-Kollegs, einem Jesuiten-Gymnasium, wurde er Opfer von Misshandlungen durch einen Kleriker. Katsch ist Mitglied im Betroffenenrat beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs.

Auch die katholischen Laien haben sich erst in den letzten Monaten glaubhaft und nachdrücklich auf die Seite der Opfer gestellt – hat Sie das enttäuscht?

Da hätte ich mir tatsächlich früher stärkere Signale gewünscht. Oft hatte ich das Gefühl, die Laien betrachten die Missbrauchskrise als ein Problem der Bischöfe. Das verweist auf die starre hierarchische Ordnung der katholischen Kirche, die auch Teil des Problems ist. Auch Katholikinnen und Katholiken schimpfen auf die „Amtskirche“. Viele sind ausgetreten, aber immer mehr setzen sich auch dafür ein, dass sich Dinge ändern, und erklären sich mit den Opfern solidarisch. Das bewegt mich dann auch.

Wie erklären Sie es sich, dass nach dem ersten Entsetzen über den Skandal 2010 der Aufklärungswille bei den Bischöfen und auch bei den Laien ganz offensichtlich erlahmt ist?

Das Interesse der Öffentlichkeit insgesamt hat natürlich nachgelassen. Vor allem die Politik hat sich viel zu lange rausgehalten und gedacht: Wir haben einen Unabhängigen Beauftragten, da gab es doch mal einen Runden Tisch. Also ist das Problem irgendwie erledigt. Erst die Veröffentlichung der MHG-Studie 2018 hat das wieder geändert.

Also der Studie, die den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Verantwortungsbereich der Deutschen Bischofskonferenz erfassen sollte.

Genau. Nur hatten wir zu dem Zeitpunkt aber schon acht Jahre dafür gearbeitet, dass nun endlich Betroffene wahrgenommen werden. Die Betroffenen hatten nach 2010 kaum Unterstützung, um sich besser zu organisieren und zu vernetzen. Das hätte den Unterschied gemacht. 2018 war das anders.

Haben da auch die Medien eine Schuld: Sind sie über Jahre nicht hartnäckig bei dem Thema gewesen?

Ich weiß, dass manche Chefredaktion auch mal gesagt hat, „Ach, bitte nicht schon wieder das Thema Missbrauch. Darüber haben wir doch schon so viel gebracht.“ Aber viele Jour­na­lis­t*in­nen sind drangeblieben und haben nicht nachgelassen. Das war für die Betroffenen wichtig und hat geholfen, den Druck immer wieder aufzubauen. Das Versagen der Kirchenleitungen hat auch verlässlich immer neuen Stoff geliefert.

Nach der großen MHG-Studie über die sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche war schnell klar, dass das erst der Anfang sein kann und bald alle 27 Bistümer Einzelstudien zur sexualisierten Gewalt liefern müssten – mit der Nennung von Namen von Verantwortlichen. Jetzt liegen ein paar Einzelstudien vor. Die Ergebnisse sind aber meist sehr dürftig. Der Eindruck ist: Die Vertuschung geht weiter. Oder sind Sie da gnädiger?

Ohne Öffentlichkeit, ohne klare Signale des Parlaments wird das ein ganz schwieriger Weg. Wir haben in Deutschland keine geeigneten Instrumente, auf die wir für die Aufarbeitung zurückgreifen können. Andere Länder haben Untersuchungskommissionen eingesetzt, sogenannte Royal Commissions. Wir machen das ehrenamtlich und freiwillig. Wir brauchen jetzt endlich auch den politischen Willen, aufzuklären, auch Namen zu nennen, Akten vollständig zugänglich zu machen und aufzuarbeiten. Sonst versandet auch der gute Wille, den es ja gibt in der Institution, gegen die Kräfte der Beharrung, die zäh Widerstand leisten.

Sie fordern schon länger, dass nur eine unabhängige Untersuchung der Akten, vielleicht von staatlicher Seite, eine schonungslose Aufklärung bringen kann. Sehen Sie für diese Idee eine Mehrheit unter den Bischöfen – und genug Druck von Seiten der Politik?

Es gibt ein Konzept, das vereinbart wurde mit dem Unabhängigen Beauftragten und den Bischöfen. Damit es wirklich funktioniert und auch die Orden einbezogen werden, braucht es eine politische Rahmung. Das, was wir mit „Wahrheitskommission“ bezeichnet haben: ein Gremium, vom Parlament eingesetzt, das den Aufarbeitungsprozess begleitet, kontrolliert, dass die Dinge auch eingehalten werden, zu denen man sich verpflichtet hat, und auch Mittel bereitstellt, um professionell zu arbeiten. Der Beauftragte mit seinem kleinen Stab, die ehrenamtlichen Kommissionen in 27 Bistümern, die 400 Ordensgemeinschaften, die sind ohne Mittel überfordert.

Der Kölner Kardinal Woelki hält die Studie über sein Erzbistum zurück, angeblich wegen methodischer Mängel. Nun will er am 18. März eine neue, angeblich bessere Studie vorlegen. Glauben Sie ihm noch ein Wort?

Ich glaube, er ist Teil eines Systems, das dort in Köln entstanden ist in den vergangenen Jahrzehnten. Und diesem System und seinen Repräsentanten muss die Aufarbeitung aus der Hand genommen werden. Da müssen unabhängige Aufklärer ran, mit politischer Unterstützung. Woelki selbst ist zur Belastung geworden für den Willen zur Aufarbeitung in der katholischen Kirche.

Fast alle katholischen Laien und selbst viele Bischöfe wünschen sich offenbar, dass ­Woelki zurücktritt. Haben Sie da Hoffnung?

Er wäre nur ein Repräsentant eines Systems. Sein Rücktritt wäre ein wichtiges Signal, aber es würde nicht wirklich das System grundlegend verändern.

Dies ist ein Text aus der taz am Wochenende. Jeden Samstag am Kiosk, im eKiosk, im Wochenendabo und bei Facebook und Twitter.

Immer wieder hört man in letzter Zeit auch von ernst zu nehmenden Fachleuten die Analyse: So hat die Kirche keine Zukunft, in 20 Jahren wird sie sich völlig verändert haben – oder sie wird in Deutschland nicht mehr sein. Finden Sie das schlüssig?

Ich glaube, ohne ein Update für die Neuzeit, das die menschenrechtliche Entwicklung, die Demokratisierung der letzten 200 Jahre aufholt, hat die Kirche als Institution keine Chance.

Manche Bischöfe meinen, die Kirchen hierzulande gingen in der Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt de facto voran – andere gesellschaftliche Bereiche lägen noch weit zurück. Ist das eine Schutzbehauptung? Wo sehen Sie den größten Aufklärungsbedarf in Sachen sexualisierte Gewalt?

Die Kirchen bieten viel Angriffsfläche auch für Aufarbeitungsprojekte. Soziale Bewegungen wie das pädosexuelle Netzwerk der 70er Jahre in Berlin und in Deutschland sind viel schwerer aufzuklären und aufzuarbeiten. Sexuelle Gewalt in der Familie bleibt die große Herausforderung. Wir dürfen uns nie damit abfinden, dass Kinder und Jugendliche auch heute noch sexueller Gewalt ausgesetzt sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.