piwik no script img

Biographie eines kommunistischen PaaresZwei Leben in einer Partei

Mit einem Buchprojekt zum Leben von Martha und Harry Naujoks führt die Gruppe „Kinder des Widerstandes“ in die Welt des historischen Kommunismus.

Sind eigene Wege gegangen, auch wenn die Partei immer recht hatte: Martha und Henry Naujoks auf einer Wiese Foto: Verlag

Hamburg taz | Es ist einiges zusammengekommen. Schon an Gewicht: 2,7 Kilo wiegt der erste Band, fast drei Kilo der zweite: „Zwei Leben für die Befreiung“ ist das bisher größte Projekt der Hamburger Gruppe „Kinder des Widerstandes“, einer Art Selbstorientierungs-Organisation der Kinder und Kindeskinder derer, die während der NS-Jahre im politischen und da meist kommunistischen Widerstand waren; die das erfahrene Unrecht nach 1945 persönlich, auch körperlich sowie politisch bewältigen mussten und für die zugleich die bis heute anhaltende Phase der Aufarbeitung und auch Bewältigung der Nazi-Diktatur größtenteils zu spät kam.

Fünf Jahre hat eine fünfköpfige Autorengruppe an dem Doppel-Werk gearbeitet, Vorarbeiten nicht eingerechnet. Maßgebliche Stütze war die Mit- und Zuarbeit sowie Einordnung durch den Historiker Henning Fischer, der sich mit seinen Forschungen über die Lagergemeinschaften der Frauen im KZ Ravensbrück einen Namen gemacht hat. Noch mit dabei: Rainer Naujoks, leiblicher und ebenso nicht leiblicher Sohn von Martha und Harry Naujoks, auch das wird erklärt werden.

Denn im Zentrum stehen die Lebensläufe des Ehepaars Naujoks: Beide sind von früher Jugend an eng mit der kommunistischen Bewegung in Hamburg verbandelt. Der bewaffnete Hamburger Aufstand nimmt sie mit, sie tauchen ein in die immer verzweifeltere Gegenwehr gegen den Faschismus, woraufhin sich ihre Wege ab Januar 1933 trennen.

Martha Naujoks kann nach einer ersten Haft 1935 nach Prag fliehen, geht von dort im Auftrag der Partei weiter nach Moskau und ist damit unter Kontrolle der stalinistischen Exil-KPD. Im Sommer 1937 wird sie wegen angeblichen Versöhnlertums und „politischer Unzuverlässigkeit“ zeitweise aus der Partei ausgeschlossen; muss, gesundheitlich schwer angeschlagen, nicht nur um ihr politisches Überleben kämpfen.

Bücher über Martha und Harry Naujoks

Kinder des Widerstands und Rainer Naujoks (Hrsg.): „Zwei Leben für die Befreiung“, Galerie der abseitigen Künste, Hamburg, 2025; Band 1: 675 S., Band 2: 745 S., zusammen 59 Euro

Harry Naujoks wiederum kommt noch im Sommer 1933 auf die Gefangeneninsel Langenlütjen II in der Weser, er kommt nach Bremen-Oslebshausen, bleibt in sogenannter Schutzhaft; 1936 folgt das KZ Sachsenhausen. Von 1939 bis 1942 ist er dort Lagerältester, und es ist ein nicht nur kleines Wunder, dass er das und die noch folgenden KZ-Inhaftierungen überlebt.

Nach dem Krieg kommen beide in Hamburg wieder zusammen, stürzen sich in die Parteiarbeit, widmen ihr Leben der KPD – bis im Frühjahr 1950 Henry Najoks aller Parteiämter enthoben wird; auch hier lautet der Vorwurf: Versöhnlertum. Dass er sich während seiner Lagerältesten-Tätigkeit immer auch für die KZ-Häftlinge der Nazi-Kategorie „Kriminell und asozial“ eingesetzt hat, wird ihm besonders übel genommen, wie man anhand interner Parteiprotokolle nun nachlesen kann.

Beide Naujoks brechen nicht mit der Partei, das geht für sie einfach nicht, aber Harry Naujoks weicht produktiv aus: Er schreibt jahrelang an seinem Buch „Mein Leben im KZ Sachsenhausen“, das zuerst in der DDR erscheint; angeblich in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Von Martha Naujoks sind nur verstreut Selbstzeugnisse hinterlassen.

So ist dieser doppelte Forschungsband eine Art Hommage an den klassischen Kommunismus, an seine Hoffnungsstrahlen und seine von heute aus zuweilen schwer zu fassende Faszination, besonders der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Eine Art Hommage an den klassischen Kommunismus, an seine Hoffnungsstrahlen und seine von heute aus zuweilen schwer zu fassende Faszination

Es ist aber immer auch ein Ausflug in die Welt von Parteidisziplin und Gehorsam, von allenfalls leisen Zweifeln, die man für sich behält, nur im kleinen Kreis äußert, in den legendären „Kumpelgesprächen“ etwa, zu denen Harry Naujoks seine überlebenden Freunde ab den frühen 1970er-Jahren einlädt; was umgekehrt viel darüber erzählt, wie eng auch der öffentliche Erzählraum jener Zeit gewesen sein muss.

Mithin: Diese beiden Bücher kreuz und quer zu lesen, sie sich immer wieder vorzunehmen mit gebotenem Ernst und Durchhaltevermögen an einem festen Tisch sitzend, ist ein bisschen so wie früher, als man Werke noch studierte, während man heute oft von einem Wikipedia-Eintrag zum nächsten hüpft.

Und so bietet dieser Doppelband nicht zuletzt ein schönes Paradox: Er erzählt von zwei Leben in einer Partei, die immer recht hatte, sonst wäre sie ja nicht die Partei gewesen, und in denen diese beiden Leben doch immer einen eigenen Weg suchten. Es ist ein Studienwerk voller Material, voller Nebenwerke und Seitenstränge und auch voller Charme, und nun ist es in der Welt und wird sich behaupten müssen, und die Chancen, dass dies gelingt, sie stehen gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare