Blasphemieprozess gegen Pianisten: Kulturkampf in der Türkei

Das Verfahren gegen Say ist symptomatisch. Es zeigt den wachsenden Druck konservativer islamischer Kreise und der Regierung auf Künstler und Medien.

Hat viel Sympathie für den Geschmack Gläubiger: Der Türkische Premier Erdogan bei einem interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen. Bild: reuters

ISTANBUL taz | Das Verfahren gegen den Starpianisten Fazil Say ist kein Einzelereignis: Es reiht sich ein in den Versuch religiöser, konservativer Kreise innerhalb und außerhalb der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), in der Türkei eine „geistig-moralische“ Wende durchzusetzen.

Kritik oder auch nur satirische Anmerkungen zum Islam sollen grundsätzlich unterbunden werden. Theater, Musik und bildende Kunst sollen sich dem Geschmack der Massen, also dem Geschmack der regierenden islamischen Partei unterwerfen.

Damit verschärft sich das Klima. Zuvor gab es für Karikaturisten vor allem dann Ärger, wenn sie sich mit der Person von Ministerpräsident Tayyip Erdogan beschäftigten, der völlig humorfrei ist und regelmäßig mit Beleidigungsklagen reagierte. Als Mittel gegen Religionskritiker wird nun immer häufiger der Paragraf 216 Absatz 3 des türkischen Strafgesetzbuches „Öffentliche Erniedrigung religiöser Werte“ angewandt. Das bekam – wie jetzt Fazil Say für seine Twittermitteilungen – bereits im letzten Jahr einer der bekanntesten türkischen Karikaturisten, Bahadir Baruter, zu spüren.

Dänischer Karikaturenstreit auf Türkisch

Im Februar letzten Jahres erschien in der größten Karikaturenzeitschrift Penguen eine Zeichnung von Bahadir Baruter. Sie stellt einen Gläubigen in einer Moschee dar, der per Handy mit Gott darüber verhandelt, ob er die Moschee vor Ende des Gebets verlassen könne, weil er „noch etwas zu tun habe“. Ganz klein, im Hintergrund der Zeichnung steht an der Wand der Moschee: „Es gibt keinen Gott – Religion ist eine Lüge“. Baruter wurde im November letzten Jahres vor Gericht gezerrt. Der Staatsanwalt verwies ausdrücklich auf die Mohammed- Karikaturen in Dänemark, um zu zeigen, wie gefährlich es sei, die religiösen Gefühle der Masse zu verletzen. Er forderte ein Jahr Gefängnis für Baruter, der Prozess läuft noch.

Der Karikaturist steht seitdem unter besonderer Beobachtung der islamischen Presse. Anlässlich einer Ausstellung seiner Werke im Sommer dieses Jahres wurde ausführlich über „neue Provokationen des islamfeindlichen Zeichners“ geschrieben. Derlei Hetze kann weit gefährlicher werden als die Verfolgung durch den Staatsanwalt.

Ende letzten Jahres entdeckte die islamische Presse dann ein neues Feld – die „unbotmäßigen“ Aufführungen der Istanbuler staatlichen Bühnen. 2010 hatte das schlimmste islamistische Hetzblatt Vakit schon einmal eine Theateraufführung verhindert, in der der heuchlerische Umgang mit Prostituierten kritisiert wurde. Das Blatt machte so viel Lärm, dass die Stadtverwaltung das Theater dichtmachte, weil „die Feuerschutzmaßnahmen“ unzureichend seien.

Der Geschmack gläubiger Menschen

Jetzt erklärten islamische konservative Blätter auf breiter Front, die Stücke, die an den elf staatlichen Bühnen in Istanbul aufgeführt werden, seien insgesamt inhaltlich fragwürdig, teilweise pornografisch und verletzten durchweg den Geschmack gläubiger Menschen. Die oberste Ebene der Stadtverwaltung versuchte daraufhin mit der Rückendeckung der Regierung die Freiheit der Theater zu beschneiden, indem sie per Dekret in die Leitung aller staatlichen Theater einen Bürokraten einsetzte, der die Spielpläne zukünftig überwachen sollte. Daraufhin lief die gesamte Theater- und Kunstszene der Stadt Sturm. Es gab große Demonstrationen für die Freiheit der Kunst, in einem Kunstmarathon im öffentlichen Raum wurde über 152 Stunden ununterbrochen Theater auf der Straße aufgeführt.

Der Protest wiederum kam bei Ministerpräsident Erdogan schlecht an. Er drohte, alle staatlichen Bühnen zu schließen und die Schauspieler, Intendanten und sonstigen Angestellten zu entlassen. Sollen sie doch ihre Stücke in privaten Theatern aufführen, dann können sie ja sehen, ob sie ihre Arbeit finanzieren können, ätzte er.

Nur noch befristete Anstellungen

Aller Protest nutzte nichts. Zwar erwies sich die Ad-hoc-Privatisierung der staatlichen Bühnen als rechtlich schwer durchsetzbar. Aber sie kommt schrittweise. Bislang hatten Künstler an den staatlichen Theatern, Orchestern und Tanzbühnen Festanstellungen. Das gibt es jetzt nicht mehr. Verträge werden nur noch befristet und projektbezogen ausgestellt. Ein Repertoire-Rat muss nun alle Inszenierungen der staatlichen Bühnen abnicken. Für Ragip Yavuz, den Vorsitzenden des Bundes der Istanbuler Theaterkünstler, ist die Freiheit der Kunst dahin: „Die Theateraufführungen werden jetzt vom Staat diktiert“, sagt er.

Bülent Arinc, stellvertretender Ministerpräsident und einer der Frontmänner des religiösen Flügels der Regierungspartei, findet es dagegen ganz normal, dass der Staat in den staatlichen Bühnen auch Stücke nach seinem Geschmack aufführen lässt. Das sei schließlich das Recht jedes Arbeitgebers weltweit.

Wie sehr Premier Erdogan und seine Partei den Staat mittlerweile mit sich selbst gleichsetzen, musste bereits der bekannte Bildhauer Mehmet Aksoy erleben. Eine von ihm nahe der armenischen Grenze errichtete „Friedensstatue“ fand der Premier so grässlich, dass er das Denkmal umgehend abbauen und in kleine Stücke zersägen ließ.

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