Binnenvertriebene in Kamerun: Kein Glück in Las Vegas
Besuch bei Kriegsvertriebenen in Kameruns größter Stadt Douala. Sie wissen genau: Ihre Probleme dürften durch die Wahlen nicht gelöst werden.
Das Viertel in Kameruns Hafenstadt Douala hat wenig mit der US-amerikanischen Glitzerstadt zu tun. Notdürftig zusammengezimmerte Holzbaracken säumen den aufgeweichten Wall, erreichbar nur über schmale Balken. Der rutschige Matsch reicht mindestens knöchelhoch. Mit einem Stock in der Hand testet Yvonne Kabuoi jede Stelle, bevor sie den nächsten Schritt macht. Sie will um jeden Preis vermeiden, in das bräunliche Gemisch aus Fluss- und Abwasser zu rutschen.
Warum das Viertel ausgerechnet „Las Vegas“ heißt, kann niemand beantworten. „Weil hier alle ihr Glück suchen“, wirft eine Bonbon-Verkäuferin im Vorbeigehen ein und lacht schallend über ihren eigenen Witz. Glück, aber vor allem Sicherheit, ergänzt Yvonne Kabuoi.
Sie alle sind vor dem Krieg in Kameruns englischsprachigen Provinzen Nordwest und Südwest nach Douala geflohen, Kameruns größte Stadt. 400 Menschen leben in dem informellen Viertel. Die meisten sind Witwen mit ihren Kindern. Ihre Männer haben sie in der „Krise“ verloren, erzählt Yvonne Kabuoi. Auch sie ist Witwe und kümmert sich alleine um ihre vier Kinder. „Es ist eine lange Geschichte“, sagt sie und winkt ab. Seit zwei Jahren ist sie in „Las Vegas“.
Hunderttausende mussten fliehen
Seit 2016 sind die Bewohner der anglophonen Regionen im Kreuzfeuer zwischen der Armee und separatistischen Gruppen gefangen, die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch spricht von 6.000 Toten, Hunderttausende mussten fliehen. Sämtlichen Akteuren werden schwere Verbrechen vorgeworfen, auch sexuelle Gewalt.
„Gerade erst hat eine junge Frau Zwillinge zur Welt gebracht“, erzählt Kerin Nkogdem Ngwa, Bewohnerin von „Las Vegas“. Die junge Frau war in der anglophonen Region vergewaltigt worden und floh nach Douala. „Wir sind gerade dabei, eine Vereinigung zu gründen, und wollen Frauen, denen sexuelle Gewalt wiederfahren ist, so besser unterstützen“, erzählt die siebenfache Mutter.
Die Wurzeln des separatistischen Kampfes reichen bis zur Unabhängigkeit im Jahr 1961 und der Gründung eines einzigen kamerunischen Staates im Jahr 1972 zurück. Damals wurden die ehemals britischen und französischen Gebiete vereint. So erklärt es sich, dass bis heute in den Provinzen Nordwest und Südwest auch heute noch Englisch gesprochen wird, während der Rest Kameruns Französisch spricht.
Die sprachliche Barriere und kulturelle Unterschiede, gepaart mit dem Gefühl, konsequent von der französischsprachigen Regierung in Yaoundé benachteiligt zu werden, waren Teil einer komplexen Gemengelage, die 2016 dazu führte, dass Proteste ausbrachen, die 2017 schließlich in einen bewaffneten Kampf mündeten.
Im Sumpfgebiet gelandet
Kerin Ngwa floh 2017 aus ihrer Heimatstadt Bamenda, als dort die ersten Schüsse fielen. Irgendwann hörte sie von unbewohntem Land am Fluss in Douala, ein Sumpfgebiet, und bat die Besitzer um Erlaubnis, sich hier niederzulassen. „So ist Las Vegas entstanden“, erzählt sie. Seither wird sie auch „Mutter der Vertriebenen“ genannt und ist eine Art Gemeindevorsteherin. Gibt es Konflikte, schlichtet sie, gibt es Neuigkeiten, ist es ihre Rolle, sicherzustellen, dass alle informiert sind. Sie haben sich selbst organisiert, schichten Wälle auf – und haben sogar Geld zusammengelegt, damit endlich eine Stromleitung in ihr Viertel gelegt wird.
Ein bisschen Unterstützung habe es durch die Menschenrechtsorganisation „Reach Out“ gegeben, berichten die versammelten Frauen. Die kamerunische NGO setzt sich für Frauen und Kinder in Konfliktgebieten ein und unterstützte auch die Witwen von „Las Vegas“.
Doch seit Dezember 2024 ist „Reach Out“ von der Regierung suspendiert und sämtliche Aktivitäten liegen brach. Vorgeworfen werden der NGO illegale Finanzflüsse und Terrorfinanzierung: Wer in den anglophonen Regionen tätig ist, gerät schnell unter Generalverdacht.
Kerin Ngwa und die Witwen von „Las Vegas“ müssen jetzt also selbst sehen, wie sie klarkommen. „Unser größtes Problem ist, dass wir zwar im Wasser leben, aber trotzdem kein Trinkwasser haben“, sagt sie und weist auf die versumpfte Fläche neben dem Weg. Zu sehen ist dort ein Holzverschlag – das Plumpsklo – das direkt in den Wassergraben führt. Mit dem verschmutzten Wasser sind Cholera und Malaria nicht loszuwerden.
Angst vor den Wahlen und was danach kommen könnte
Neben der Sorge um Schulgebühren, die Gesundheit ihrer Kinder oder der Frage, wie man das sumpfige Wasser aus den Holzhütten heraushält, gibt es jetzt ein weiteres Problem: Kameruns Präsidentschaftswahlen am 12. Oktober. „Die Erde wird beben“, prophezeit Kerin Ngwa und macht sich Sorgen, was wohl an dem Tag passieren wird. Douala ist als Oppositionshochburg bekannt. Die Sicherheitskräfte dürften hart durchgreifen, wenn es dazu Anlass gibt.
Aus „Las Vegas“ wird an dem Tag wohl niemand das Viertel verlassen. Auch nicht, um wählen zu gehen. „Das geht uns nichts an“, heißt es einhellig in der Frauenrunde. „Ob wir wählen oder nicht, die Frage ist doch eher: was werden wir essen?“
UPDATE: Am Tag nach der Wahl bestätigt eine der Bewohnerinnen, dass niemand Las Vegas verlassen hat, um wählen zu gehen. Dort zu wählen war keine Option: Las Vegas ist eine informelle Siedlung, wo die Leute nicht gemeldet sind, und eine Wahlkarte lässt sich nur da ausstellen, wo man registriert ist.
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