Blick hinter die Vereins-Kulissen: „Ich lebe mit dem HSV in Trennung“

Manfred Ertel war Mitglied des Aufsichtsrats beim Fußball-Bundesligisten Hamburger SV, bis der seine Profi-Abteilung ausgliederte. Seine Erfahrungen reflektierte er in einem Buch.

Haben es nicht leicht: Fans des Fußball-Bundesligisten HSV Foto: dpa

taz: Herr Ertel, könnten Sie heute, wenn sie noch einmal zehn Jahre alt wären, Fan des Hamburger SV werden?

Manfred Ertel: Ich glaube schon. Die Faszination Fußball begeistert vor allem junge Leute und Kinder. Sie lechzen nach Helden und Vorbildern. Wenn ich heute ins Stadion gehe, stelle ich fest, dass der HSV offenbar immer noch junge Leute fasziniert, während viele meiner älteren Freunde nicht mehr da sind.

Sie beschreiben Ihre Leidenschaft für Ihren Verein als einen Virus. Fühlt sich das Fan-Sein wie eine Krankheit an?

Nein. Überzeugter Fan zu sein, ist vergleichbar mit Liebe. Rational ist das nicht zu erklären. Man hängt an dieser Liebe bis zu dem Punkt, wo sie einen enttäuscht und man sich trennen muss. Dann wird Fan-Sein zu Liebeskummer.

66, war fast 40 Jahre lang Spiegel-Redakteur. Seit 1960 ist er HSV-Fan. Von 2011 bis 2014 gehörte er dem Aufsichtsrat des HSV an, ab 2013 als Vorsitzender. Ertel ist verheiratet mit der Grünen Krista Sager, die Mitglied des FC St. Pauli ist.

Ihr Buch „Hört die Kurve“ trägt den Untertitel „Vom Ende eines Fußball-Traums“. Wovon haben Sie geträumt?

Einerseits hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, ob ich mich mit meinen Fähigkeiten und Qualifikationen einbringen und für meinen Verein nützlich machen kann. Der andere Traum war, dass Werte im Fußball, zum Beispiel Identifikation und Transparenz, trotz der zunehmenden Kommerzialisierung zumindest in meinem Verein bewahrt und erhalten werden können. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Geht es beim HSV noch um Fußball?

Schwierige Frage. Es sollte so sein. Allerdings sind die Grundpfeiler, die den HSV mal ausgemacht haben, brüchig geworden. Dazu gehört die Identifikation mit dieser Stadt, der Region und der besonderen sozialen Verpflichtung, Bindeglied zwischen vielen Generationen und Bevölkerungsschichten zu sein. Und es geht um leidenschaftlichen Fußball für die eigenen Fans. Der HSV von heute spaltet. Und er steht nicht mehr für viel, womit sich Fans und Zuschauer identifizieren können.

2011 sind Sie vom Fan zum Aufsichtsrat geworden und damit selbst Teil des Fußballgeschäfts. Was hat diese Zeit mit Ihnen gemacht?

Angetrieben hatte mich das Gefühl, dass die Basis, also die Menschen, die den Verein ausmachen, also die Fans, Mitglieder und Amateursportler, in seiner ganzen Breite abgebildet sein muss. Ich bin überzeugt, dass auch wir Fans die unterschiedlichen Qualifikationen mitbringen können, um gute Kontrolleure für den HSV zu sein. Was die Zeit mit mir gemacht hat, ist jedoch das Schlimmste, was einem Fan passieren kann. Der Blick hinter die Kulissen hat mich mehr denn je abgeturnt.

Was haben Sie denn gesehen?

Intrigen, Machenschaften und ein Fegefeuer der Eitelkeiten, die in mir den Eindruck bestärkten, dass zu viele Leute rund um den HSV Interessen verfolgen, die nicht im Sinne des Vereins sind. Mein emotionales Verhältnis zum Sport im Allgemeinen und zum HSV im Speziellen wurde dadurch tief erschüttert.

Waren Sie überzeugt davon, dieser Entwicklung mit Ihrer Arbeit als Aufsichtsrat Einhalt gebieten zu können?

Der damalige Aufsichtsrat hat, wie man heute erleben kann, eine viel bessere Arbeit geleistet, als man ihm öffentlich zuschreiben wollte. Viel Kritik an diesem Aufsichtsrat hat sich daran entzündet, dass aus Sicht des einen oder anderen Mediums die falschen Leute darin saßen, nämlich wir Fans. Dennoch waren wir auf einem guten Weg, den Verein mit unterschiedlichen Maßnahmen zu gesunden. Wir haben es nur nicht durchhalten können, weil das Interesse Einzelner Fehler begünstigt und die Geschlossenheit des Gremiums infrage gestellt hat.

Nehmen die Medien rund um den HSV mehr als nur die Rolle der begleitenden Berichterstatter ein?

Mein Verhältnis zum aktuellen Journalismus ist durchaus gespalten, weil ich kritische Veränderungen im Bezug auf Seriosität, Faktenreichtum sowie die Einhaltung ethischer und moralischer Grundsätze feststelle. Vor diesem Hintergrund sehe ich den Sportjournalismus besonders gefährdet, da er in vielen Fällen Teil des von Kampagnen lebenden Fußballsystems ist und sich nicht ausreichend allein seiner Verpflichtung zu Information und Aufklärung stellt. Insofern ist er für meine Berufsgattung nicht gerade ein Vorbild.

Eine große Kampagne hat 2014 zu einer Neustrukturierung und Ausgliederung des Profifußballs und zum Ende Ihres Engagements geführt. Ist seitdem irgendetwas besser geworden?

Die Kampagne hat uns gelehrt: Wer am lautesten schreit, hat längst nicht immer recht. Keines der vielen Versprechen wurde gehalten, sportlich und finanziell ist die Bilanz desaströs. Ich empfinde als Gegner der Ausgliederung aber keine Genugtuung, sondern bin einfach nur wütend, weil die Initiatoren von damals heute nichts mehr damit zu tun haben wollen. Nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Vieles, was damals gelaufen ist, hatte mit Fairplay und Demokratie wenig zu tun. Leidtragende sind der HSV und seine Fans.

Hat Ihnen diese Entscheidung den Rest gegeben?

Es ist wie im wahren Leben: Einer großen Liebe trauert man lange Zeit hinterher. Ich lebe mit dem HSV in Trennung, wir sind aber noch nicht geschieden. Es tut nicht mehr ganz so weh, aber immer noch ein bisschen.

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