Bewerbung für Kulturhauptstadt: Groß denken an der Oder

Frankfurt (Oder) und das polnische Słubice wollen 2029 als Doppelstadt Europäische Kulturhauptstadt werden. Wie realistisch ist das?

Blick auf Słubice. Brennen die Polen für die Bewerbung? Foto: Uwe Rada

Es war eine Begegnung mit einem überraschenden Ende. Fünfzehn Jahre nachdem sich Joschka Fischer und sein damaliger Kollege Włodzimierz Cimoszewicz am Tag des polnischen EU-Beitritts die Hand reichten, besuchte wieder ein deutscher Außenminister die Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und dem polnischen Słubice. Begleitet von Oberbürgermeister René Wilke, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Julia von Blumenthal, traf Heiko Maas am 5. August den Bürgermeister der Frankfurter Schwesterstadt, Mariusz Olejniczak. Dabei ließen beide Stadtoberhäupter die Katze aus dem Sack. Frankfurt und Słubice wollen sich als Doppelstadt 2029 um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt bewerben.

„Wir bereiten unsere Bewerbung jetzt konzeptionell vor, in drei Jahren wollen wir sie offiziell einreichen“, sagte Olejniczak bei einer Pressekonferenz vor dem Collegium Polonicum in Słubice. Frankfurts OB Wilke betonte: „Unsere Doppelstadt steht für die europäische Idee wie kaum eine andere. Sie wäre ein guter Standort für eine Europäische Kulturhauptstadt.“ Auch auf einer taz-Veranstaltung zum „Zukunftsort Frankfurt (Oder)“ warb Wilke für beide Städte. „Sowohl Frankfurt als auch Słubice sind Leuchttürme an der deutsch-polnischen Grenze.“

Leuchttürme sind beide Städte tatsächlich, vor allem symbolisch. Auf der Oderbrücke sind polnische Studierende unterwegs, die an der Viadrina studieren, und deutsche Kommilitonen, die in Słubice wohnen. Regelmäßig kommen beide Stadtparlamente zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, ein deutsch-polnisches Kooperationszentrum sorgt dafür, dass die Verwaltungen in ständigem Austausch stehen, städtebaulich soll eine grenzüberschreitende Innenstadt entstehen. Selbst eine gemeinsame Imagekampagne gibt es, sie steht unter dem Motto „bez granic – ohne Grenzen“.

Für Tomasz Pilarski ist die Bewerbung vor allem eine Chance. „Wir haben dadurch die Möglichkeit, noch intensiver über die Doppelstadt nachzudenken.“ Pilarski war sechzehn Jahre lang Leiter des Kulturzentrums „Smok“ in Słubice, seit Mai ist er Leiter des Stadtmarketing in Frankfurt. Für den 43-Jährigen, der an der Viadrina studiert hat, steht fest: „Breslau war 2016 Kulturhauptstadt mit einer europäischen Vergangenheit. Wir stehen als Doppelstadt für europäische Gegenwart und Zukunft.“

In Frankfurt (Oder) hat vor allem das Kleist-Museum eine überregionale Bedeutung. Das Museum Junge Kunst ist als Brandenburgisches Landesmuseum nun unter einem Dach mit dem Dieselkraftwerk in Cottbus. Spannend ist auch das Museum Viadrina als Stadtmuseum. Darüber hinaus hat Frankfurt das Brandenburgische Staatsorchester. Mit dem Neubau des Kleistforums bekam die Stadt eine neue Spielstätte, aber ein Theaterensemble gibt es nicht. Als kulturellen Ort von unten hat Michael Kurzwelly den "Brückenplatz" ins Leben gerufen, wo sich Menschen verschiedener Herkunft treffen. Auch von der Europa-Universität Viadrina gehen zahlreiche kulturelle Initiativen aus.

In Słubice ist das Słubicki Miejski Ośrodek Kultury (Smok) das einzige städtische Kulturzentrum. Das Collegium Polonicum ist eine gemeinsame Einrichtung der Viadrina und der Uni Posen. (wera)

Pilarski war es auch, der die Idee mit der Bewerbung zusammen mit dem Leiter des Kooperationszentrums, Sören Bollmann, auf den Weg gebracht hat. Ein Motto für die Kulturhauptstadt an der Oder gibt es zwar noch nicht, wohl aber visionäre Überlegungen. „Warum bauen wir nicht eine gemeinsame Philharmonie an den Fluss“, fragt Pilarski. Im Herbst fährt er mit Kollegen aus beiden Städten in die finnisch-schwedische Grenzstadt Tornio-Haparanda. „Es wäre doch toll, wenn 2029 gleich zwei Doppelstädte in Europa Kulturhauptstadt würden.“

Die letzte deutsche Kulturhauptstadt war 2010 Essen. Für die Kulturhauptstadt 2025, die laut Verteilungsschlüssel der Europäischen Union nach Deutschland geht, laufen sich gerade die Bewerberstädte warm, darunter ostdeutsche Städte wie Dresden, Chemnitz, Magdeburg und Zittau. 2029 hat dann Polen wieder das Vorschlagsrecht, eine Bewerbung der Doppelstadt müsste formal von Słubice eingereicht werden. Außerdem müsste sich die 17.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Stadt, vor dem Krieg die Dammvorstadt von Frankfurt (Oder), gegen die innerpolnische Konkurrenz behaupten. 2016 hatte sich Breslau unter anderem gegen Stettin, Posen und Kattowitz durchgesetzt.

Die Hürden sind also hoch, doch für Julia von Blumenthal steht am Ende nicht Erfolg oder Misserfolg, sondern das, was die Bewerbung an Aktivitäten freisetzen kann. „Das kann einen Prozess befördern, der der Doppelstadt guttut“, sagt die 49-jährige Viadrina-Chefin. Zwar seien Frankfurt und Słubice keine touristischen Hotspots. „Aber es gibt hier diese besondere immaterielle Kultur, das grenzüberschreitende Zusammenleben, wo sich alles überlappt.“

Vor allem die studentischen kulturellen Initiativen haben es von Blumenthal angetan. „Wir haben das Unithea-Theaterfestival oder das Festival Art an der Grenze“, sagt sie der taz. „Das sind bewährte Formate, im Vergleich zu seiner Größe hat Frankfurt viel Kultur.“

Aber ob das reicht? Zusammen mit Słubice bringt es die Doppelstadt gerade einmal auf 75.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Görlitz und Zgorzelec, die deutsch-polnische Doppelstadt an der Neiße, die sich für den Titel der Kulturhauptstadt 2010 beworben hatte, kam insgesamt auf knapp 90.000 Einwohner. Dennoch machte Essen das Rennen. Am Ende geht es nicht um immaterielle Kultur, sondern um die Zahl der Hotelbetten.

Und dann ist da noch die Frage nach der politischen Unterstützung. Immer wieder hat die nationalkonservative Regierung in Warschau das ehemalige Woodstock-Festival in Kostrzyn, das nun Pol’and’Rock heißt, zu behindern versucht. Zwar betont Marketing-Chef Pilarski, dass bis 2029 noch einige Wahlen anstehen, doch eine Euphorie in Słubice hat die Bewerbung bislang nicht ausgelöst. Auf dem Online-Portal slubice24.pl überwiegt der Spott: „Da muss die Sommersonne jemandem ganz schön eingeheizt haben“, schreibt ein User. „Demnächst bewerben wir uns noch für die Olympischen Winterspiele.“

Kritische Stimmen gibt es auch in Frankfurt. Eine von ihnen kommt von Michael Kurzwelly. Der Aktionskünstler ist, auch wenn er das so nicht sagen würde, der heimliche Namenspatron der Kulturhauptstadtbewerbung. Schon in den neunziger Jahren gründete er den Verein „Słubfurt“. Die Collage aus beiden Städtenamen war Programm. Kurzwelly wollte die Stadt nicht als Grenzstadt sehen, sondern als eine Stadt mit zwei Stadtteilen, Słub und Furt eben. Für sein unermüdliches Engagement zwischen den Welten hat der 56-Jährige gerade den Bundesverdienstorden bekommen.

Nun, da sich Słubfurt anschickt, größere Brötchen backen zu wollen, erinnert Kurzwelly an die kleinen. Zum Beispiel an das grenzüberschreitende Festival für neue Kunst „Labyrint“, dessen Kurator er auf deutscher Seite ist. „Die Zuschüsse durch die Stadt werden immer weniger“, klagt Kurzwelly. Ähnliche Probleme hätte auch das Musikfestival „transvocale“. „Beide Städte müssen sich auch zur freien Szene bekennen“, fordert Kurzwelly. „Wenn du die Energie von unten nicht hast, kannst du das vergessen.“

Dennoch lehnt der Erfinder von Słubfurt die Bewerbung für die Kulturhauptstadt 2029 nicht ab. „Der Impuls ist gut“, sagt er, „auch deshalb, weil sich beide Verwaltungen nun Gedanken darüber machen müssen, was sie mit der Kultur wollen.“ Denn auch Kurzwelly weiß: Ist die Bewerbung erst mal auf den Weg gebracht, werden sowohl Frankfurt als auch Słubice unter verstärkter Beobachtung stehen. Kürzungen im Kultur­etat oder Schließungen wie etwa des Modernen Theaters Oderland in diesem Sommer würden dann für unliebsame Schlagzeilen sorgen.

Aber am liebsten würde Kurzwelly noch weitergehen. „Warum bewirbt sich nicht die ganze Grenzregion um den Titel“, fragte er. Vor allem in Polen wären mit Grünberg/Zielona Góra und Landsberg an der Warthe/Gorzów Wielkopolski Städte mit ihm Rennen, die mehr an kultureller Infrastruktur zu bieten hätten als Słubice. Dort gibt es bislang nur das „Smok“. Dessen neuer Leiter Tomasz Stefański immerhin hat sich für die Bewerbung ausgesprochen. Die sei eine hervorragende Möglichkeit, die Doppelstadt zu bewerben und Touristen an die Oder zu holen. „Wichtig ist, dass wir uns ambitionierte Ziele setzen, von denen wichtige Impulse für die Entwicklung unserer Region ausgehen“, betont Stefański.

Noch aber steht die Bewerbung nur auf dem Papier. Erst im November sollen beide Stadtparlamente auf einer gemeinsamen Sitzung darüber entscheiden. Bis dahin wird sich auch zeigen, wie groß die Unterstützung der Słubicer für das Vorhaben ist. Bürgermeister Olejniczak könnte sie befeuern, in dem er offensiv für die Bewerbung wirbt. Er könnte aber auch mangelnde Begeisterung als Grund dafür anführen, sich von dem Vorhaben wieder abzuwenden.

In Frankfurt freilich steht der Wille, den Hut in den Ring zu werfen. Auch Ministerpräsident Woidke sagte beiden Städten Unterstützung zu. Als Polenbeauftragter der Bundesregierung weiß er aber auch, dass Warschau ganz genau schauen wird, ob es sich um eine Słubicer Bewerbung handelt, die von Frankfurt unterstützt wird, oder um eine Frankfurter Bewerbung, für die Słubice nur die Federführung übernimmt.

„Ich mag es, groß zu denken“, sagt dazu die Sprecherin des grünen Kreisverbands, Alena Karaschinski, „aber man muss auch dafür brennen.“

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