Biographisches: Diskret gefilmt beim Tee

Die in Hamburg lebende Filmemacherin Nathalie David macht Porträts von Künstlerinnen wie Paula Moderson-Becker und Gertrud Goldschmidt, genannt Gego.

Die kunstgeschichtliche Kompetenz ist offensichtlich: Nathalie David filmt sich selbst. Foto: Pitschoun Production

HAMBURG taz | Was tun, wenn eine Protagonistin nichts vor der Kamera sagen will? Eine verblüffende Lösung ist es, sich selbst bei ihr zum Tee am Sonntagnachmittag einzuladen. Einen Sommer lang besuchte die Filmemacherin Nathalie David jeden Sonntag die Fotografin Leonore Mau, plauderte bei einer Tasse Darjeeling second flush mit ihr über ihr Leben und ließ dabei diskret ihre Kamera mitlaufen.

Diese Aufnahmen von der älteren Frau, die immer entspannter und offener erzählt, sind die Höhepunkte der Dokumentation „Diese Photographin heißt Leonore Mau“, und dass sie hier besondere Momente eingefangen hat, macht Nathalie David auch deutlich, wenn sie in den Zwischentiteln vor den Gesprächssequenzen angibt, wie das Wetter bei den Aufnahmen war.

Es sind solche überraschenden, manchmal auch irritierenden Regieeinfälle, die die Porträts von David von konventionellen Dokumentationen über KünstlerInnen und ihre Werke unterscheidet. So liest etwa eine Frau zum Beginn von „Gego“ einen Text in der Ichform vor, in dem es um die Schwierigkeiten einer Deutschsprachigen geht, die sich plötzlich im Exil in Caracas wiederfindet. Man erkennt, dass diese Aufnahmen in Venezuela gemacht wurden, aber der Zeitrahmen kann nicht stimmen.

Es dauert eine Weile, bis deutlich wird, dass hier die Tochter von Gertrud Goldschmidt, die 1994 in Caracas starb, aus deren Erinnerungen an die Flucht aus Deutschland im Jahr 1939 vorliest. Nathalie David lässt oft und gerne Zeitzeugen aus Texten anderer vorlesen. So werden die Zitate gespiegelt, in einen neuen Kontext gesetzt und durch den Tonfall, kleine Versprecher, manchmal auch die Gefühlsregungen, die die Texte bei den Vorlesenden auslösen, lebendig.

Nathalie Davids Filme über Kunst sind selber eher künstlerische als journalistische Arbeiten, wie sie etwa von den öffentlich rechtlichen Fernsehsendern so gerne produziert und gezeigt werden. Sie entstehen auch in einem ganz anderen Rahmen, denn sie sind Auftragsarbeiten von Museen und Galerien. An der „Schnittstelle zwischen Ausstellung und Katalog“ sieht David selbst ihre Arbeiten.

Sie werden jeweils für Ausstellungen gemacht, bei denen sie dann als DVD im Museumsshop zu erwerben sind, oft aber auch in Räumen direkt neben den Bildern gezeigt werden. So wird etwa in der Hamburger Kunsthalle für die Projektion der Filme extra ein kleines Kino eingebaut, wobei viel Wert auf die Qualität von Bild und Ton gelegt wird. In Hamburg werden ihre Filme außerdem noch in Matineen im Abaton-Kino gezeigt.

Nathalie David wuchs in Südfrankreich auf und studierte in Nizza freie Kunst. Sie verließ Frankreich, als dort in den 80er-Jahren die „Front National“ an politischem Einfluss gewann und studierte dann parallel in Hamburg und Nizza. Dabei interessierte sich sich immer mehr für Fotografie und Film. Ihren ersten Film machte sie über ihre Mutter und seit 2001 arbeitet sie in dieser Nische zwischen Film und Kunst. Dabei ist sie immer für das Konzept, die Kamera und den Schnitt verantwortlich.

Nathalie David verließ Frankreich, als in den 80er-Jahren die Front National an Einfluss gewann

Den Film über die Fotografin Leonore Mau, die lange den Schriftsteller Hubert Fichte als seine Lebenspartnerin auf seinen Reisen begleitete, machte sie 2005 im Auftrag des Hauses der Photographie in den Deichtorhallen. 2007 drehte sie „Paula Modersohn-Becker – ein Atemzug, von der Antike zur Moderne“ für das Paula-Modersohn-Becker-Museum in Bremen.

An diesem Film sieht man auch, welche Freiheiten die Kuratoren ihr gewähren. Denn das eigentliche Thema der Ausstellung, der Einfluss von ägyptischen Mumienporträts aus der Antike auf den Malstil Modersohn-Beckers, wird von ihr eher nebenbei in wenigen Minuten behandelt. Ihr Ansatz war viel umfassender, und so lieferte sie ein sehr nuanciertes und stimmungsvolles Porträt der Worpsweder Künstlerin ab.

Dabei zeigt sich wieder, wie genau und originell sie mit Zitaten umgehen kann. Auf der Tonspur besteht ihr Film fast nur aus Originaltexten, vorgelesen von Hildegard Schmahl, auf einem Sofa sitzend. In einer der letzten Einstellungen sieht man sie inmitten aller Papierseiten mit ihren Texten.

Den Film „Gego“ produzierte Nathalie David 2013 anlässlich einer Ausstellung in der Kunsthalle Hamburg mit Arbeiten der Künstlerin Gertrud Louise Goldschmidt. Die in Hamburg geborene Jüdin emigrierte 1939 von Deutschland nach Venezuela, wo sie als Bildhauerin, Installationskünstlerin und Architektin in den 1960er- und 1970er-Jahren eine sehr populäre Künstlerin war, während ihre aus Drähten gefertigten Konstruktionen in Deutschland so gut wie unbekannt blieben.

Die Künstlerin hat sich selbst so gut wie nie öffentlich über ihr Werk und ihr Leben geäußert, doch nach ihrem Tod im Jahr 1994 fanden sich einige längere Texte von ihr, wie etwa autobiografische Fragebögen und nie abgeschickte Briefe, die David von Künstlerinnen, Kunsthistorikern und Familienangehörigen vorlesen ließ.

In Davids bisher neuestem Film „Villa Flora“ stehen nicht die Künstler und ihre Werke im Mittelpunkt, sondern ihre Förderer und die Räume, in denen ihre Bilder ausgestellt werden. Die Villa Flora ist ein kleines Kunstmuseum im schweizerischen Winterthur, in dem die Sammlung der Mäzene Hedy und Arthur Hahnloser präsentiert wurde, die im frühen 20. Jahrhundert die Kunst der Post-Impressionisten Bonnard, Vuillard und Valloton sammelten.

Seit 2014 gibt es keine öffentlichen Gelder mehr für das Projekt, sodass das Museum vorläufig geschlossen werden musste. Die große Sammlung mit Bildern von Van Gogh, Gauguin, Cézanne und Renoir wurde auf Reisen in verschiedene europäische Kunstmuseen geschickt: zuerst in die Kunsthalle in Hamburg, wo David den Auftrag bekam, das Museum und die Sammler vorzustellen.

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