Bike-Highway an der S1: Freie Fahrt für freie Radler

Mit Pedalkraft ungehindert Strecke machen, mitten in Berlin? Diese Vision könnte entlang der S1 bald Realität werden. Selbst die CDU fährt frohgemut voran.

So stellt sich die CDU die Fahrradbahn vor – in autobahnblau natürlich. Foto: Staubach+Kuckertz Architekten

In Kopenhagen und anderen Rad-Metropolen gibt es sie schon: Schnellwege, auf denen man mit Pedalkraft weite Strecken kreuzungs- und autofrei zurücklegen kann. Bald könnte auch Berlin in diese Liga aufrücken: Entlang der S-Bahn-Linie 1 ab Potsdamer Platz Richtung Süden soll ein Rad-Highway her, fordern überraschend einstimmig CDU und Grüne.

Mittwochnachmittag auf dem S-Bahnhof Zehlendorf: Die CDUler Thomas Heilmann und Karl-Georg Wellmann sind bislang eher nicht als Verkehrspolitiker aufgefallen – der eine ist Justizsenator, der andere Außen-Experte im Bundestag. Jetzt aber sind sie als führende Politiker der Zehlendorfer CDU da und deuten auf die seit langem unbenutzten Gleise auf der Südseite der Verkehrsanlage. Es handelt sich um die alte Stammbahnstrecke, die Berlin direkt mit Potsdam verband. Auf dieser Trasse schwebt den Christdemokraten bis 2020 eine Express-Fahrradverbindung vor, gut 12 Kilometer zwischen Zehlendorf und Potsdamer Platz.

Zwar würde Heilmann auch gerne die Stammbahn reaktivieren, etwa um das boomende Kleinmachnow jenseits der Landesgrenze per S- oder Regionalbahn anzuschließen. Aber das ist bestenfalls ein Szenario für 2030 oder 2040. „Es bringt nichts, die Strecke ungenutzt zu lassen, weil da vielleicht in 20 Jahren die Stammbahn fährt“, sagt auch Karl-Georg Wellmann.

Aufmerksamen S-Bahnfahrern dürften die unbenutzten Flächen auch im weiteren Verlauf der S1 Richtung Yorckstraße auffallen: Teilweise stark überwuchert verläuft hier ein dritter, seit vielen Jahrzehnten ungenutzter Schienenstrang neben der S-Bahn, über den nur in den 90er Jahren noch einmal Züge Baustoffe zur Großbaustelle Potsdamer Platz transportierten. Hier könnten die Schnellradler unterwegs sein. Nördlich würde die Strecke in den Gleisdreieckpark münden, bis Lichterfelde wäre die Trasse nur einmal von einer fehlenden Brückenverbindung unterbrochen. Vom Bahnhof Lichterfelder West wiederum fahren derzeit noch einige Güterzüge nach Süden. Hier würde eine Lösung etwas komplexer ausfallen.

Den Asphalt weitergedacht

Das Copyright auf die Fahrrad-Schnellstrecke hat eigentlich nicht die CDU, sondern Tim Lehmann. Der Architekt und Stadtplaner arbeitet beim Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (innoZ) auf dem Euref-Campus zwischen S1 und dem Schöneberger Gasometer. Als im vergangenen Jahr eine neue Baustelle auf dem Gelände eröffnet wurde, regte er die Errichtung einer temporären Versorgungsstraße auf dem ungenutzten Gleis an. Der 300 Meter lange Asphaltstreifen diente der Entlastung des Zufahrtswegs über die Torgauer Straße, brachte den passionierten Radfahrer Lehmann aber dazu, größer zu denken: Er entwarf die Idee der schnurgeraden Bikestrecke.

Er und Kollegen vom innoZ schlossen sich mit allen potenziellen Beteiligten kurz, von der DB Netz als Eigentümerin der Trasse über den Bezirk bis zur Abteilung Verkehr in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Bahn zögerte am längsten, bis sie Verhandlungsbereitschaft signalisierte, aber am Ende war das Echo überall positiv. „Es ist letztlich ein Konsensthema“, glaubt Lehmann – eines, bei dem alle Verkehrsteilnehmer gewinnen und auch die Bahn profitiert, weil sie die Trasse für eine potenzielle Nutzung konserviert. „Wenn gewährleistet ist, dass die Fahrradstrecke rückgebaut werden kann, spricht nichts gegen eine solche Zwischennutzung“, sagte ein Bahnsprecher der taz.

Im SPD-regierten Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat sich der Verkehrsausschuss des Bezirksparlaments jüngst geschlossen hinter die Schnellstrecken-Idee gestellt. Dass sich die Christdemokraten an die Spitze der Bewegung setzen, war nicht unbedingt zu erwarten: Bei einer zentralen Verkehrsdebatte im Abgeordnetenhaus Ende Mai war das Fahrrad für den verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici, kein drängendes Thema, sondern nur eine von mehreren zu fördernden Alternativen. Auch Ideengeber Lehmann ist überrascht – positiv: „Ich finde es super, dass sich die CDU als Radfahrerpartei positioniert.“

Kleinere konzeptionelle Unterschiede gibt es: Bei der CDU liegt der Fokus auf zügigem, insbesondere elektrisch unterstütztem Radfahren. Ladestellen am Fahrbahnrand sollen dem zugute kommen. Lehmann stellt sich dagegen zumindest im nördlichen Abschnitt, der deutlich mehr Anschlussstellen hätte, einen Mehrzweckweg auch für Skater und Fußgänger vor. Die Grünen im Abgeordnetenhaus, die das Thema bei der jüngsten Fraktionsklausur besprachen, wollen sich noch nicht festlegen. „Das wird man sehen, es ist ja auch alles eine Frage der Breite“, sagt ihr verkehrspolitischer Sprecher Stefan Gelbhaar.

Und wer zahlt?

Eine zentrale Frage ist noch völlig offen: Wer zahlt? Landesmittel will die CDU nach Möglichkeit nicht in das Projekt stecken. Finanziert werden soll der Highway stattdessen aus der Vermietung von Werbeflächen. Im Jahr 2018 ist der sogenannte Stadtwerbevertrag neu auszuhandeln – wer ihn bekommt, soll dann auch die Strecke sowie die Zufahrtsrampen bauen und für die Beleuchtung sorgen. Heilmann rechnet dafür mit einem höheren zweistelligen Millionenbetrag, wobei viel von der Miete abhängen wird, die DB Netz verlangt. Dass das Land selbst investiert, will auch der Senator nicht kategorisch ausschließen – etwa Gelder aus dem neuen Investitionstopf „Siwa“ für die „wachsende Stadt“. „Und es gibt ja auch noch Fördermittel der EU“, meint Parteifreund Wellmann.

Der „nächste logische Schritt“ ist für Tim Lehmann jetzt die Gründung eine Projektgruppe, in der sich alle Beteiligten offiziell zusammensetzen. Wenn das passiert, und wenn am Ende tatsächlich glückliche Radfahrer über ihren Highway flitzen, dann, findet Lehmann, „wäre Berlin in Sachen Mobilität endlich mal wieder Weltklasse“.

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