Bewegung und Revolution: Tanz die Arbeiterklasse

Ausgehend von der Arbeit des kommunistischen Tanz-Pioniers Jean Weidt erkundet der serbische Choreograf Saša Asentić in Hamburg Zusammenhänge von Kunst und Revolution.

Tanz durch europäische Schwellenmomente: "Revolution won't be performed". Bild: Frank Egel

Dass seine Kunst kein Spiegel ist, den man der Gesellschaft vorhält, davon war er überzeugt. Nein, für Hans Weidt war sie immer ein Hammer, um die Gesellschaft damit zu gestalten. Geboren 1904 in Barmbek, verließ der Arbeitersohn mit 16 Jahren das Haus, um sich seiner Passion zu widmen: dem Tanz.

1923 beteiligte sich Weidt am Hamburger Aufstand und wollte fortan die Themen der Arbeiterklasse tanzen. Den Arbeiter suchte er nicht darzustellen, „wie er sich müht und schuftet“, sondern „wie er sein Leben schöner aufbaut“, so schreibt es Weidt in seinen Memoiren. „Tanz mit der roten Fahne“, hieß eines seiner ersten Stücke.

Auch in Berlin feierte er Erfolge mit seiner Compagnie Die Roten Tänzer und wurde ein zentraler Protagonist des politischen Theaters der Weimarer Republik. Ab 1931 Mitglied der KPD, wurde Weidt unmittelbar nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ verhaftet und seine Compagnie zerschlagen.

1933 emigierte Weidt nach Paris, aus Hans wurde Jean. Fünf Jahre später galt er mit seiner neuen Truppe Le Ballets 38 als „unangefochtene Nummer 1“ der französischen Tanzszene. Nach dem Krieg kehrte er nach Berlin zurück und wurde mit seiner Arbeit einer der zentralen Referenzpunkte für den Tanz in der DDR. Nach seinem Tod 1988 geriet Jean Weidt nahezu in Vergessenheit. Von seinen Arbeiten blieben nur ein paar Fotos und ein zehnminütiger Dokumentarfilm.

Seit ein paar Jahren stößt der „rote Tänzer“ aber wieder auf wachsendes Interesse. 2005 rekonstruierten die französischen Weidt-SchülerInnen Françoise und Dominique Dupuy im Rahmen des Hamburger Laokoon-Festivals erstmals wieder eine seiner Choreografien. Und gerade erst, im August, setzte sich das Projekt „Physical Encounters“ der Choreografin Britta Wirthmüller mit der Wiederaneignung von Weidts eigentümlichem Tanzstil auseinander. Ausdrücklich lösen wollte Wirthmüller dabei die „Verkörperung von der belehrenden Handlung“.

Auch für den serbischen Choreografen und Tänzer Saša Asentić stand die Beschäftigung mit Weidt am Beginn seines aktuellen Projektes, das jetzt in Hamburg uraufgeführt wird: „Interessant war für mich, dass Jean Weidt als Erster die Körper von Arbeitern auf der Bühne des modernen Tanzes eingeführt hat“, sagt Asentić. „Dass er Tanz als Medium im revolutionären Kampf verstand.“

Anders als Wirthmüller geht es Asentić aber nicht um eine Rekonstruktion der Weidt’schen Tanzsprache, sondern um eine Aktualisierung der seinerzeit gestellten Fragen. „Die Performance setzt sich mit der Beziehung von Kunst und Revolution auseinander“, erklärt Asentić: „Wie hat Kunst an liminalen revolutionären Momenten in Europa teilgehabt und wie hat sie sich darauf bezogen?“

Geschichte ereigne sich zweimal, einmal als große Tragödie, einmal als lumpige Farce, variiert er einen Marx’schen Gedanken. „Wir versuchen uns mit der Frage auseinanderzusetzen, dass wir im Theater heute keine Revolution mehr machen können. Deshalb trägt die Performance den Titel ’Revolution won’t be performed‘“, sagt Asentić. „Es ist schwer, sich radikale Akte vorzustellen, die die Beziehungen in dem kleinen Feld, in dem wir arbeiten, aber auch im breiteren gesellschaftlichen Kontext neu verteilen können.“

Auf die Bühne bringen Asentić und seine Mitstreiter – die Dramaturgin und Theoretikerin Ana Vujanović sowie Tänzern, Videokünstler und Aktivisten – einen Hybriden aus Theater, Choreografie und sozialem Experiment. In vier ironischen Szenen bereisen die Performer europäische Revolutionen der letzten 100 Jahre, untersuchen die Rolle von Tanz und Performance-Künsten in diesen Schwellenmomenten: Oktoberrevolution, der Spanischer Bürgerkrieg, das Geschehen um 1968 und schließlich die jüngsten globalisierungskritischen Proteste.

„Es geht um Tanz und Choreografie“, führt Asentić aus. Verwendung fänden aber auch „eine Reihe anderer Formate, die mit unterschiedlichen Formaten von Protest in Beziehung stehen“. In den Blick gerieten so die Frage nach dem Publikum, die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und sozialer Bewegung – und nach Orten, an denen die Kunst dieses Verhältnis befragen könne. „Deshalb verstehen wir diese Performance als künstlerisch-kulturelles Programm der Bewegung ’European People’s Movement – Solidarity for Greece‘“, sagt Asentić. Eine Bewegung, die bislang allerdings noch gar nicht existiere – anders als es die eigens eingerichtete Website zum Projekt suggeriert. „Aber wir sollten uns fragen, warum sie nicht existiert und was wir tun müssen, um sich ihr anzuschließen.“

Zur Agora solle das Theater werden, zum Ort, an dem „die Bürger von Hamburg in der Öffentlichkeit ihre sozialen Positionen überdenken können“. Und da entpuppt sich Asentić selbst als roter Tänzer: „Verstünden wir, dass wir alle ausgebeutet sind“, sagt er, „wären wir eine Klasse, die etwas tun kann und nicht unterteilt ist in so viele Kämpfe, die nur die Aufmerksamkeit von dem ablenken, was am Grund all unser Probleme liegt: der Klassenkampf.“

"Revolution won't be performed": Mi, 27. 11., Do, 28. 11. und Fr, 29. 11., je 20 Uhr, Hamburg, Kampnagel

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