Bildungsökonomin über Betreuungsgeld: „Eltern ziehen Kitaplatz vor“

Ab Donnerstag kann die Herdprämie ausgezahlt werden. Aber die will plötzlich niemand haben. Familien brauchen sie nicht, glaubt Katharina Spieß.

Wenn Mutti nicht früh zur Arbeit geht ... dann hat sie Arbeit zu Hause. Bild: Reuters

taz: Frau Spieß, es gab jahrelang Debatten um das Betreuungsgeld. Jetzt ist es da und fast keiner will es haben. Ist es ein Ladenhüter, wie die Grüne Katrin Göring-Eckardt sagt?

Katharina Spieß: Über die Gründe können wir als Wissenschaftler nur spekulieren, weil es noch keine Studien dazu gibt. Spekulativ lässt sich sagen, dass viele Eltern das Antragsverfahren möglicherweise noch nicht durchschaut haben. Eine andere These wäre, dass Familien es nicht brauchen.

In Bayern, wo bislang erst 500 Anträge eingegangen sind, soll die CSU, die auf das Betreuungsgeld gedrungen hat, Eltern vorausgefüllte Anträge nach Hause schicken.

Am 1. August tritt ja nicht nur das Betreuungsgeld in Kraft, sondern auch der Kitarechtsanspruch ab dem 2. Lebensjahr. Es könnte also sein, dass Eltern den Kitaplatz dem Betreuungsgeld vorziehen.

Haben sich Eltern da von der Debatte leiten lassen?

Sicher haben sich manche Familien davon beeinflussen lassen. Über genaue Gründe können wir jetzt aber noch nichts sagen.

46, ist Bildungs- und Familienökonomin beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

In Thüringen, wo man bereits Erfahrungen mit einem ähnlichen Modell, dem Erziehungsgeld, hat, liegt bislang kein einziger Antrag vor. Wird Familienpolitik an den Eltern vorbeigemacht?

Unabhängig von den geringen Antragszahlen verwirrt das Betreuungsgeld als familienpolitische Maßnahme mehr, als dass es eine klare Linie vorgibt. Jahrelang wurde gesagt, es muss einen Kitaausbau geben. Und entsprechend wurde investiert. Mit dem Betreuungsgeld wurde dann eine Geldleistung eingeführt, die eine Nicht-Kita-Nutzung subventioniert. Das nehmen viele Eltern als Zickzackkurs wahr.

Den Familienministerin Kristina Schröder als Wahlfreiheit und als erfolgreich verkauft.

Familienpolitik ist dann erfolgreich, wenn sie konsistent ist. Das sieht man in Skandinavien und in Frankreich.

Unterdessen geht hierzulande die Debatte um die „Herdprämie“ weiter. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wettert, das Betreuungsgeld halte Frauen vom Arbeitsmarkt fern. Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer, CSU, spricht von einer „Feindseligkeit gegen diese Familienleistung“. Alles nur Reflexe im Wahlkampf?

Im Wahlkampf kocht das Thema natürlich noch mal hoch. Den Eltern hilft das aber nicht. Sie durchschauen vielfach die Logik familienpolitischer Angebote nicht mehr. Selbst beim Betreuungsgeld wurde immer wieder nachgebessert. Erst war es eine Leistung für Eltern, die zu Hause bleiben. Jetzt können sie arbeiten und trotzdem das Geld beantragen. Sie können die Summe, so eine weitere Idee, aber auch für die Altersvorsorge verwenden oder fürs Bildungssparen. Diese ständigen Veränderungen verunsichern Mütter und Väter – und stärken sie nicht.

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