Bildungskrise in den USA: Heuschrecke sucht profitable Schule

Hedgefonds haben die Schulen entdeckt. Über sogenannte Charter Schools wollen sie auf dem US-Bildungsmarkt mitmischen.

Gefangen in der öffentlichen Schule – da kann nur der Privatsektor helfen? Bild: dapd

US-amerikanische Fondsmanager haben ein neues Profitfeld entdeckt: Schulen, genauer „Charter Schools“. Das sind Vertragsschulen, die im öffentlichen Auftrag von privaten Betreibern organisiert werden. „Wenn du bei einem Hedgefonds bist, sind Schulen definitiv eine heiße Sache“, sagt Joe Williams von den „Democrats for Education Reform“.

Die Lobbygruppe hat nichts mit den Demokraten gemein. Sie wird von drei milliardenschweren Fonds finanziert. Ihr Motto heißt, dass im öffentlichen Schulsystem „Millionen Kinder – vor allem aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen und Farbige – in kontinuierlich scheiternden Schulen gefangen sind“. Das öffentliche Schulsystem der USA halten sie für „zutiefst dysfunktional“.

Der Satz von den eingesperrten Kindern ist das Mantra vor allem konservativer Politiker, die meisten US-Amerikaner halten das Schulsystem sowieso für moribund. Bereits Studien der Reagan-Regierung identifizierten die Schuldigen des Niedergangs: faule, überbezahlte Lehrer, der bremsende Charakter einer Einheitsschule sowie liberale Lehrinhalte, die Kindern die charakterbildende Möglichkeit des Wettbewerbs sowie Engagement und Führungskraft verbauen.

... sind Schulen, die der Staat auf Grundlage eines Vertrags von Dritten betreiben lässt. Seien es lokale Initiativen, Kirchen oder eben Unternehemen. Sogenannte Charter Schools sind spektakuläre Erfolge gelungen, etwa die „Harlem Children Zone“, die chancenlosen New Yorker Kindern Chancen gegeben hat. Der Grund, der Alternativen auf den Paln holt, sind „failing schools“: Schulen, die dauerhaft scheitern. Auch England diskutiert über Vertragsschulen. Ein Berater des Premiers David Cameron schlug den Einsatz privater Unternehmen vor, die scheiternde Schulen auf Basis von „Bezahlung für Ergebnis“ betreiben sollen.

Wer in den letzten Jahren eine öffentliche Schule in den USA betreten hat, gleichgültig, ob in New York City, Chicago oder dem ländlichen Wisconsin, dem springt die Krise ins Auge: Geografische Kenntnisse entsprechen oft dem Berichterstatter-Radius von Fox News, nicht wenige Lehrer meinen, dass am US-amerikanischen Wesen die Welt genesen müsse; von Schülern kommt irgendwann die schüchtern vorgetragene Frage, wo denn Hitler nun gerade lebe. Zudem sind religiöse Überzeugungen eine starke Konkurrenz für das, was in Textbüchern manchmal als höchstens „wissenschaftlich bewiesen“ deklariert wird.

Der Boston Globe entdeckte vor zwei Jahren eine interessante Korrelation: Im Vergleich der Industrienationen liegen die Ausgaben für staatliche Schulen in den USA eher im mittleren Bereich, während gleichzeitig viel privates Geld Nachhilfe und Vorbereitung für die aufwändigen Tests einkaufen muss. Lehrer verdienen kaum ein Drittel der Einkommen ihrer deutschen Kollegen.

Die Bildungshistorikerin und ehemalige Spitzenbeamtin der Bush-Administration, Diane Ravitch, merkt an, dass Schulen nur so gut wie ihr soziales Umfeld seien. In einem Buch über standardisierte Tests stellte sie 2010 fest, dass soziale Verelendung, mit dem Herausbilden von ethnischen Monokulturen in diesen Nachbarschaften mit miesen Testergebnissen einhergehen. In den USA gelten über 21 Prozent der Kinder als arm. In wohlhabenden Wohnvierteln waren die Testergebnisse der Schulen deutlich besser.

Mehr Privatschulen

Zwischen den Bildungsreformen der US-amerikanischen Vorzeigepädagogen Horace Mann und John Dewey verfestigte sich eine Philosophie, die das Schulsystem der USA als entscheidenden Mechanismus für eine gemeinsame Kultur der auf Einwanderung basierten Gesellschaft begriff: Junge Menschen sollten zu selbstständigen und kritischen Bürgern in einer demokratischen Gemeinschaft herangezogen werden. Das Ideal galt etwa bis zu Ronald Reagans Amtsantritt 1981. Seitdem wächst der Anteil der privaten Schulen. Seit 1988 gibt es Vertragsschulen, die formell keine Privatschulen sind.

Die tiefgreifendste Veränderung verantwortete Präsident George W. Bush. Er schrieb in seiner Schulreform vom 8. Januar 2002 eine Fixierung auf Testergebnisse fest, geprüft wird seitdem ab der 3. Klasse.

Die Basis lieferte ein Dokument mit dem Titel Reinventing Education: Entrepreneurship in America’s Public Schools. Nach Ansicht des Autors, Lou Gerster, sind die Schulen Marktplatz, Schüler das Humankapital, Lehrer die Verkäufer. Gerster war zu dem Zeitpunkt Vorsitzender von IBM.

Aus diesen Ideen Vorschlägen wuchs das Gesetz, dass die Sprache der Business-Community spricht und eine eindeutige Rechnung offenbart: Es gibt Input, also Dollar für die Schule, dem Output, also das Testergebnis, gegengerechnet wird. Der konservative Kanon lautet seitdem: Schlechte Testergebnisse sind Zeugen schlechter Lehrer. Und je schlechter die Tests ausfallen, desto geringer werden Lohn und Zuschüsse – eine zutiefst US-amerikanische Logik.

Außerdem ist bis heute auch ein zweites Hätschelkind der Konservativen fest verankert: Die Testergebnisse, bei denen es fast ausschließlich um Lesen und Mathematik geht, sollten mit einer spezifischen Lehrmethode aufgewertet werden – Phonics. Dabei handelt es sich um eine strikte, textbuchbasierte Lautwiederholungsmethode mit speziell hergestellten Lehrmaterialien.

Gerald Coles, Autor einer Studie über Analphabetismus, kommentierte trocken: „Phonics ist eine Art über Analphabetismus nachzudenken, ohne die großen sozialen Ungleichheiten mit einzubeziehen. Demnach kann Analphabetismus schlicht mit neuen Textbüchern geheilt werden.“

Lukrative Tests

Die Lernqualität wurde eher nicht verbessern, sehr viel mehr allerdings die Profite von Unternehmen, die Teststandards erarbeiteten, Vorbereitungen und Hilfsliteratur anbieten sowie Testbögen zur Verfügung stellen und auswerten. Dies wird privatwirtschaftlich organisiert, Entrepreneurship in America’s Public Schools: Mit der Bush’schen Reform verwuchsen die öffentlichen Schulen weiter mit einem Komplementärsystem der Aktiengesellschaften. Bei der Einführung des Gesetzes prognostizierten Analysten dem Testmarkt einen Jahresumsatz zwischen 2,7 und 7 Milliarden Dollar.

Stephen Metcalf wies bereits 2002 in der Wochenzeitung The Nation nach, dass selten ein Bildungsgesetz so eindeutig im Sinne einer wirtschaftlichen Lobby geschrieben wurde. Und so sieht es aus: Pearsons North America verzeichnet im Halbjahresbericht 2012 einen Umsatzzuwachs um 7 Prozent auf 4,005 Milliarden Dollar. Nach Steuern nahm der Konzern im vergangenen Jahr 1,185 Millionen Dollar ein, das Halbjahreswachstum 2012 kletterte um 35 Prozent. Pearsons North America etwa ist der größte Schulbuchverlag der Welt und Vertragspartner für die wichtigsten Tests zur Universitätszulassung SAT und GRE sowie für Schultests und Lehrerevaluation.

Besonders steil wachsen die Zahlen der internetbasierten Unternehmen: Der Markt rund um die 12 Klassen wird zwischen 2010 und 2015 um 43 Prozent zunehmen, das Marktvolumen auf 24,4 Milliarden Dollar. Am Grundsatz der Testfixierung und des Konkurrenzgedankens der Systeme haben auch die zaghaften Reformen von Präsident Barack Obama nichts geändert: Noch immer sind die Tests ein Sanctum der Schulpolitik.

Eine abstruse Begleiterscheinung sind Lehrer, die Ergebnisse ihrer Schüler manipulieren, besonders schlechten Schülern wird auch schon mal angedeutet, am Testtag nicht zu erscheinen: Einkommen und Schulzuschüsse hängen vom Output ab. Für ehrgeizige Schüler gilt: Wer bestehen, zugelassen werden oder glänzen will, muss Geld auf den Tisch legen.

Aus der Konkurrenz erwächst den öffentlichen Schulen ein erheblicher Nachteil: Staatliche Zuschüsse sind an die Schülerzahl gebunden, und die wandern in die Vertragsschulen ab. Von der New Yorker Stadtregierung erhalten die Charter zwischen 13.653 und 16.660 Dollar öffentliche Gelder pro Jahr und Schüler, 649 Dollar mehr als ein Schüler einer öffentlichen Schule. Während sie die festgesetzten Summen verbuchen, sparen Vertragsschulen beim Bau und Unterhalt der Gebäude oder Lehrerlöhnen. Insider behaupten, Investoren könnten ihr Geld in wenigen Jahren doppelt zurückbekommen.

Und so treffen sich in New York längst Fondsmanager auf Schulgründungsfesten, tragen Namenssticker am Revers, die ihre Firmenzugehörigkeit verschweigen und prosten sich zu. Sie wissen: Bildung ist eine Investition in die Zukunft.

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